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Das deutsch-polnische Wunder

Heiner Kiesel10. September 2014

Ein polnischer Staatspräsident, dessen Vater als Partisan gegen die Wehrmacht gekämpft hat, spricht bei der Gedenkstunde im Bundestag zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs - mit viel Anerkennung für Deutschland.

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Einmarsch deutscher Truppen in Polen im September 1939
Bild: picture alliance

Der Staatsgast, der zur Gedenkstunde an den Beginn des Zweiten Weltkrieges in den Bundestag gekommen ist, kennt das Leid, dass die deutschen Truppen über die Welt gebracht haben, aus der eigenen Familiengeschichte. Bronislaw Komorowski, der polnische Staatspräsident, hat einen Onkel im Krieg verloren, der von den Deutschen erschossen wurde. Er selbst wurde mit seiner Familie bei Kriegsende vertrieben.

Dass er nach all dem hier im Reichstag stehen könne, bezeichnete er als "lebendigen Beweis des Wunders der Versöhnung", die zwischen den beiden Staaten stattgefunden habe. Mit eindringlichen Verweisen auf die eigene Biografie - er habe als Kind im ehemaligen Haus einer vertriebenen deutschen Familie gelebt und mit den Spielsachen der deutschen Kinder gespielt - äußerte er Verständnis dafür, dass auch die Aggressoren des Krieges gelitten hätten: "Ich verstehe sehr wohl den Schmerz wegen des erlittenen Leids und des Verlustes der Heimat."

Komorowski würdigte ausdrücklich die Anstrengungen seiner Gastgeber um ein gutes zwischenstaatliches Verhältnis: "Ich bewundere die Fähigkeit der Deutschen, die Geschichte zu verstehen und sich mutig mit dem geschichtlichen Drama auseinanderzusetzen." Aus der gemeinsamen Erfahrung des Leids und der in den letzten Jahrzehnten gewachsenen Freundschaft sprach sich der polnische Präsident für die Bildung einer deutsch-polnischen Verantwortungsgemeinschaft aus, um die gemeinsamen Werte der Freiheit und Demokratie weiterzutragen. "Unsere beiden Länder sollten es sich zur Aufgabe machen, dass die alte Ost-West-Spaltung überwunden und eine neue Spaltung verhindert wird."

Bronislaw Komorowski im Bundestag - Foto: Thomas Peter (Reuters)
Präsident Komorowski: "Deutsch-polnische Verantwortungsgemeinschaft"Bild: Reuters/Thomas Peter

Einigkeit angesichts der russischen Aggression

Damit war der 62-jährige polnische Politiker bei einem weiteren Schwerpunkt seiner Rede: Dem Konflikt zwischen der Ukraine und Russland. Er forderte zur Geschlossenheit angesichts dieser "beispiellosen Aggression" Russlands auf. Sie sei eine Herausforderung für die gesamte westliche Welt, sagte Komorowski. Er mahnte zur Einheit im transatlantischen Bündnis und warnte davor, die Beziehungen zu Nordamerika zu vernachlässigen.

Hier redet Komorowski den Deutschen und ihren Abgeordneten ins Gewissen, die sich derzeit durch die Lauschaktionen des US-Geheimdienstes NSA in einer kollektiven Phase erhöhter USA-Skepsis befinden. Auch das derzeit kontrovers diskutierte Transatlantische Handelsabkommen bewarb Komorowski unter dem Aspekt vertiefter Gemeinschaft.

Während Komorowski vor allem nach vorne blickte - auf die Herausforderungen für die nach dem Zweiten Weltkrieg gewachsene Gemeinschaft der Europäer und der Staaten der westlichen Welt - beschäftigte sich Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) vor allem mit der Vergangenheit und ihrer Bewältigung. "Wo liegt die Wasserscheide zwischen den Generationen, die nicht genug bezahlt haben und denen, die zu viel bezahlt haben", sagte Lammert in Anlehnung an ein Zitat des früheren - polnischen - Papstes Johannes Paul II. Die Antwort liegt für die Deutschen nach Lammert darin, den von ihnen begonnenen Krieg nicht als geschichtliches Datum abzulegen, sondern als ständige Motivation, "gemeinsam mit seinen Nachbarn als gleichberechtigtes Glied dem Frieden in der Welt zu dienen".

Große Teil- und Anteilnahme

Die Gedenkstunde zum Beginn des Zweiten Weltkriegs fand kurz nach dem 75. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen am 1. September 1939 statt. Vor nahezu vollbesetzten Abgeordnetenplätzen und in Gegenwart der Bundesregierung sowie des Bundespräsidenten erinnerte Lammert daran, dass Polen das erste Opfer des deutschen Vernichtungskrieges war und die Polen einmal mehr in ihrer leidvollen Geschichte ihr Land von den Karten getilgt sahen, weil sich auch die Sowjetunion Gebiete davon einverleibte. Sowohl Lammert als auch sein Gast Komorowski zeigten sich in ihren Reden emotional tief bewegt, was auch auf die Zuhörer einwirkte. Nach seiner Rede erhielt der Staatsgast aus Polen anhaltenden stehenden Applaus.