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Bangladesch: Zunehmende Gewalt vor den Wahlen

Arafatul Islam
6. November 2023

Vor den Parlamentswahlen im Januar geraten Opposition und Regierung immer heftiger aneinander. Es gibt bereits Todesopfer zu beklagen.

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Ausschreitungen in Shafipur. Ein brennender LKW auf einer Straße, 31.10.2023
Ausschreitungen in Shafipur, 31.10.2023Bild: Munir uz Zaman/AFP

Vor den im Januar nächsten Jahres angesetzten Wahlen stehen die Zeichen in Bangladesch auf Konfrontation. Mehr als 100.000 Anhänger von Oppostionsparteien nahmen am 28. Oktober an einer Großkundgebung allein in der Hauptstadt Dhaka teil.

Nach Angaben der Polizei war es dann vergangene Woche in mehreren Städten zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen, als Mitglieder der größten Oppositionspartei, der Bangladesh Nationalist Party (BNP), und der Jamaat-e-Islami, der größten islamistischen Partei des Landes, den Rücktritt von Premierministerin Scheich Hasina vor den Parlamentswahlen forderten.

Regierung und Opposition beschuldigen sich gegenseitig, für die Gewalt verantwortlich zu sein. Die Polizei habe seit den Protesten vom 28. Oktober fast 8000 Aktivisten festgenommen, berichtet laut der Nachrichtenagentur AFP die renommierte Zeitung "Prothom Alo". 

Die Behörden ihrerseits erklärten, einige der Festnahmen stünden im Zusammenhang mit dem Tod eines Polizisten bei den Protesten einige Tage zuvor. Laut Polizeiangaben seien vier weitere Personen getötet worden. Die BNP spricht von mindestens neun getöteten Anhängern, 3000 sollen verletzt worden sein.

Proteste von Anhängern der Bangladesh Nationalist Party (BNP) in Dhaka
Proteste von Anhängern der Bangladesh Nationalist Party (BNP) in DhakaBild: Mohammad Ponir Hossain/REUTERS

Appelle zur Zurückhaltung an Bangladesch

Die Gewalt und politischen Spannungen in Bangladesch lösen international Bestürzung aus. So brachte das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) in einer Mitteilung seine tiefe Besorgnis über die jüngsten Entwicklungen in Bangladesch zum Ausdruck.

Sieben Länder, darunter die Vereinigten Staaten, Australien, Großbritannien, Kanada und Japan, forderten sowohl die Regierung als auch die Opposition auf, Zurückhaltung zu üben, auf Gewalt zu verzichten und zusammenzuarbeiten, um eine freie und faire Wahl zu ermöglichen.

Premierministerin Hasina wies den Aufruf zurück. Die Politikerin strebt derzeit ihre vierte fünfjährige Amtszeit in Folge an. Wiederholt hat sie die Übergabe der Macht an eine geschäftsführende Regierung ausgeschlossen. Hasina beschuldigte die BNP zudem des "Terrorismus und Rowdytums".

"Wahlen werden stattfinden, wie es in Ländern wie Kanada und Indien der Fall ist", und "wie es 2018 in Bangladesch der Fall war", sagte sie laut Nachrichtenagentur Reuters auf einer Pressekonferenz. Die routinemäßige Regierungsarbeit werde nicht aufhören, so Hasina.

"Internationale Gemeinschaft sollte proaktive Rolle übernehmen"

Die derzeitige Situation gebe international Anlass zur Sorge, sagt Michael Kugelman, Südasienexperte am Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington. "Die rasch eskalierende politische Instabilität mit zunehmenden Protesten, gefolgt von Verhaftungen und daraus resultierender weiterer Wut und die Androhung weiterer Proteste, wird die Sorgen der internationalen Gemeinschaft nicht verringern."

Ähnlich sieht es Ali Riaz, Professor für Politikwissenschaft an der Illinois State University. "Angesichts des Umstands, dass die Kluft zwischen der Opposition und der Regierung so groß geworden ist und die zunehmende Gewalt die Situation destabilisieren und die ohnehin fragile Wirtschaft weiter schwächen wird, sollte die internationale Gemeinschaft eine proaktive Rolle übernehmen."

Die Premierministerin von Bangladesch, Scheich Hasina Wajed auf dem EU Global Gateway Forum 2023
Umstrittener Regierungsstil: die Premierministerin von Bangladesch, Scheich Hasina WajedBild: JOHANNA GERON/REUTERS

Wer kann zwischen Bangladeschs Regierung und Opposition vermitteln?

Allerdings sei zweifelhaft, dass eine Vermittlung durch Dritte funktionieren würde, sagt Kugelman. "Die Parteien, die wahrscheinlich am ehesten bereit wären, zu vermitteln - also überwiegend westliche Staaten - wären für die Regierung Dhaka nicht akzeptabel, da sie diese der Sympathie für die Opposition verdächtigt. Umgekehrt dürfte die Opposition die Parteien, die Dhaka als Vermittler akzeptierten könnte - zum Beispiel Indien - für zu regierungsfreundlich halten."

Dennoch: "Angesichts des Umstandes, dass die politische Situation zunehmend instabiler wird und das Gewaltrisiko vor den Wahlen hoch ist, wäre Deeskalation von außen keine schlechte Idee."

Manipulationsvorwürfe in Richtung Dhaka 

Hasinas Regierungspartei Awami League wird vorgeworfen, die letzten beiden Wahlen 2014 und 2018 manipuliert zu haben und während ihrer fast 15-jährigen Regierungszeit seit 2009 gegen Tausende von Oppositionsaktivisten vorgegangen zu sein.

Beide Wahlen fanden unter der Herrschaft Hasinas statt. Oppositionsparteien halten die Organisation der Wahlen darum für problematisch. Tatsächlich gab es vor 2011 in Bangladesch ein sogenanntes "Caretaker"-System, das Wahlmanipulation und Fehlverhalten unterbinden sollte. Das System sah vor, dass nach dem regulären Ende der Legislaturperiode eine aus Vertretern der Zivilgesellschaft bestehende Übergangsregierung für drei Monate die Kontrolle über die staatlichen Institutionen übernehmen und Wahlen abhalten lassen soll.

Bangladesch Dhaka BNP Parteizentrale
Polizisten bewachen die Parteizentrale der Bangladesh Nationalist Party (BNP) in DhakaBild: Munir Uz Zaman/AFP

In den Jahren 1996, 2001 und 2008 wurden allgemeine Wahlen von überparteilichen Übergangsverwaltungen durchgeführt. Von in- wie von ausländischen Beobachtern wurden sie als frei, fair und integrativ eingestuft.

Doch die Awami-Liga schaffte das System 2011 ab. Zuvor hatte der Oberste Gerichtshof 2010 entschieden, die Bestimmung sei verfassungswidrig, da sie gegen die Grundsätze der repräsentativen Demokratie verstoße.

"Keine einfache oder sofortige Lösung"

"Das größte Hindernis für die Abhaltung freier, fairer und inklusiver Wahlen liegt darin begründet, dass es keine neutrale Regierung während der Wahlzeit mehr gibt; solange keine Lösung für dieses Problem gefunden wird, halte ich faire Wahlen für unmöglich", sagt Riaz.

Ähnlich sieht es auch Michael Kugelman. "Es gibt keine einfache oder sofortige Lösung. Die Anreizstrukturen müssen so umgestaltet werden, dass sämtliche politischen Akteure - und nicht nur die Regierungspartei - ihre Interessen am besten durch freie und faire Wahlen sowie andere demokratische Grundsätze gewahrt sehen."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Die Chauras von Bangladesch - Leben zwischen Fluch und Segen