1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

AI: "Situation der syrischen Flüchtlinge in Jordanien ist trostlos"

Kersten Knipp2. November 2013

Einem Bericht von Amnesty International zufolge leben syrische Flüchtlinge in Jordanien unter härtesten Bedingungen. Besonders schwierig sei die Lage für junge Mädchen, sagt die Amnesty-Expertin Ruth Jüttner.

https://p.dw.com/p/1A9aL
Ruth Jüttner, Nahost-Referentin bei Amnesty International, 13.02.2011 (Foto: Horst Galuschka)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Frau Jüttner, wie steht es um die Einreise syrischer Flüchtlinge nach Jordanien: Wer darf rein, wer wird abgewiesen und warum?

Ruth Jüttner: Für die Grenze zu Jordanien gilt offiziell, dass jeder rein kann. Faktisch sieht es aber ganz anders aus. Besonders betroffen sind palästinensische Flüchtlinge aus Syrien. Ihnen wird seit Anfang 2012 die Einreise verweigert, ebenso irakischen Flüchtlingen, die bereits vor dem Krieg im Irak nach Syrien geflohen sind. Auch Flüchtlinge ohne Papiere dürfen nicht in das Land einreisen. Zudem wird zu bestimmten Zeiten die Grenze für sämtliche Flüchtlinge geschlossen.

Wie begründet das jordanische Königreich diese Entscheidung?

Es werden unterschiedliche Gründe angeführt. Hinsichtlich der palästinensischen Flüchtlinge wurde Amnesty gegenüber gesagt, man wolle deren Rückkehrrecht nach Israel nicht beeinträchtigen - ein zynisches Argument, das wir leider auch schon bei anderen Krisen gehört haben [Anm. der Red.: Das Rückkehrrecht ist aus Sicht mancher Beobachter nur ein vorgeschobenes Argument, um keine weiteren palästinensischen Flüchtlinge aufzunehmen]. In Bezug auf die irakischen Flüchtlinge erklären die jordanischen Behörden, sie hätten bereits 100.000 Menschen aufgenommen – und diese könnten nun eigentlich in den Irak zurückkehren. Aus unserer Sicht ist das problematisch, da im Irak jeden Monat mehrere hundert Menschen durch Anschläge und bei Kampfhandlungen sterben. Insgesamt weist die jordanische Regierung darauf hin, dass die Flüchtlingslager überfüllt sind – das ist ein Argument, dem wir folgen können. Erst bei neuen Lagerkapazitäten will Jordanien wieder neue Flüchtlinge aufnehmen. So ist die Situation der Flüchtlinge in Jordanien wirklich trostlos.

Wie geht es den syrischen Flüchtlingen, die bereits in Jordanien sind?

In Jordanien leben zurzeit etwa 550.000 Flüchtlinge. Die Situation ist für sie extrem schwierig. Etwa zwei Drittel dieser Menschen wohnen außerhalb der Flüchtlingslager. Dort führen sie einen Überlebenskampf. In Sachen Unterkunft, Lebensmittel und medizinische Behandlung sind sie auf sich selbst angewiesen. Die Hälfte der Flüchtlinge sind Kinder unter 18 Jahren. Nur ein ganz kleiner Teil von ihnen geht zur Schule. Viele sind schwer traumatisiert und sehen keine Zukunftsperspektiven. Zudem müssen sehr viele Kinder arbeiten, um zum Überleben ihrer Familie beizutragen.

Zaatari-Flüchtlingslager in Jordanien (Foto: Getty Images)
Die Lager in Jordanien (hier das Lager Zaatari) sind vollBild: Getty Images

Wie stellt sich die Situation der Frauen in den Flüchtlingslagern dar?

Jordanischen wie internationalen Medienberichten zufolge nutzen meist ältere Männer aus Jordanien, aber auch aus den Golfstaaten die Notlage junger syrischer Mädchen aus, indem sie sie zur Heirat überreden wollen. Dabei laufen diese Mädchen leicht Gefahr, sexuell ausgenutzt zu werden. Es ist sehr schwierig solche Berichte zu überprüfen. In Gesprächen mit syrischen Flüchtlingsfamilien hatten wir sehr oft den Eindruck, dass diese es ablehnen, ihre Töchter an Nicht-Syrer zu verheiraten. Wir haben außerdem festgestellt, dass syrische Frauen und Mädchen sexueller Belästigung ausgesetzt sind. Frauen, die auf der Suche nach Arbeit waren, wurden ebenfalls Heiratsangebote gemacht. Auch dies ist eine Art, Druck auszuüben.

Auch anderswo sind syrische Flüchtlinge in Not, etwa in Ägypten. Wie begegnet ihnen die Bevölkerung dort?

In Ägypten hat sich die Situation der syrischen Flüchtlinge seit der Amtsenthebung von Präsident Mohammed Mursi massiv verschlechtert. Die neue Übergangsregierung hat im Juli einen Visumszwang für Syrer eingeführt. Darum kommen jetzt kaum noch neue syrische Flüchtlinge in das Land. Die Stimmung im Land hat sich verschlechtert. In der Bevölkerung breitet sich eine feindliche Stimmung ihnen gegenüber aus. Auch häufen sich willkürliche Festnahmen durch die Sicherheitskräfte. Wenn Syrer versuchen, illegal aus Ägypten auszureisen und dabei von der Küstenwache aufgegriffen werden, werden sie inhaftiert – teils über mehrere Wochen. Die Syrer werden vor die Wahl gestellt: Sie können entweder zurück nach Syrien oder sie bleiben im Gefängnis. Solche Zwangsabschiebungen sind ein Verstoß gegen internationales Recht. Denn syrische Flüchtlinge haben nach dem Völkerrecht ein Anrecht auf Schutz, da ihnen in Syrien Gefahr für Leib und Leben droht.

Was schlägt Amnesty vor, um der Notlage der syrischen Flüchtlinge zu begegnen?

Die Nachbarstaaten Syriens tragen die Hauptlast dieser Flüchtlingskrise. In den Staaten der Region halten sich 2,2 Millionen syrische Flüchtlinge auf. Damit die Nachbarstaaten den Flüchtlingen weiterhin Schutz bieten, muss die internationale Gemeinschaft die humanitäre Hilfe massiv aufstocken. Der UN-Regionalplan ist bislang nur zu 47 Prozent finanziert. Das heißt, es sind noch erhebliche weitere finanzielle Zuwendungen nötig. Die Europäische Union fordern wir gemeinsam mit dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nation auf, mehr Möglichkeiten zu schaffen, um besonders schutzbedürftige syrische Flüchtlinge in humanitäre Aufnahmeprogramme einzugliedern. Mit einer solchen humanitären Geste könnte man Syriens Nachbarstaaten entlasten.

Ruth Jüttner ist Nahost-Referentin bei Amnesty International.