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Berlinale 2024: Debatte um Umgang mit der AfD

Stefan Dege mit Agenturen
15. Februar 2024

Als "Schaufenster zur Welt" ging die Berlinale einst an den Start. Die 74. Ausgabe der Internationalen Filmfestspiele ringt um ihre Weltoffenheit - und um den Umgang mit der rechtsextremistischen Partei AfD.

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Vier goldene Bär-Trophäen nebeneinander
Die Berlinale definierte sich schon immer auch als politisches FestivalBild: Jens Kalaene/dpa/picture alliance

Noch bevor am Donnerstag der rote Teppich ausgerollt wurde und Stars aus aller Welt auf der Berlinale 2024 ihren großen Auftritt zelebrieren, schlugen die Wellen hoch. Umstritten ist die Einladung - und spätere Ausladung - von Politikern der Partei  "Alternative für Deutschland" (AFD), die in Teilen als "gesichert rechtsextrem" gilt und deshalb vom deutschen Verfassungsschutz beobachtet wird. Die Berlinale gehört neben Cannes und Venedig zu den großen Filmfestivals der Welt. Entsprechend groß ist die internationale Aufmerksamkeit.

Eigentlich lief alles rund für das scheidende Führungsduo der Berlinale, die Niederländerin Mariette Rissenbeek und den Italiener Carlo Chatrian: Mit Regielegende Martin Scorcese, der den Goldenen Ehrenbären erhalten soll, der Jurypräsidentin Lupita Nyong'o ("Wakanda forever"), der Oscar-Nominierten Sandra Hüller ("Anatomie eines Falls") und Cillian Murphy ("Oppenheimer") erwartet das Berliner Publikumsfestival wieder illustre Gäste und spannende Filme. Der Kartenvorverkauf läuft. Doch nun wird das Filmfestival vom Streit über rechtsextreme Gäste überschattet.

Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian vor einem Plakat der Berlinale 2024
Das Führungsduo der Berlinale: Mariette Rissenbeek und Carlo ChatrianBild: Jens Kalaene/dpa/picture alliance

Erst Einladung, dann Ausladung 

Nach tagelangen Diskussionen hat die Berlinale-Leitung fünf zur Eröffnungsgala eingeladene AfD-Politikerinnen und -Politiker kurzerhand wieder ausgeladen. Man habe ihnen mitgeteilt, "dass sie bei der Berlinale nicht willkommen sind", erklärte das Leitungsduo vergangene Woche. Begründung: es sei ihnen "als Berlinale und als Team wichtig, unmissverständlich Position für eine offene Demokratie zu beziehen". Entsprechend empört reagierten Vertreter der AfD.

Eine blonde Frau spricht in Mikrofone vor Journalisten.
Die Berliner AfD-Politikerin Kristin Brinker zeigte sich empört über die Ausladung von der BerlinaleBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Die Berlinale-Leitung begründete ihre Entscheidung auch mit den zuvor erfolgten Enthüllungen über "explizit antidemokratische Positionen" und einzelne Politiker der AfD.  Das Netzwerk "Correctiv" hatte Anfang Januar über ein Geheimtreffen von AfD-Politikern, Mitgliedern der rechtskonservativen Werteunion, Rechtsextremen und Unternehmern berichtet. Bei dem Treffen in Potsdam Ende November 2023 sei es um Pläne für eine Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland gegangen, heißt es in dem Bericht. In Deutschland wirkten die Recherchen von Correktiv wie ein Weckruf: Seither gingen Hundertausende Menschen für Demokratie und gegen die AfD auf die Straßen. Aber auch international hat das Thema Kreise gezogen: In einem offenen Brief zeigten sich rund 200 Filmschaffende aus aller Welt empört über die Einladung rechtsextremer Politiker. Sie sei ein weiterer Beleg für das "feindselige und heuchlerische Umfeld", dem Kunst und Kultur in Berlin und Deutschland ausgesetzt seien. Man glaube nicht, dass die Eröffnung der Berlinale ein sicherer Ort für bedrohte Minderheiten sein könne, die aufgrund ihrer sexuellen Identität oder Orientierung, ihrer Hautfarbe oder Herkunft von einer, so wörtlich, "anderen rechtsextremen, nationalkonservativen Bewegung in Deutschland verfolgt und ermordet wurden". Der Brief, über den zuerst das US-Filmmagazin Deadline berichtete, ist inzwischen nicht mehr aufrufbar.

Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek reagierte mit einem englischsprachigen Statement auf dem Instagram-Account der Berlinale, zu dem sich die Festivalleitung offenbar gedrängt sah: Sowohl die Kulturbeauftragte des Bundes, Claudia Roth, als auch der Berliner Senat hätten Einladungskontingente für die Eröffnungsfeier erhalten, heißt es darin. Diese seien an gewählte Abgeordnete aller Parteien im Bundestag und im Berliner Abgeordnetenhaus verteilt worden. Darunter seien auch Mitglieder der AfD, die in beide Parlamente gewählt wurden und damit auch in den politischen Kulturausschüssen und anderen Gremien vertreten seien. "Das ist ein Fakt, und den müssen wir als solches akzeptieren", so Rissenbeek.

Die Einladung von Abgeordneten des Bundestages und des Berliner Abgeordnetenhauses - auch der AfD - aufgrund der Einladungsquote über Kulturstaatsministerin Claudia Roth und den Berliner Senat ist jedoch seit Jahren gängige Praxis und war bislang nicht beanstandet worden. Kulturstaatsministerin Roth sagte dazu am Dienstag, sie respektiere die Entscheidung der Berlinale-Leitung, auch wenn sie diese nicht empfohlen habe. Es müsse noch viel mehr getan werden, um die Demokratie zu fördern und gegen Abgeordnete vorzugehen, die "eine Idee haben von einer Demokratiezersetzung", zu bekämpfen. Eine Ausladung allein reiche nicht.

"Zurückgeben, was uns nie gehört hat"

Seit jeher sind die Berliner Filmfestspiele auch ein Forum für politische Debatten. So zog kürzlich ein Regisseur aus Protest gegen die deutsche Haltung zu Israel seinen Berlinale-Beitrag zurück. Nun haben die bundesweiten Proteste gegen die AfD und die Diskussion um den Umgang mit der in Teilen rechtsextremen Partei auch die Berlinale erreicht.

Berlinale ist seit ihren Anfängen politisch

Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges zwischen Ost und West war die Berlinale 1951 von Oscar Martay, dem Film Officer der Berliner US-Militärverwaltung ins Leben gerufen worden. Das Motto der ersten Ausgabe: "Schaufenster der freien Welt". Als Eröffnungsfilm lief am 6. Juni 1951 Alfred Hitchcocks "Rebecca" im Titania-Palast. Im Ostteil der Stadt fand - als Reaktion darauf - das "Festival des demokratischen Films" statt, auf dem hauptsächlich Filme aus dem damaligen Ostblock gezeigt wurden.

War die frühe Berlinale vor allem ein Publikums- und Glamourfestival, bei dem sich zahlreiche Filmstars wie Gary Cooper, Sophia Loren, Jean Marais, Jean Gabin, Michèle Morgan, Henry Fonda, Cary Grant, Jean-Paul Belmondo oder Rita Hayworth präsentierten, so änderte sich die Ausrichtung des Festivals deutlich ab Ende der 1960er Jahre. Die gesellschaftliche und politische Polarisierung nahm zu, auch die Berlinale wurde politischer: So löste der Vietnamkriegsfilm "o.k." von Michael Verhoeven auf der Berlinale 1970 heftige Kontroversen aus. Die Jury trat zurück, das Wettbewerbsprogramm wurde gestrichen.

Ob die zuerst ein- und dann ausgeladenen AfD-Politiker zur Eröffnungsgala erscheinen werden, war bis zuletzt offen. Das Leitungsduo der Berlinale will nicht von seiner Linie abweichen: "Die Weltoffenheit muss verteidigt werden", so Chatrian im einem Interview der Neuen Osnabrücker Zeitung.Die Freiheit der Kunst sei essentiell in der Demokratie. "Wir erteilen rechtsextremem oder rechtspopulistischem Gedankengut eine klare Absage."