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Altern könnte so schön sein

Kay-Alexander Scholz11. Januar 2013

Beim zweiten Berliner Demografieforum versuchten die Teilnehmer, Ängste vor dem demografischen Wandel zu nehmen. Altern könne schließlich auch Fortschritt bedeuten - wenn man rechtzeitig Weichen stellt.

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Senior bei der Arbeit (Foto: Fotolia.com)
Senior bei der ArbeitBild: ccfranken/Fotolia

Vor 30.000 Jahren vollzog sich eine erstaunliche Wandlung in der Menschheitsgeschichte.  Erstmals lebten einzelne Vertreter des Homo sapiens so lange, dass sie Großvater oder Großmutter wurden. "Damit veränderten sich das soziale Gefüge, denn die Alten konnten ihr Wissen weitergeben", sagte Bundesfamilienministerin Kristina Schröder in ihrer Eröffnungsrede beim zweiten Berliner Demografieforum. Erst dadurch sei die Entwicklung des modernen Menschen überhaupt möglich geworden.

Schröder bezieht sich damit auf noch recht junge wissenschaftliche Erkenntnisse. Sie stammen von der US-Anthropologin Rachel Caspari, die sich intensiv mit der Frage beschäftigt, welchen evolutionären Sinn das Altwerden damals hatte. Ihre These ist: Die ersten Omis und Opis vergrößerten die Sippe und übernahmen darin eine wichtige soziale Funktion. Der Homo sapiens hatte damit einen großen Vorteil gegenüber dem Neandertaler, der in der Regel bereits vor dem Großelternalter das Zeitliche segnete.

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder im Gespräch (Foto: Britta Pedersen/dpa)
Kristina Schröder: "Das soziale Gefüge ändert sich"Bild: picture-alliance/dpa

Junior und Senior

Heutzutage leben wir sogar im Zeitalter der Ur-Großeltern. Darauf ging Kristina Schröder allerdings nicht näher ein. Vielmehr unterstrich sie, wie wichtig für eine Gesellschaft die Weitergabe von Wissen sei. "Fortschritt braucht beides: das Erfahrungswissen der Alten und den Pioniergeist der Jungen." Teilhabe zu organisieren, Zusammenhalt zu gestalten und Austausch zu fördern, darin sieht die Ministerin die Aufgabe der Politik, den demografischen Wandel positiv und gewinnbringend zu gestalten.

Doch bis dahin muss noch einiges erledigt werden. Deutschland tat sich im internationalen Vergleich anfangs schwer, sich dem demografischen Wandel zu stellen. Seit erst zehn Jahren wird darüber öffentlich gesprochen. Und so richtig angekommen ist das Bewusstsein über die Herausforderungen einer älter werdenden Gesellschaft in der Politik erst vor wenigen Jahren. Seit Herbst 2011 gibt es eine offizielle Demografiestrategie der Bundesregierung. Kurz danach fand der erste Demografiegipfel der Bundesregierung statt. Das erste Berliner Demografieforum startete Anfang 2012 als eine internationale Debattenplattform. Nun also die Fortsetzung.

"Rentner sind keine Last"

"In Deutschland wird sich der Bevölkerungswandel viel stärker als zum Beispiel in Frankreich oder den USA vollziehen", warnte auf dem Demokratieforum 2013 eindringlich der stellvertretende Generalsekretär der OECD, Yves Leterme. Gründe sind die niedrige Geburtenrate und die steigende Lebenserwartung in Deutschland. Er forderte deshalb einen umfassenden Mentalitätswandel: Die Politik müsse die Bedürfnisse der Jugend stärker berücksichtigen und den Alten müsse gesagt werde, "welch wichtige Rolle sie in der Gesellschaft spielen und dass sie keine Last sind."

Australien sei beispielhaft, führte Leterme in Berlin aus. Dort gebe es zum Beispiel regelmäßig sogenannte Intergenerationenreports. Außerdem können australische Großeltern 50 Stunden pro Woche für die Pflege von Enkelkindern beanspruchen. Auch in Tschechien, Russland und Slowenien wird es Großeltern möglich gemacht einzuspringen, wenn die Eltern verhindert sind. Familienministerin Schröder wird dies gern gehört haben. Sie will in Deutschland eine "Großelternzeit" einführen.

