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Bach-Gesamtausgabe von Gustav Mahler

Gaby Reucher
23. Februar 2021

Das Bach-Archiv Leipzig hat ein Exemplar der ersten Gesamtausgabe von Bachs Werken erworben. Das Besondere: Sie enthält Eintragungen von Gustav Mahler.

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Auf einem Tisch stehen Stapel mit alten Notenbücher, eines ist aufgeschlagen vor einer Büste von Johann Sebastian Bach.
Von Bach zu Mahler: Erste Gesamtausgabe der Werke Johann Sebastian BachBild: Bach-Archiv/Gert Mothes

Das Bach-Archiv Leipzig sorgt immer wieder für Schlagzeilen, wenn es um spektakuläre Ankäufe oder Schenkungen von Dokumenten rund um den Komponisten Johann Sebastian Bach geht: 2015 erbte das Archiv ein wertvolles authentisches Bachportrait des Malers Elias Gottlob Haußmann, das aus den USA nach Leipzig zurückkehrte. 2017 war es dann eine Handschrift der berühmten Kantate "Oh Ewigkeit, du Donnerwort", die für knapp zwei Millionen Euro den Besitzer wechselte.

Das Bachportrait steht auf einer Staffelei nach der Enthüllung, im Hintergund der Thomanerchor
Dieses Bach-Portrait von Elias Gottlob Haußmann kehrte 2015 nach Leipzig zurückBild: Imago

Für die Weltöffentlichkeit überraschend konnte das Archiv jetzt ein Exemplar der ersten Bach-Gesamtausgabe erwerben, das aus dem Besitz des Komponisten Gustav Mahler stammt. Der wiederum hat handschriftliche Notizen in der Ausgabe hinterlassen, die sowohl für Bach- als auch für Mahler-Experten von großem Wert sind. Bislang schlummerte dieser Schatz im Verborgenen - erst jetzt kommt er an die Öffentlichkeit.

Ein Schmuckstück für das Bach-Archiv

Das Bach-Archiv Leipzig erforscht das Leben und Werk von Johann Sebastian Bach und seiner weit verzweigten Musikerfamilie. In Leipzig war Johann Sebastian Bach von 1723 bis zu seinem Tod 1750 Thomaskantor. Zum jährlichen Bachfest, das vom Bach-Archiv organisiert wird, kommen mehr als 70.000 Besucher aus aller Welt, um Bachs Musik an Original-Schauplätzen zu erleben.

Peter Wollny blättert in Noten vor ihm auf dem Tisch
Peter Wollny, Direktor des Bach-Archivs Leipzig, blättert in den Autographen von Gustav MahlerBild: Bach-Archiv/Gert Mothes

Peter Wollny, Direktor des Bach-Archivs, verspricht sich vom Kauf der Gesamtausgabe einen neuen Impuls für die Forschung. Zu Bachs Rezeptionsgeschichte gäbe es schon viel Material aus dem 19. Jahrhundert. Anhand der Anmerkungen von Gustav Mahler in seiner Ausgabe könne man nun mehr darüber erfahren, wie Bachs Musik Anfang des 20. Jahrhunderts gespielt und interpretiert wurde, so Wollny im Gespräch mit der DW. "Außerdem sind es attraktive Bände mit schönen Jugendstil-Ornamenten - da freue ich mich, die in der Ausstellung zu haben." Nach der Sichtung und Katalogisierung sollen die 59 Bände aus Mahlers Erbe der Wissenschaft weltweit für Forschungszwecke zur Verfügung stehen.

Gustav Mahlers Interesse an Bach

Gustav Mahler, der vor 110 Jahre verstarb, hat nicht nur Anmerkungen in den Partituren einiger Bände hinterlassen, sondern auch fünf Autographenseiten mit einer Bearbeitung von Bachs Gavotte aus der 3. Orchestersuite.

