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Das zweite Leben des "Dritten Reichs"

Jochen Kürten17. Januar 2014

Kino und TV-Regisseure beschäftigen sich immer wieder mit dem Thema Nationalsozialismus. Der Publizist Georg Seeßlen hat darüber geforscht. Im Interview blickt Seeßlen zurück.

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Filmpublizist Georg Seeßlen im Porträt (Bild: Bertz Fischer Verlag)
Bild: Bertz + Fischer Verlag

Georg Seeßlen dürfte hierzulande der Filmpublizist sein, der sich am intensivsten mit dem Umgang der Regisseure mit NS-Thematik beschäftigt hat. Er hat dazu zahlreiche Publikationen und Buchveröffentlichungen geschrieben und herausgegeben.

Deutsche Welle: Sie haben Ihre beiden jüngsten Bücher "Das zweite Leben des 'Dritten Reichs'" genannt - worauf bezieht sich das konkret?

Georg Seeßlen: Das "zweite Leben" ist ein Leben der Bilder und der Erzählungen, der Phantasmen und Träume. Ein gespenstisches Leben insofern, als es zugleich um das Darstellen und das Verbergen geht. Wir sind immer sehr ungenau umgegangen mit Vorstellungen vom "Verdrängen" oder "Beschweigen" und haben uns dabei mit einer Mischung aus Fatalismus und Empörung den Phänomenen gewidmet, da man die "braune Vergangenheit" wieder einmal hochkochen sah. Ich möchte mit meinen Büchern eine andere Geschichte der Aufhebung des deutschen Faschismus in der (populären) Kultur der Nachkriegszeit beginnen: Jenes sehr komplizierte Ineinander von Bewahren und Verneinen, das die Menschen meiner Generation als die Kultur empfinden mussten, in die man hinein wuchs.
Den Nationalsozialismus kann man einerseits nur als verbrecherische, totale Einheit ansehen und als solche ablehnen, so macht man es als aufrechter Antifaschist. Aber die kulturelle Praxis sah und sieht ganz anders aus. Da haben wir es mit einer widersprüchlichen Gemengelage, mit Widersprüchen und mit unscharfen Rändern zu tun.

Filmplakat Grün ist die Heide ( (Bild: Bertz Fischer Verlag)
Auch eine Form der Kriegsverdrängung: Das Kinoangebot der 1950er JahreBild: Bertz-Fischer Verlag

Sie beziehen sich ja auch speziell auf den Umgang von Film und Fernsehen mit dem Nationalsozialismus/Faschismus. Könnte man den Umgang des deutschen Kinos nach dem 2. Weltkrieg in Etappen einteilen?

Die Entwicklung der kulturellen "Behandlung" des Faschismus in Film und Fernsehen verlief zwar einerseits durchaus nach dem Prinzip einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, hat aber doch bemerkenswert klare "Kapitel", die ich nachzuzeichnen versuche. Von der Phase des exkulpierenden deutschen Kriegsfilms, der ja nicht zufällig parallel mit der deutschen Wiederbewaffnung und dem Eintritt in die geopolitische Allianz im Kalten Krieg zusammenfiel, über die Phasen der Sexualisierung und Psychologisierung in den siebziger Jahren bis hin zum "nationalen Feelgood Movie" unserer Tage.

Bedarf an einigenden Mythen

Wie beurteilen Sie die unsagbar vielen TV-Filme, die sich mit dem Thema beschäftigen?

Nach der Wiedervereinigung gab es einen gewissen Bedarf an einigenden Mythen zum Deutsch-Sein, und zugleich galt es, die "nationale Identität" als politische Karte auszuspielen. Man wollte um jeden Preis als eine Nation wie alle anderen gelten dürfen, und das schließt einen inszenierten Nationalstolz ebenso ein, wie eine "Versöhnung" mit der Geschichte. Aber zur gleichen Zeit gibt es auch einen gewissen Druck auf das, was wir "Erinnerungskultur" genannt haben, weil es so schön gemütlich klingt, also muss eine neue Verbindung aus Wahrnehmen und Ausblenden geschaffen werden. So dreist lügen wie in den fünfziger Jahren kann man auch nicht mehr. Aus diesem Widerspruch entsteht eine neue mythische und ästhetische Erzählweise, eine deutsche Mythologie des Lebens "unter" dem Nationalsozialismus.

Filmszene aus der US-TV-Serie Holocaust (Bild: Bertz Fischer Verlag)
Die US-Serie "Holocaust" (1978) beeinflusste auch deutsche FilmemacherBild: Bertz + Fischer Verlag

Sie schreiben: "Unsere Sehnsucht nach Bildern aus der Zeit des NS ist keineswegs stets und umfassend Sehnsucht nach dem Faschismus; es ist so etwas wie Heimweh nach einer entwirklichten, verlorenen Zeit." Wer sehnt sich nach dieser Zeit und warum?

