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Arbeiten im Alter

Rayna Breuer23. November 2012

Angst vor Altersarmut oder der Wunsch nach Teilhabe am gesellschaftlichen Leben? Die Gründe, länger im Beruf zu bleiben, sind unterschiedlich. Fest steht: Immer mehr Menschen in Deutschland gehen später in Rente.

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Das Bild zeigt einen älteren Arbeitnhemer bei der Autoproduktion (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Sich mit dem Chef auseinandersetzen, Projektfristen einhalten, an kräftezehrenden Konferenzen teilnehmen - was ist bloß in den letzten zehn Jahren in den Köpfen der älteren Arbeitnehmer vorgegangen, dass sich immer mehr von ihnen das antun wollen? Um genau zu sein: Es gibt in Deutschland doppelt so viele berufstätige Menschen im Alter von 60 bis 64 Jahren im Vergleich zu 2001, das zeigt eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Demnach ist der Anteil in dieser Altersgruppe von 21,4 Prozent auf 44,2 Prozent gestiegen. Deutschland ist damit im Vergleich zu den übrigen OECD-Staaten überdurchschnittlich und auch im EU-Vergleich liegt es weit vorne bei der Beschäftigungsrate der über 60-Jährigen. Ein Lob für die Politiker? Ja, meint die OECD - das Renteneintrittsalter wurde stufenweise erhöht, die Möglichkeiten, früher in den Ruhestand zu gehen, wurden begrenzt. Unabhängig von den politischen Maßnahmen hat aber auch eine andere Erscheinung zu diesem Ergebnis beigetragen: das neue Verständnis von Arbeiten.

Das Leben nach dem Berufsleben

Bernhard Switaiski und Klaus von Holt - beide berufstätig, beide über 60 und beide zufrieden mit dem Job. Der erste vermittelt Stellen, der andere wurde vor kurzem vermittelt. "Generell besteht eine gewisse Besorgnis bei den älteren Arbeitnehmern, dass es mit dem Einsetzen des Renteneintrittsalters zu großen Abschlägen kommt. Die Leute versuchen deswegen, solange wie möglich in Lohn und Brot zu bleiben", beobachtet von Holt. Für ihn waren es aber in erster Linie andere Motive: "Ich hätte es schade gefunden, wenn ich meine Erfahrungen, die ich in meinem ganzen Berufsleben auf verschiedenen Arbeitsfeldern sammeln durfte, nirgendwo mehr hätte einbringen können", sagt Klaus von Holt.

Bernhard Switaiski, Berater bei der Agentur für Arbeit in Bonn (Foto: Bernhard Switaiski)
Der Berater: Bernhard SwitaiskiBild: privat

Er ist 62 Jahre alt und entsprechend lang ist sein Lebenslauf - Physik in Bonn studiert, während der Promotion ein Medizinstudium im Bereich Rechtsmedizin abgeschlossen, später hat er noch eine Weiterbildung im Fach Toxikologie absolviert. Nachdem er mehrere Jahre in der Industrie und zuletzt als selbstständiger Berater tätig war, hat von Holt vor wenigen Wochen eine befristete Stelle am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE) in Bonn angenommen. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter erforscht er in einer interdisziplinären Gruppe nun die Nebenwirkungen bei der Medikation von älteren Patienten.

Bernhard Switaiski ist zwei Jahre älter - also 64 Jahre alt. Er ist Berater bei der Agentur für Arbeit in Bonn. Wegen des Pflegefalls seiner Ehefrau arbeitet er in Teilzeit - 19 Stunden in der Woche. Im Juni nächsten Jahres geht er in Rente: "Ich habe keine Angst, danach in ein Loch zu fallen. Ich bin ehrenamtlich tätig, gesellschaftlich und persönlich in ein gutes Netzwerk eingebunden, aber es ist nicht so, dass ich die Tage bis zum Renteneintritt zähle. Ich mache meine Arbeit sehr gerne", sagt Switaiski.

