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Drama am K2: Hätte Hassan gerettet werden können?

10. August 2023

Nach dem Tod des pakistanischen Hochträgers Muhammad Hassan in der Gipfelzone des Achttausenders K2 ermitteln die Behörden. Es gibt viele offene Fragen.

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Der 8611 Meter hohe K2 im Norden Pakistans
Der K2 in Pakistan gilt als einer der schwierigsten und gefährlichsten AchttausenderBild: SALTORO_SUMMIT_HANDOUT/dpa/picture alliance

Die Bilder und Videos, die seit Tagen in den sozialen Medien über den Gipfeltag am K2 kursieren, verstören. Darin ist zu sehen, wie Bergsteigerinnen und Bergsteiger am zweithöchsten Berg der Erde in Pakistan auf rund 8200 Metern über die Leiche des pakistanischen Bergsteigers Muhammad Hassan steigen. Um seinen Tod ranken sich so viele Fragen, dass die Regionalregierung der pakistanischen Provinz Gilgit-Baltistan eine Untersuchungskommission eingesetzt hat. Sie soll klären, was am 27. Juli in der Gipfelregion des zweithöchsten Bergs der Erde geschah. Was genau stieß Hassan zu? Wurde alles getan, um sein Leben zu retten? Hätte er aufgrund seiner bergsteigerischen Fähigkeiten überhaupt dort oben sein dürfen? War er ausreichend ausgerüstet für seine Arbeit als High Altitude Porter, als Hochträger am K2?

Wenig Höhenerfahrung, schlecht ausgerüstet

Zumindest die beiden letzten Fragen müssen mit nein beantwortet werden. Die Witwe des Pakistaners berichtete dem österreichischen Bergsteiger Wilhelm Steindl und dem deutschen Filmemacher Philip Flämig bei deren Kondolenzbesuch, dass Hassan bislang nur Ausrüstung bis zum K2-Basislager auf rund 5100 Metern getragen habe. Diesmal sei er auf den Berg gestiegen, weil er mehr Geld benötigt habe, um seine kranke Mutter behandeln zu lassen. Hassan unterstützte das Team, das die Route zum Gipfel mit Seilen sicherte. Rund 200 Bergsteigerinnen und Bergsteiger wollten an jenem Tag auf den Gipfel gelangen, etwa die Hälfte erreichte den höchsten Punkt.

Kristin Harila und Tenjen Sherpa werden in Nepal gefeiert, sie tragen Blütenkränze um den Hals und nepalesische Hüte auf dem Kopf.
Kristin Harila und Tenjen Sherpas bestiegen alle 14 Achttausender in 92 TagenBild: IMAGO/ZUMA Wire

Hassan fehlte es nicht nur an Erfahrung in extremer Höhe, sondern auch an Ausrüstung. Der Hochträger habe weder einen Daunenanzug noch eine Sauerstoffmaske getragen, ließ Kristin Harila wissen. Die Norwegerin hatte am 27. Juli mit ihrem nepalesischen Bergführer Tenjen Sherpa den Gipfel des K2 auf 8611 Metern erreicht und damit ihr Projekt erfolgreich beendet: Innerhalb von drei Monaten und einem Tag hatten die beiden - mit Flaschensauerstoff und der Unterstützung weiterer Sherpas - auf allen 14 Achttausendern gestanden.

Kristin Harila: "Niemand hatte Schuld" 

Harila war in den sozialen Netzwerken in den vergangenen Tagen der unterlassenen Hilfeleistung für Hassan beschuldigt worden und hat nach eigenen Worten sogar Morddrohungen erhalten. Nachdem sie tagelang geschwiegen hatte, meldete sie sich mit einer Erklärung zu Wort. Es habe sich um einen "tragischen Unfall" gehandelt, schrieb Harila: "Niemand hatte Schuld daran, man kann sich nicht dazu äußern, wenn man die Situation nicht versteht. Dies geschah an der gefährlichsten Stelle des tödlichsten Berges der Welt, und man sollte nicht vergessen, dass auf über 8000 Meter Höhe der Überlebensinstinkt die Entscheidungen beeinflusst, die man trifft."