"Absolutes Negativbeispiel"

Neben Leterme nahmen am diesjährigen Demografieforum hochkarätige Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft teil. Unter ihnen der Vorstandsvorsitzende des Allianz-Konzerns, Michael Diekmann. Das Thema Demografie müsse wie der Klimawandel national und international dauerhaft diskutiert werden, forderte Diekmann in seiner Rede. "Es wird umso schmerzhafter, je länger wir warten." Das sage er nicht nur als Vertreter der Versicherungswirtschaft, die derzeit mit niedrigen Zinsen bei Altersanlagen kämpfen müsse.

In einer anschließenden Diskussionsrunde kamen internationale Demografie-Experten zu Wort. Polen sei ein "absolutes Negativbeispiel", sagte Janina Joswiak von der Warschauer School of Economics. Innerhalb nur eines Jahrzehnts fiel die Geburtenrate von einer der höchsten in Europa auf eine der Niedrigsten. Das werde enorme Auswirkungen auf die Entwicklung der Alterspyramide haben. In China wachse die Gruppe der über 60-Jährigen jährlich um acht Millionen, berichtete Dan He, Direktorin der chinesischen Familien-Kommission. Deshalb werde das Land sich nun verstärkt mit dem Älterwerden befassen.

Neue Chancen

Demografische Veränderungen habe es immer gegeben, sagte Norbert Schneider, Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, schließlich gebe es keine stabilen Populationen. Neu allerdings seien Intensität und Tempo der Entwicklung. Zu beachten sei außerdem, so Schneider, dass es große Unterschiede zwischen den Ländern und Regionen gebe. Allgemeingültig aber seien aus seiner Sicht die Chancen auf lebenslanges Lernen, mehr Frauen mit Jobs, ein neues Verständnis von Solidarität und eine erweiterte Vorstellung von Migration. Zukünftig würden Migranten, auf die die alternden Gesellschaften verstärkt angewiesen seien, häufiger zwischen Ländern pendeln. Dazu wäre dann eine neue Willkommenskultur nötig. Und an die Vertreter der Wirtschaft gewandt sprach Schneider auch von den Chancen des "silbernen Marktes".

Intensiv diskutierten die Forumsteilnehmer das Thema Altersgrenzen. Warum zum Beispiel darf ein Bürgermeister in Deutschland nicht älter als 65 Jahre sein? Altersgrenzen gehörten abgeschafft, hieß es fast einhellig. "Wir brauchen eine flexiblere Lebenszeitplanung", forderte die 29-jährige Jasmin Passet als Teilnehmerin des Young Experts Panels. Erst Schule, dann Arbeiten, dann Ruhestand - das sei ein überkommenes Lebensmodell.

Einfach früh anfangen

Tipps zum Thema Job und Familie bekamen die weiblichen Young Experts von Ursula Lehr, ehemalige Bundesfamilienministerin und führende Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Familien- und Altersforschung. Die inzwischen 82-Jährige hat untersucht, warum Frauen in Deutschland immer später Kinder bekommen. Fehler habe auch die Politik gemacht, sagte Lehr, die Nachwuchs nur als Kostenfaktor dargestellt habe. Auch die verlängerte Jugendzeit spiele eine Rolle, neben dem noch immer in Deutschland verbreiteten Irrglauben, eine Frau sei eine Rabenmutter, wenn sie sich nicht 24 Stunden am Tag um ihr Kleinkind kümmere.

Bundesministerin a. D. Ursula Lehr (Foto: Ursula Lehr)
Bundesministerin a. D. Ursula LehrBild: Ursula Lehr

"Mehr Geld vom Staat motiviert nicht zu mehr Kindern", meinte Lehr mit Blick auf die vielen familienpolitischen Maßnahmen in Deutschland. Ihr Rat für die jungen Menschen laute: "Fangen sie früh an mit dem Kinderkriegen!"