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Tür an Tür

23. September 2011

Krieg und Frieden, Handel und Heirat - Die Geschichte der Deutschen und Polen ist eng miteinander verknüpft. Von wechselvollen Beziehungen, Höhen und Tiefen erzählt jetzt eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau Berlin.

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Hedwigslegende (© Universitätsbibliothek Augsburg) Die Handschrift umfasst die Legende der Heiligen Hedwig von Schlesien (1174-1243) in deutscher Übersetzung. Hier ist der von Hedwig initiierte Bau des Zisterzienserinnenklosters Trebnitz zu sehen.
Handschrift der Hl. Hedwig von SchlesienBild: Universitätsbibliothek Augsburg

An die tausend Jahre leben sie nun nebeneinander, Deutsche und Polen. Wie Nachbarn, Tür an Tür. Im Laufe der Jahrhunderte haben sie sich mal besser und gelegentlich leider auch sehr schlecht verstanden. Sie haben sich besucht, zusammen gefeiert, untereinander geheiratet. Dispute haben sie geführt, die gleichen Künstler und Gelehrten bewundert, und sie haben sich kritisch beäugt, haben sich bekriegt, gehasst und vernichtet. Das düsterste Kapitel der langen gemeinsamen Geschichte begann mit den Teilungen Polens im späten 18. Jahrhundert und endete mit dem Zivilisationsbruch der Nationalsozialisten - mit Deportationen, Massenmorden, Besatzung und Vertreibung.

Vergebung und Versöhnung

'Erschießung mit einem Jungen' (© Muzeum Narodowe w Poznaniu, Poznan)
Erschießung mit einem Jungen (Andrezej Wróblewski)Bild: Muzeum Narodowe w Poznaniu, Poznan

Am 7. Dezember 1970, unmittelbar vor Unterzeichnung des Warschauer Vertrags zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland, kniete Bundeskanzler Willy Brandt vor dem Ehrenmal der Helden des Ghettos in Warschau nieder – eine Demutsbekundung, die international als Bitte um Vergebung gewertet wurde. Vor zwanzig Jahren wurde schließlich mit dem deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag ein Fundament für intensive und partnerschaftliche Beziehungen der beiden Länder gelegt.

Eine Geschichte vieler Generationen

Und nun soll die von der polnischen Kuratorin Anda Rottenberg konzipierte Ausstellung "Tür an Tür. Polen - Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte" die Kraft der jahrhundertealten Verbindungen und die Loyalität gegenüber der Idee des Dialogs und der Gemeinschaft symbolisieren. Das jedenfalls schreibt Wladyslaw Bartoszewski, Staatsekretär in der Kanzlei des Premierministers der Republik Polen und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates der Ausstellung, im Vorwort des Begleitkatalogs. Der ist mit 780 Seiten übrigens ebenso üppig ausgefallen wie die Schau im Martin-Gropius-Bau, die in 19 Sälen rund 800 Exponate und eben die wechselvolle Geschichte aus 1000 Jahren präsentiert.

'Allegorie des Reichtums' (© Muzeum Narodowe w Poznaniu, Poznan)
Allegorie des Reichtums (Herman Han d. J.)Bild: Muzeum Narodowe w Poznaniu, Poznan

Geduld, Zeit und Entdeckerlust muss der Besucher mitbringen, der auf diesen mit Gemälden, Skulpturen, Handschriften, Schmuck, Gebetsbüchern, Fotos, Filmen und Dokumenten ausgestatten Parcours startet. Von den vielfältigen grenzüberschreitenden Verbindungen der Adelshäuser erfährt man hier zunächst und von frühen kulturellen Blüten der polnischen Monarchie. Deren Reichtum versinnbildlichten Portraits großer Meister wie Cranach der Ältere, Martin Kober oder Pieter Danckerts de Rij. Denn auch die Künstler arbeiteten gerne hüben wie drüben. So war der Holzschnitzer Veit Stoß ebenso Bürger der Stadt Nürnberg wie der polnischen Residenz Krakau. 19 Jahre (1477 – 96) lebte und arbeitete er dort und schuf mit dem Hauptaltar der Marienkirche eines der bedeutendsten Kunstwerke Polens. Wie eindrucksvoll seine Kunst ist, belegt in der Ausstellung eine erstaunliche Sammlung seiner Skulpturen, Zeichnungen und Kupferstiche.

Füllhorn der Geschichten

'Nicolaus Copernicus' (© Muzeum Okręgowe w Toruniu, Thorn)
Nicolaus Copernicus (Unbekannter Künstler)Bild: Muzeum Okręgowe w Toruniu, Thorn

Im riesigen Fundus dieser Schau begegnet man Schätzen der Kunstgeschichte und kleinen Stücken, die alle ihre Geschichte erzählen wollen – dass der Astronom Nikolaus Copernicus von den nationalen Geschichtsschreibungen in Polen und Deutschland jeweils ausschließlich für die eigene Nation beansprucht wurde, wie aus dem Staat der Deutschordensritter 1525 das Herzogtum Preußen wurde, dass deutsche Kaufleute nach Polen kamen und sich integrierten und dass die Aufteilung des geschwächten Landes (zwischen 1772 und 1795) durch die Nachbarn Preußen, Russland und Österreich bis heute ein nationales Trauma ist.

Dunkles Jahrhundert

Das 20. Jahrhundert mit seinen dunklen Kapiteln nimmt beinahe die Hälfte der Ausstellungsfläche im Martin-Gropius-Bau ein. Hier wird die Geschichte überwiegend in Kunstwerken gespiegelt. Arnold Schönbergs Notenhandschrift "A Survivor from Warsaw" liegt aus, in der er Berichte aus dem Warschauer Ghetto verarbeitete, Lagerbriefe, geschrieben in deutscher Sprache, Reliquien wie das Postpaket mit der Asche eines Krakauer Professors, den die Deutschen 1939 zusammen mit 180 Kollegen ins Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt hatten, und der surreale Bilderzyklus "Erschießung" von Andrzej Wrobléwski über die deutschen Massenexekutionen polnischer Zivilisten.

'Entartete Kunst Lebt' (© Courtesy Annet Gerlink Gallery, Amsterdam)
Entartete Kunst Lebt (Yael Bartana)Bild: Courtesy Annet Gerlink Gallery, Amsterdam

Und dann ist da die Geschichte der 1980er Jahre, die polnische Solidarnosc-Bewegung, und die Künstler, die zwischen beiden Staaten vermittelt haben – in Polen und in Deutschland. Günter Ueckers "Splitter für Polen", ein Schlüsselwerk der Zeit, ist ebenso in der Ausstellung zu sehen wie Joseph Beuys "Polentransport 1981", eine symbolische Verpflanzung seiner künstlerischen Ideen.

Zukunft denken

"Wir sind zur Nachbarschaft "gezwungen - Tür an Tür", schreibt Wladyslaw Bartoszewski im Vorwort des Katalogs zur Ausstellung. Aber seit über zwanzig Jahren hätten wir nun endlich die Möglichkeit, in aller Offenheit auch über die schmerzhaften Themen zu sprechen und hierbei nach Lösungen zu suchen. Die Ausstellung möchte nun einen weiteren Beitrag zum gegenseitigen Verständnis leisten. Sie ist bis zum 9. Januar 2012 im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen.

Autorin: Silke Bartlick

Redaktion: Sabine Damaschke