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Das Schweigen des Bundespräsidenten

17. Mai 2014

Die christliche Überzeugung von der Würde jedes Menschen ist auch für Nichtchristen von höchster Bedeutung, meint Pater Eberhard von Gemmingen von der katholischen Kirche.

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Joachim Gauck Weihnachtsansprache Berlin 2013 BITTE TEXT BEACHTEN!
Joachim Gauck bei der Weihnachtsansprache 2013Bild: Getty Images/AFP/ohn MacDougall

Verursachen Religionen eigentlich vor allem Konflikte und Kriege oder tragen sie zum friedlichen Zusammenleben der Menschen bei? Manchmal kann man den Eindruck haben, die Menschen lebten dort am friedlichsten zusammen, wo Religion in der Öffentlichkeit keine oder fast keine Rolle spielt. Man denke an die skandinavischen Länder, wo religiöse Überzeugungen weitgehend Privatsache sind. Jahrhundertelang brachten sich in Mitteleuropa Menschen ihres Glaubens wegen um. Leider geschieht es vor allem in der arabischen Welt auch heute immer noch so.

Wir stehen in der Osterzeit, vor Pfingsten. Man könnte es eine Zeit des Triumpfes der Christen nennen. Müssen Nicht-Christen Angst vor uns haben? Ich versuche eine Antwort und vertrete die Ansicht: Christlicher Glaube hat einen sehr hohen Wert für die moderne Kultur, nicht nur für den einzelnen Christen.

Zur Zeit der Großeltern spielte für die meisten nur eine Rolle, dass der Glaube sie in den Himmel führt. Zur Zeit des Neomarxismus sollte christlicher Glaube vor allem herhalten, die Ausbeutung der Armen durch die Reichen zu beenden. Heute sollten wir Christen eigentlich wissen: Christsein verhilft den Menschen zu Tiefe, Weisheit, seelischer und auch körperlicher Gesundheit. Wir dürfen uns unseres Glaubens nicht schämen, sondern stolz sein auf ihn – auch in der Öffentlichkeit. Ich möchte mich mit den kritischen Fragen auseinander setzen.

Machen Religionen also intolerant, fanatisch? Sollte Religion daher Privatsache sein? Braucht Religion auf jeden Fall Aufklärung, damit sie nicht intolerant ist? Oder sind etwa nur ost-asiatische Religionen friedenstiftend? Etwa Shintoismus und Buddhismus. Sind Christentum, Judentum und Islam wegen ihres Ausschließlichkeitsanspruchs gefährlich? Ist religiöser Glaube vielleicht nur gut für die seelische Gesundheit des Einzelnen, für den, der ihn braucht. Aber ist er immer gefährlich, wenn er öffentlich wird? Sollte Christentum in einem modernen, demokratischen Staat eigentlich keine öffentliche Rolle spielen?

Darf ein Bundespräsident in einer Weihnachtsansprache daher den Namen Jesu Christi nicht erwähnen – wie es Präsident Gauck am letzten Weihnachtsfest getan hat, wo er nur von der Geburt des „besonderen Kindes“ sprach? Muss die Rücksicht auf Nicht-Glaubende und Andersglaubende soweit gehen, dass ein Staatsrepräsentant den Namen des Mannes nicht erwähnen darf, auf den ein großer Teil unserer europäischen Kultur zurückgeht? Der US-Amerikanische Soziologe Jose Casanova gibt eine Antwort: Nur Europäer haben Angst vor Religion. Vordenker in Asien, Afrika, Amerika sehen Religion als Kulturgut an.

Ich denke: Wir aufgeklärten Europäer müssten den kulturschaffenden Einfluss des Christentums neu entdecken. Wir sind noch viel zu sehr rückwärtsgewandt, denken an die Religionskriege, an Intoleranz, an Fanatismus. Viele moderne Grundüberzeugungen gehen aber letztlich auf das Evangelium Jesu Christi zurück, auch auf die zehn Gebote, die Bergpredigt Jesu, die Seligpreisungen, die Überzeugung, dass jeder Mensch nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen ist, dass jeder Mensch ein Abbild Gottes ist und unendlichen, unantastbaren Wert hat.

Gebildete Europäer sind - ohne es ausdrücklich zu wissen - ganz anders als Inder, Chinesen, Japaner von innen her geprägt von der Überzeugung der Würde jedes Menschen, den Menschenrechten, vom unantastbaren Wert jedes Menschen. Und zwar unabhängig von seinem gesellschaftlichen Stand, seinem Einkommen, seinem Beruf, seiner Herkunft. Selbstverständlich ist diese Überzeugung auch immer wieder bedroht und in Frage gestellt. Vor allem die moderne medizinische Technik bedroht diese Überzeugung. Auch gibt es immer wieder Konflikte zwischen dem Recht des Einzelnen und dem Anspruch der Gemeinschaft. Hier müssen immer wieder Kompromisse gefunden werden. Aber hinter den Konflikten stehen Überzeugungen, die tief in die Seele des Abendländers eingebrannt sind. Und Ursache ist eben das Menschenbild des Alten Testamentes und des Evangeliums. Der Mensch als Abbild Gottes und als Bruder und Schwester Jesu Christi.

Pater Eberhard von Gemmingen Radio Vatikan
Pater Eberhard von Gemmingen SJBild: picture-alliance/ ZB

Zum Autor: Pater Eberhard von Gemmingen SJ ist 1936 in Bad Rappenau geboren. Nachdem er 1957 in den Jesuitenorden eingetreten ist, studierte er 1959 Philosophie in Pullach bei München und Theologie in Innsbruck und Tübingen. 1968 erfolgte seine Priesterweihe. Pater Eberhard von Gemmingen SJ war Mitglied der ökumenischen Laienbewegung action 365, bischöflicher Beauftragter beim ZDF und Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan. Seit 2010 ist er Fundraiser der deutschen Jesuiten.