Anspruch auf gesellschaftliche Teilhabe

Die Lebenserwartung in Deutschland ist seit 1960 um rund 10 Jahre gestiegen, die Phase der Nichtbeschäftigung ist folglich deutlich länger geworden. Dazu kommt die konstant niedrige Geburtenrate in Deutschland und schon ist der Fall für Switaiski klar: "Es ist notwendig, dass Ältere länger im Erwerbsprozess bleiben müssen". Um das jetzige System finanzieren zu können, dürfe die Zeit vom Eintritt in die Rente bis zum Lebensende nicht zu lang sein. "Sonst wird das Rentenniveau sinken und es wird zu einem Anstieg der Altersarmut kommen", meint Switaiski.

Info-Grafik: Anteil der Arbeitnehmer im Alter zwischen 60 und 64. (Foto: DW-Grafik)

Deutschland hat sich lange den Luxus geleistet, das Arbeitspotenzial älterer Arbeitnehmer ungenutzt zu lassen. Die Politik bot älteren Arbeitnehmern Anreize für ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Berufsleben. Mit dem Argument - die Beschäftigungschancen für junge Menschen zu verbessern. Seit 2005 hat Deutschland wichtige Reformen auf den Weg gebracht und so die meisten Empfehlungen der OECD umgesetzt, um ältere Arbeitnehmer länger im Erwerbsprozess zu halten.

Neben den politischen Schritten, die in den vergangenen Jahren unternommen wurden, beobachtet Switaiski auch einen Wertewandel in der Arbeitswelt: "Da es früher atypisch war, als 55-Jähriger noch zu arbeiten, kamen auch damals mehr Menschen auf die Idee, nicht zu arbeiten." Dagegen gebe es heute immer mehr Leute, die sogar über 65 Jahre alt seien und arbeiten gingen. Dabei spielten nicht nur finanzielle Gründe eine Rolle, "vielen geht es um die Teilhaben am gesellschaftlichen Leben".

Schwierigkeiten bei der Jobsuche

Lediglich zwei bis drei Wochen habe es gedauert bis von Holt die ersten Einladungen zum Vorstellungsgespräch erhielt. Nach sechs Monaten habe er sich dann für seinen jetzigen Arbeitgeber entschieden. Doch so leicht und schnell geht es nur bei wenigen Arbeitssuchenden, die ein gewisses Alter überschritten haben: "Ich war an einem Forschungsinstitut beschäftigt, das letztes Jahr aufgelöst wurde. Meine ehemaligen Kollegen im Alter von 40 bis 55 haben teilweise sehr große Schwierigkeiten, neue Positionen zu finden," erzählt von Holt. "Wenn ein älterer Arbeitnehmer eine adäquate Position sucht, dann ist er Konkurrenz in der mittleren oder höheren Führungsebene und das stößt auf große Widerstände. Deswegen haben sich die Kollegen, von denen ich weiß, dass sie irgendwo untergekommen sind, sehr zurückgenommen", sagt von Holt. Die meisten müssten sich unter Wert verkaufen und als einfache Mitarbeiter ins Glied einordnen, nur so seien sie akzeptiert worden.

Klaus von Holt, Toxikologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am DZNE (Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen) (Foto: Klaus von Holt)
Der Toxikologe: Klaus von HoltBild: privat

Switaiski sieht es ähnlich: "Die Gefahr, arbeitslos zu werden, ist bei den Älteren zwar geringer als bei jungen Leuten, aber wenn sie einmal arbeitslos sind und um die 60, dann haben sie es deutlich schwerer, eine Stelle zu finden als ein Jüngerer." Da sei der Arbeitsmarkt noch nicht soweit, um erkennen zu können, dass dieses Erfahrungspotenzial etwas ganz Wertvolles sei, und dass jemand der 58 ist, noch immerhin neun Jahre arbeiten könne und wolle, ergänzt Switaiski.

Von Holt kann und will noch bis zum Rentenalter arbeiten - sein Alter stellt ihm in seiner jetzigen Arbeit keine Hürden auf. Er erwägt sogar, danach als selbständiger Berater oder in Teilzeit weiter beruflich tätig zu sein.