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Ein Ort für alle

Günther Birkenstock17. September 2013

Im Backhaus Lennep lernen und lehren psychisch Kranke, wie man mit traditioneller Technik Brot und Gebäck herstellt. Im angeschlossenen Café werden die Produkte verkauft. Profit zählt hier nicht, Begegnung ist alles.

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Obertitel Inklusion Titel: Backhaus Lennep Christian Seufzer, Bäckermeister im Backhaus Lennep Augusta-Hardt-Heim, Ambulante und stationäre Hilfen für Menschen mit psychischer Erkrankung Copyright: DW/Günther Birkenstock
Christian Seufzer: Im Backhaus auf dem Dorf traf man sich und plauderteBild: DW/G. Birkenstock

Sorgfältig richtet Susanne Jakobeit kleine Salatteller an, belegt Brötchen mit Wurst oder Käse und versorgt die Kunden des Backhaus-Cafés freundlich lächelnd mit Kaffee und Kuchen. Die Arbeit im Backhaus macht ihr Riesenspaß, sagt die 32-jährige frühere Lagerarbeiterin. Seit drei Jahren ist sie "Klientin" im Augusta-Hardt-Heim in Remscheid-Lennep, das rund 40 Kilometer nördlich von Köln liegt. Was früher tatsächlich ein Heim war, ist heute ein Rehabilitations-Zentrum in diakonischer Trägerschaft, das psychisch Kranken ambulante und stationäre Hilfen bietet.

Susanne Jakobeit, Klientin im Augusta-Hardt-Heim, Ambulante und stationäre Hilfen für Menschen mit psychischer Erkrankung Augusta-Hardt-Heim, Ambulante und stationäre Hilfen für Menschen mit psychischer Erkrankung Quelle: dw Günther Birkenstock
Susanne Jakobeit: Die Begegnungen im Backhaus helfen Vorurteile abzubauenBild: DW/G. Birkenstock

Der Kontakt baut Vorurteile ab

Freimütig spricht Susanne Jakobeit von ihrer Krankheit. "Ich habe eine Borderline-Persönlichkeitsstörung und bipolare affektive Psychose, bin medikamentös sehr gut eingestellt und sehr froh, dass man mir nicht so anmerkt, dass ich psychisch erkrankt bin." Auch den anderen "Klienten" ist ihre Erkrankung kaum anzumerken. Fachpersonal und Kranke sind für die Gäste des Backhaus-Cafés nicht zu unterscheiden. Das, so die junge Frau, hilft, Vorurteile abzubauen. Susanne Jakobeit arbeitet nicht nur im Backhaus. Im Industriebereich des Rehabilitationszentrums setzt sie Scharniere für andere Unternehmen zusammen, im Kreativ-Bereich verziert sie Produkte, die im Café verkauft werden.

"Wir haben hier wirklich die Rollenumkehr hinbekommen. Die "Klienten" sind Gebende und nicht mehr die Empfangenden", sagt Monika Binner, Ergotherapeutin und Leiterin des Lenneper Backhauses. Dadurch würden sie erfahren, "ich bin etwas wert, ich kann auch meinen Beitrag leisten". Das Geben besteht nicht nur darin, dass die Kranken den Gästen Kaffee und Kuchen reichen. Einige der Klienten wurden von Bäckermeister Christian Seufzer so weit ausgebildet, dass sie in Seminaren den Teilnehmern vermitteln, wie Brotteig hergestellt und gebacken wird.

Brot im Holzofen im Backhaus Lennep Augusta-Hardt-Heim, Ambulante und stationäre Hilfen für Menschen mit psychischer Erkrankung Copyright: DW/Günther Birkenstock
Wie in alten Zeiten: Brot aus dem HolzofenBild: DW/G. Birkenstock

Wie zu Omas Zeiten

Der 45jährige Christian Seufzer macht derzeit eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger. Früher hat er in einer örtlichen Bäckerei gearbeitet und schon dort auf traditionelle Weise im Holzofen Brot gebacken. Dieser Ofen kommt vollständig ohne Strom aus. Das Innere wird nur mit Buchenholz beheizt. Nachdem die Glut entfernt ist, wird gebacken. "Das erfordert großes Feingefühl und ein genaues Timing", sagt Seufzer. Zugleich soll die traditionelle Art der Brotherstellung an den Begegnungsauftrag des Backhauses anknüpfen. Denn früher hätten die Bewohner kleiner Dörfer auch nur einmal in der Woche gebacken und sich dazu im Backhaus getroffen und miteinander geplaudert. Auch für Christiane Mersman-Pohl aus dem Leitungsteam des Rehabilitationszentrums hat die traditionelle Technik eine besondere Bedeutung. "Der Holzofen hat uns direkt gefesselt, weil es hier nicht um Masse und Schnelligkeit geht. Das Motto ist hier wirklich Entschleunigung." Beim Backen, so Mersman-Pohl zähle hier nicht der Profit, sondern wie ein Produkt entsteht.

Ergo-Therapeutin Monika Binner im Gespräch mit einer Kundin des Backhauses Copyright: DW/Günther Birkenstock
Monika Binner im Gespräch mit einer Kundin des BackhausesBild: DW/G. Birkenstock

Soviele wie möglich beteiligen

Das im April eröffnete Backhaus war von den Verantwortlichen von Anfang an als weitgreifendes Inklusions-Projekt gedacht. Mit seiner Vielfalt sei es mehr als nur der Teil eines Rehabilitationszentrums, betont Christiane Mersman-Pohl. "Es bietet Arbeitsplätze, ist eine Öffnung in den Stadtteil, ein Angebot an Nachbarn und hier können Seminare stattfinden". Außerdem gibt es eine kleine Kunstbühne. Im Backhaus finden kulturelle Veranstaltungen, Konzerte und Lesungen statt, die "Klienten" und Gäste zusammenbringen. Um ein breites Publikum zu erreichen, bemühen sich die Leiter des Backhauses um eine breite öffentliche Vernetzung. So ist das Projekt auf mehreren Internetseiten von Stadt und Händlerinitiativen zu finden, die Freizeitaktionen anbieten. "Wir hatten hier schon den Kirchenkreis, der einen Backkurs gemacht hat, eine Firma, die ein Seminar als Mitarbeiter-Ausflug hatte und auch Kindergärten." Soviele Menschen wie möglich aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen und Altersgruppen zusammenzubringen, sei das Ziel und das Beste für die Inklusion, so Mersman-Pohl. "Das soll sich durchmischen." Damit das Konzept aufgeht - wie ein guter Teig.

Obertitel Inklusion Titel: Backhaus Lennep Quelle: Augusta-Hardt-Heim, Ambulante und stationäre Hilfen für Menschen mit psychischer Erkrankung
Das Backhaus LennepBild: Augusta-Hardt-Heim