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Attraktiv trotz Gefahr?

Arne Lichtenberg13. Januar 2013

Auslandseinsätze, Reformdruck und Aussetzung der Wehrpflicht führen nicht zu Nachwuchsmangel bei der Bundeswehr. Das Berufsleben vieler Soldaten scheint allerdings an die Belastungsgrenzen zu gehen.

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Ein deutscher Bundeswehrsoldat in Afghanistan Foto: Fabrizio Bensch
Bild: Reuters

Sie kommen für mindestens zwei Jahre und bleiben in der Regel maximal zwölf. Mindestens zwei Mal müssen sie während der langen Dienstzeit ins Ausland. Sie bekommen ein ansprechendes Gehalt mit Zulagen und Weihnachtsgeld, werden verpflegt, haben Anspruch auf ärztliche Versorgung und ihr Arbeitsplatz gilt als krisensicher. Klingt interessant? So lautet das Stellenprofil eines Zeitsoldaten der Bundeswehr. Und das scheint immer noch für viele verlockend zu sein.

Nach Aussetzen der Wehrpflicht am 1. Juli 2011 musste sich die Bundeswehr radikal umstellen. Kamen bisher automatisch über 60.000 Grundwehrdienstleistende jedes Jahr neu zur Truppe, muss sich die Bundeswehr mit Werbeanzeigen in Zeitungen und Zeitschriften, Abenteuercamps, Schulbesuchen und Auftritten auf Karrieremessen selber und aktiv um Nachwuchs bemühen. Trotz aller pessimistischen Prognosen über Personalsorgen scheint das Konzept aufzugehen, denn einen Bewerbermangel gibt es nicht. 3500 junge Menschen begannen zum 1. Januar 2013 ihre militärische Laufbahn als Zeitsoldat. Damit hat die Bundeswehr bereits zu Anfang des Jahres ihren Jahresbedarf zu fast 25 Prozent gedeckt. Insgesamt benötigt die Truppe in diesem Jahr 16.150 neue Zeitsoldaten. Man liegt also im Soll. Es könnten genug junge Leute für die Laufbahn des Zeitsoldaten begeistert werden, heißt es auf DW-Anfrage aus dem Bundesverteidigungsministerium. Allein im Jahr 2012 gab es demnach 40.000 Bewerber.

In anderen Ländern sind die Bewerberzahlen höher

Der Bundestagsabgeordnete Harald Koch von der Linkspartei, die den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan kategorisch ablehnt, sieht die Zahlen nicht ganz so euphorisch. "Statistiken anderer Armeen in Europa zeigen, dass die Bewerberzahlen dort höher liegen." Auch die hohe Abbrecherquote von 30,4 Prozent bei den freiwillig Wehrdienstleistenden sei nicht zu verharmlosen. "Das zeigt, dass das, was bei den Bewerbungen versprochen wird, nicht dem entspricht, was die jungen Menschen dann in der Bundeswehr erleben."

Harald Koch Foto: Achim Melde (Lichtblick)
Harald Koch: "Hohe Abbrecherquote"Bild: Deutscher Bundestag/Lichtblick/Achim Melde

Für Bewerber hat die Bundeswehr aber anscheinend immer noch überzeugende Argumente auf der Hand. Neben dem sicheren Einkommen, sei die Arbeit für die Soldaten bei der Bundeswehr sehr vielfältig, heißt es aus dem Ministerium. Zudem verfüge die Bundeswehr über einen eigenen Berufsförderungsdienst. Die Zeitsoldaten können somit während ihrer Dienstzeit Ausbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten absolvieren, bei gleichbleibenden Gehaltszahlungen.

So verbringen Soldaten, die sich beispielsweise für zwölf Jahre verpflichtet haben, meist nur effektiv zehn Dienstjahre in der Armee. Die letzten zwei Jahre machen sie eine Ausbildung oder eine Meisterprüfung, um fit für die freie Wirtschaft zu sein. "Die Bundeswehr bietet lukrative Ausbildungen, das kann kein anderes Unternehmen in diesem Rahmen leisten", fügt der Linke-Wehrexperte Harald Koch hinzu. Abiturienten beispielsweise können bei der Bundeswehr die Offizierslaufbahn einschlagen und während ihrer Dienstzeit ein Studium abschließen - auf Kosten der Bundeswehr. Sicher ein attraktives Angebot in Zeiten von Studiengebühren und steigenden Mieten in Universitätsstädten.

Hohe Trennungs- und Scheidungsquote

Es gibt aber Schattenseiten. Die Bundeswehr steckt inmitten einer weitreichenden Strukturreform: Weg von einer reinen Verteidigungsarmee hin zu einer Einsatzarmee. Was das in der Realität genau bedeutet, würden viele erst während ihrer Dienstzeit wirklich begreifen, sagt Koch. "Die treffen da auf Kameraden, die schon im Einsatz waren, hören deren Probleme und Schilderungen und sagen dann: 'Das ist mir die Sache nicht wert'."

Die Auslandseinsätze werden in der Tat zu einer immer größeren Belastung für die Soldaten. Einige kehren traumatisiert aus den Einsatzgebieten zurück und haben Schwierigkeiten sich wieder im normalen Alltag zurechtzufinden. Besonders für Familien werden die Einsätze zur Belastungsprobe. "Bei Offizieren liegt die Trennungsquote bei fast 90 Prozent", sagt Harald Koch. Belegt werden die Zahlen vom Wehrbericht 2011 des Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus (FDP). Die Trennungs- und Scheidungsrate der Soldaten liegt zufolge in einigen Einheiten bei 80 Prozent. Auch falle es "vielen Soldaten schwer, überhaupt ein soziales Umfeld aufzubauen."

Eine Luftabwehrrakete vom Typ "Patriot" wird zu Testzwecken abgeschossen Foto: dapd
Patriot-Raketenabwehr: In der Türkei steht die Bundeswehr vor ihrem nächsten EinsatzBild: dapd

Eine Belastung sind zudem die häufigen Standortwechsel innerhalb Deutschlands in einer Soldatenkarriere. 70 Prozent der Soldaten sind Pendler, die in einer Kaserne fern der Heimat stationiert sind. Nur am Wochenende können sie nach Hause fahren und sich dem Familienleben widmen. Die Bundeswehr hat das Problem erkannt und will gegensteuern. Man wolle sich familienfreundlicher aufstellen, sagt eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums: "Wir versuchen die Soldaten heimatnah einzusetzen. Was auch neu ist, dass wir die Lebenspartner in die Personalgespräche einbinden."

Wegen Personalmangel Krankenhausabteilung geschlossen

Viel mehr schockiert hat Harald Koch von der Linksfraktion aber ein Erlebnis aus dem Verteidigungsausschuss des Bundestages. Als sich die Lage in Afghanistan 2009/2010 zuspitzte, habe man die Abteilung für Brandopfer im zentralen Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz aus Personalmangel schließen müssen. "Ich habe das zuerst nicht glauben wollen und musste nachfragen. Da schickt man Leute ins Feuer, kümmert sich aber nicht darum, dass sie die richtige Versorgung bekommen. Das ist definitiv keine gute Werbung."

Auch wenn die Bundeswehr aktuell noch keine akuten Personalprobleme hat, der demografische Wandel wird sicher auch für Heer, Marine und Luftwaffe zu einer großen Herausforderung. Man habe das natürlich im Blick, versucht das Verteidigungsministerium zu beruhigen.