Es ist ja in der Tat so etwas wie ein Verlust in der privaten wie in der kollektiven Geschichte. Man kann es weder verschwinden lassen, noch kann man es akzeptieren, wie es war. Man muss irgendwie damit lernen umzugehen, weil man ja, auch in der dritten und vierten Generation danach, nicht wirklich außerhalb davon sein kann. Dieses Problem scheint mir, haben wir nie wirklich begriffen, nie zu lösen versucht. Darum haben wir diese Mischung aus Verleugnung, Ablehnung und klammheimlicher Sehnsucht von Generation zu Generation weitergegeben. Die Menschen meiner Generation wuchsen ja mit Eltern auf, die sehr beredt schweigen konnten, die aber in aller Regel nicht verbargen, dass ihre "schönste Zeit", ihre Jugend und ihr Erwachsenwerden, im Nationalsozialismus stattfand. Ob es "trotzdem" oder gerade deswegen die schöne Zeit war, wer hätte das sagen können?

Auch eine Frage der Ästhetik

Sie schreiben ja auch über das Faszinosum Faschismus. Wieder vor dem Hintergrund der vielen TV- und Kinofilme zum Thema: Was fasziniert das Publikum daran und warum?

Die ungebrochene Faszination des Faschismus hat viele Ursachen. Die einfachste ist die, dass er von Anbeginn an auf die Erzeugung ästhetischer und symbolischer Überwältigung angelegt war. Das bloße Zitat dieser faschistischen Ästhetik, noch unabhängig von seinem mehr oder weniger kritischen Kontext, evoziert diese Strategie. Es ist oft so, als würden die Nazis die späteren Filme über sie immer noch zum Teil mitinszenieren. Faschismus bedeutete ja auch eine radikale und unmenschliche Weise der Ästhetisierung der Welt.

Deutschland Geschichte Film Filmszene Olympia von Leni Riefenstahl (Foto: picture allianz akg)
Szene aus Leni Riefenstahls Olympia-FilmBild: picture-alliance/akg

Faszinierend wirkt daher auf viele Menschen nach wie vor der Riefenstahl-Touch, den einige ihrer Apologeten von der politischen Verstrickung der Autorin loslösen wollen (wie das Werk Richard Wagners von seiner üblen Gesinnung); aber das ist eine weitere Form des Verkennens: Die faschistische Vorstellung von Schönheit steckt in dieser Ästhetik selbst, und sie ist mitleidlos, unmenschlich, mörderisch.

Ein Teil der Faszination der faschistischen Ästhetik für die Pop-Kultur entsteht dadurch, dass sie selber schon bedingungslos Pop-Kultur war, industriell, massentauglich, medialisiert, zugleich vulgär, sentimental und monumental. Daher wundert uns nicht, dass faschistische Ästhetik, ganz unkritisch und unreflektiert, in den Blockbuster-Fantasien unserer Tage nicht erst seit "Star Wars" wieder auftaucht.

Szene aus Star wars mit der Figur Darth Vader (Foto: Getty Images)
Blockbuster-Phantasie "Star Wars"Bild: Getty Images

....welche Gründe gibt es noch?

Natürlich gibt es auf der anderen Seite die Faszination des "Verbotenen". Im "frivolen" Spiel mit den Insignien des Faschismus spiegelte sich immer wieder der Reiz, ein Unterdrücktes und Verborgenes in der "braven" Welt der Erwachsenen heraus zu kitzeln oder die Gegenüber fassungslos zu machen. Die Sexualisierung der Zeichen (die im Faschismus selber durchaus angelegt war) tut dann ein Übriges.

Kontinuität und Identität

Ein drittes ist die Form der Kontinuität und Identität. Es sind Zeichen, die auf eine zwar grauenvolle Weise noch "Geltung" hatten, in denen vieles von dem aufgehoben scheint, was verloren ging. Es handelt sich offensichtlich um bedingungslose Zeichen und Bilder, in denen es keine Fragen, keine Zweifel gibt. Das heißt nicht unbedingt, dass man sich deswegen den Zeichen wieder unterwirft wie die wirklichen neuen Faschisten, aber das bedingungslose Zeichen ist ein mächtiger Reiz per se.

Aber es bleibt doch noch ein letztes Rätsel?

Die vierte Form der Faszination scheint dieser zunächst zu widersprechen. Sie entsteht, weil es in Wahrheit immer noch keine Antwort, keine wirkliche Lesbarkeit, keine wirkliche Erklärung gibt. Warum eine Gesellschaft faschistisch werden konnte, das ist das eine. Warum der Großvater und die Großmutter Faschisten wurden ist das andere, aber wie sich aus all den Partialfaschismen dieser eine große Faschismus zusammensetzte, der Auschwitz und Vernichtungskrieg bedeutete, wie aus einfachen, bedingungslosen Zeichen, gebrüllten Worten und Massenaufmärschen das Menschheitsverbrechen und der Zivilisationsbruch werden konnte, das ist nach wie vor rätselhaft. Muss es vielleicht bleiben, weil jedes Verständnis schon wieder teil der Komplizenschaft wäre. Und trotzdem ist es eine Frage des kulturellen Überlebens, den Faschismus "zu verstehen".

Die beiden Bände von Georg Seeßlen sind unter dem Titel "Das zweite Leben des 'Dritten Reichs' - (Postnazismus und populäre Kultur." beim Verlag Bertz + Fischer erschienen, Berlin 2013, ISBN 978-3-86505-718-1 bzw. 719-8.