Gerade der Band mit den Orchestersuiten sei für die Rezeption interessant, sagt Wollny und bezieht sich dabei auf Mahlers Bearbeitung zweier Bachsuiten, die er 1909 erstmals als Dirigent in New York im Rahmen seiner "Historical Concerts" vorstellte. Er nahm dabei Teile der 2. und 3. Orchestersuite Johann Sebastian Bachs und setzte sie zu einem eigenen sinfonischen Werk zusammen. Mit dabei das berühmte Air aus der 3. Orchestersuite.

Notenblätter mit Anmerkungen von Gustav Mahler
Gustav Mahlers Einträge und Autographe zu Bachs OrchestersuitenBild: Bach-Archiv/Gert Mothes

"Seine Anmerkungen zeigen sehr detailliert, was ihm wichtig ist", sagt Peter Wollny. Auf den ersten Blick falle auf, dass er seine Notizen in verschiedenen Farben eingezeichnet hat. Große dynamische Linien und markierte Höhepunkte bei der Phrasierung sowie Veränderungen in der Instrumentierung geben eine Vorstellung davon, wie sich Mahler den Klang von Bachs Musik vorstellte. Denn Aufnahmen der Konzerte unter Mahlers Dirigat gab es trotz der fortgeschrittenen Technik zu jener Zeit noch nicht.

Bach war nicht immer berühmt

Auf den Spuren von Johann Sebastian Bach

Die Orchesterwerke von Johann Sebastian Bach waren nach seinem Tod 1750 zunächst in Vergessenheit geraten. Seine Söhne, darunter Carl Philipp Emanuel Bach, und Komponisten wie Haydn, Mozart oder Beethoven gaben damals den Ton an. Erst rund 100 Jahre später erlebte Bachs Musik ein großes Revival. 1829 führte der Komponist, Dirigent und Mitbegründer der historischen Musikpflege Felix Mendelssohn Bartholdy erstmals Bachs berühmte Matthäus-Passion in einer Bearbeitung wieder auf.

Mendelssohn war es auch, der Bachs Orchestersuiten in seiner Zeit als Kapellmeister des Gewandhausorchesters Leipzig wieder bekannt machte. Die erste Gesamtausgabe der Bachschen Werke erschien ab 1851 nach und nach im Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel. Namhafte Leipziger und internationale Musiker hatten das Ganze initiiert.

Mahlers Bach-Gesamtausgabe: von London nach Leipzig

Gustav Mahlers Ehefrau, Alma Mahler-Werfel, schrieb in ihrer Autobiografie, dass die Bände der Bach-Gesamtausgabe in Mahlers "Komponierhäuschen" am Wörthersee gestanden hätten. "In dieser Zeit arbeitete Mahler gerade an seiner cis-Moll Sinfonie mit polyphonen Strukturen", erläutert Peter Wollny, Direktor des Bach-Archivs. "Er hat sich Gedanken über das eigene Komponieren gemacht - darüber, wie sich Polyphonik und Harmonik aufeinander beziehen."

Altes schwarz-weiß Foto zeigt den jungen Gustav Mahler mit Brille.
Gustav Mahler arbeitete in seiner Leipziger Zeit mit dem Gewandhausorchester zusammen

Die Gesamtausgabe blieb jahrelang im Familienbesitz der Mahlers. Die Enkelin von Gustav Mahler hat sie dann 1992 über eine Versteigerung bei Sotheby's an den Londoner Privatsammler Sir Ralph Kohn verkauft. "Ich wusste seit vielen Jahren, wo die Ausgabe ist", sagt Peter Wollny. Ralph Kohn, der 2016 verstorben ist, war gebürtiger Leipziger, der als Jude vor den Nationalsozialisten fliehen musste. "Wir haben ihn regelmäßig zum Bachfest eingeladen", erzählt Wollny. "Er sagte mir einmal, Bachs Musik sei es gelungen, ihn als vertriebenen Juden mit Deutschland wieder auszusöhnen."

Mit finanzieller Unterstützung der B.H. Breslauer Foundation, der Kulturstiftung der Länder sowie mit Unterstützung zahlreicher privater Spenderinnen und Spender konnte das Bach-Archiv die 59 Bände von Kohns Erben nun für rund 120.000 Euro (100.000 britische Pfund) erwerben.