Ihr Team habe sich sofort um Hassan gekümmert, als dieser plötzlich aus ungeklärter Ursache abgerutscht sei und zunächst kopfüber im Seil gehangen habe. Ihr Kameramann habe rund zweieinhalb Stunden an der Seite des Pakistaners verbracht und ihm auch Sauerstoff verabreicht. 

Schneller oder langsamer Tod?

Der Unfall geschah im sogenannten "Flaschenhals", der Schlüsselstelle der Route. Die Bergsteigerinnen und Bergsteiger, müssen dort eine sehr steile, extrem lawinengefährdete Bergflanke queren, direkt unter einem riesigen, überhängenden Gletscher. Es ist ein wenig wie Russisch Roulette. Jeder versucht, so schnell wie möglich von dort wegzukommen. Am 27. Juli hatte sich am Flaschenhals wegen der vielen Gipfelanwärter eine lange Schlange gebildet - und das über Stunden. Mehrere kleine Lawinen gingen ab. Wäre es eine große gewesen, hätte es eine Katastrophe gegeben.

Infografik Karte die 14 Achttausender DE

Anwar Syed, Chef der pakistanischen Agentur Lela Peak Expedition, für die Hassan arbeitete, sprach von einem schnellen Tod des Trägers: "Nach wenigen Augenblicken verstarb er. Es blieb also nicht genug Zeit, um ihn zu retten." Dem widersprechen nicht nur die Aussage Harilas, sondern auch eine Drohnen-Kameraaufnahme des Filmemachers Flämig, auf der man sieht, wie ein Bergsteiger bei Tageslicht den auf dem Schnee liegenden Pakistaner massiert, dessen Bein sich noch zu bewegen scheint. Der Unfall soll sich gegen 2:15 Uhr ereignet haben, also deutlich vor Tagesanbruch. 

Alle, die an diesem Tag den Gipfel erreichten, kamen an Hassan vorbei, einige offenbar sogar zweimal: beim Auf- und Abstieg. "Über die Erzählung von drei unterschiedlichen Augenzeugen kann ich berichten, dass dieser Mann noch gelebt hat, während etwa 50 Leute an ihm vorbeigestiegen sind. Das ist auch in den Drohnenaufnahmen sichtbar“, sagte Flämig der österreichischen Zeitung "Der Standard". "Zum Teil gehen die Aussagen so weit, dass die Leute, die vom Gipfel zurückkamen, immer noch eine lebende Person angetroffen haben."

Party im Basislager

Willi Steindl brach seinen Gipfelversuch wegen zu hoher Lawinengefahr ab - unterhalb der Unglücksstelle Muhammad Hassans. "Er ist dort elendig verreckt. Es hätte nur drei, vier Leute gebraucht, ihn runterzubringen", sagte der Österreicher dem "Standard". "Ich war nicht bei der Unfallstelle. Wenn ich es gesehen hätte, wäre ich raufgestiegen und hätte dem armen Menschen geholfen."

Später sei Harilas Erfolg im Basislager mit einer Party gefeiert worden. "Ich bin nicht hingegangen, es hat mich angewidert. Da ist ein Mensch oben gestorben." Harila bestreitet, eine Party gegeben zu haben.

Obwohl Steindl nicht selbst involviert war, sammelte er bei den Expeditionsteams Geld und überbrachte es der Familie Hassans. Zudem startete er eine Internet-Spendenaktion, um die Ausbildung der drei kleinen Kinder des Pakistaners zu finanzieren. In Pakistan sind High Altitude Porters in der Regel für den Todesfall nur mit umgerechnet rund 1500 US-Dollar versichert - wenn überhaupt.

Das Schicksal Muhammad Hassans erinnert an ähnliche Vorfälle in den vergangenen Jahren in der Gipfelzone des Mount Everest. So waren 2006 zahlreiche Bergsteiger an dem höhenkranken Briten David Sharp vorbeigestiegen, ohne ihm zu helfen. Der 34-Jährige starb auf rund 8500 Metern. Muhammad Hassan wurde nur 27 Jahre alt.

Dieser Artikel wurde ergänzt, nachdem Harilas Team gegenüber dem Autoren bestritt, die Norwegerin habe im Basislager eine Party gefeiert. 

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter