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Das schmutzige Geschäft mit der Hoffnung

Robin Hartmann19. August 2013

Weltweit blüht der Handel mit der Ware Mensch: beliebte Opfer sind junge Fußballspieler. Boomte das Geschäft bislang vor allem in Lateinamerika und Afrika, rückt jetzt auch Europa in den Fokus der Menschenhändler.

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Football team of children of sexworkers during a practice match in Kolkata. (Mai/Juni 2013) zugeliefert von Prya Esselborn copyright: Nichtregierungsorganisation Durbar Mahila Samanvya Samit
Kinder trainieren Fußball in KalkuttaBild: Durbar Mahila Samanvya Samit

Die ganze Welt wird 2014 nach Brasilien schauen, wenn dort die Fußball-Weltmeisterschaft stattfindet, ein Spektakel, das unzählige Menschen begeistert und junge Spielertalente zum Träumen bringt. Sie träumen von einer großen Karriere, und davon profitiert ein obskurer Handelszweig: Menschenhändler. Sie operieren global und machen jährlich einen Umsatz von 32 Milliarden Dollar. Laut dem US-amerikanischen Außenministerium wurden 2011 weltweit 27 Millionen Menschen Opfer solcher Verbrecher.

Nur Wenige schaffen den Durchbruch

In Brasilien sind die Gangster besonders aktiv: Hier werden jährlich etwa 200.000 Menschen verschleppt und zehn Milliarden Dollar "erwirtschaftet". Die Vorgehensweise ist perfide: Selbsternannte Agenten suchen sich ihre Opfer, junge talentierte Fußballspieler, die meist aus ärmlichen Verhältnissen stammen. Sie treten mit Versprechungen von der ganz großen Karriere an deren Familien heran. So sichern sie sich das Vertrauen und später die Rechte an dem Kind, meist für ein paar hundert Dollar. Da der Transfer für Spieler unter 18 Jahren laut FIFA verboten ist, fälschen die Vermittler die Papiere ihrer jungen Opfer, um die notwendigen Lizenzen zu erhalten.

Minderjährige Talente werden von Menschenhändlern "unter Vertrag" genommen. (Foto: dpa)
Minderjährige Talente werden von Menschenhändlern "unter Vertrag" genommenBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Sofern die Nachwuchskicker tatsächlich an dem ihnen versprochenen Ort ankommen, werden sie meist an unterklassige Vereine weitervermittelt. Schaffen sie es dort nicht sich durchzusetzen, verlieren sie nicht selten ihr Visum und ihr Geld. Viele landen anschließend auf der Straße. Sie fühlen sich als Versager, und trauen sich deshalb nicht, in die Heimat zurückzukehren - sofern sie überhaupt über die finanziellen Mittel dazu verfügen.

Auto für Flugticket verkauft

2006 berichtete der "Spiegel" über den brasilianischen Stürmer Douglas Rodrigues, der von dem dubiosen Agenten Wilson Bellissi nach Europa gelockt wurde. Er und fünf weitere Jungen sollten in Rumänien spielen. Für dieses Versprechen verkaufte Rodrigues' Vater sein Auto und buchte seinem Sohn ein Flugticket. Am Flughafen war aber dann plötzlich die Rede von einem anderen Deal: Nicht Rumänien, sondern die Republik Moldau sollte es werden.

Als aber der Kontaktmann in Chisinau nicht erschien, ging es für die Jungen weiter nach Frankfurt - der FSV Mainz 05 sei plötzlich interessiert. Fünf Tage ließ man die immer noch hoffnungsvollen Talente auf dem Flughafen warten, bevor man ihnen sagte, dass nun auch Mainz das Interesse verloren habe, man versuche es jetzt aber bei Eintracht Frankfurt. Erst nach drei Wochen kehrte Douglas nach Sao Paulo zurück, seine Mitstreiter blieben sogar noch sechs Wochen länger.

Zur Fronarbeit gezwungen

Oft enden Opfer der Fußball-Mafia aber auch als Sklaven in Ländern wie China, Vietnam oder Indien - verramscht für ein paar schnelle Dollars, werden Sie zu schwerster Fronarbeit gezwungen oder an Bordelle vermittelt. Sie werden systematisch mit physischer und oft auch sexueller Gewalt gefügig gemacht. Die Opfer müssen ihre Dokumente den Peinigern übergeben. Nur in den seltensten Fällen wird ein solches Verbrechen angezeigt - zu groß ist die Angst und Scham der Betroffenen. Eine Agenda von Brasiliens Präsidentin Dilma Roussef für einen effektiveren Kampf gegen den Menschenhandel haben bislang allerdings nur 17 von 27 brasilianischen Bundesstaaten ratifiziert. So bleibt Menschenhandel in Lateinamerikas größtem Staat vorerst weiter nur dann ein Verbrechen, wenn es zum Zweck der Zwangsprostitution begangen wird.

Brasiliens Präsidentin Roussef kämpft gegen den Menschenhandel (Foto: DW)
Brasliens Präsidentin Dilma Roussef kämpft gegen den Menschenhandel in ihrem LandBild: Wilson Dias/ABr/CC BY 3.0 BR

Die Wege des Menschenhandels

Auch in Afrika lässt sich ein viraler Handel mit Fußballtalenten belegen. Giles Garnier, ehemaliger Kabinettsdirektor im französischen Sportministerium, erklärt in einem Interview: "Die europäischen Klubs verdienen ihr Geld, indem sie billig Talente kaufen, diese vorwärtsbringen und dann mit einem großen Profit an andere Klubs verkaufen. Es lohnt sich, tausend Spieler aus Afrika zu holen, selbst wenn man am Schluss nur mit zwanzig das grosse Geschäft machen kann." Vor allem französische, niederländische und belgische Vereine hätten sich demnach in Afrika eigene "Fußball-Plantagen" aufgebaut, und auch nach Deutschland würden junge Talente nicht selten verkauft. Der ehemalige Profifußballer Jean Claude Mbvoumin aus Kamerun kritisiert in einer Anhörung im Europa-Parlament dieses Vorgehen: "Junge Afrikaner sind ökonomisch betrachtet die billigsten Nachwuchsspieler, sie bieten das beste Preis-Leistungsverhältnis."

Menschenhandel steigt dramatisch an

Dass der Menschenhandel insgesamt in Deutschland und in ganz Europa zugenommen hat, beweist eine Studie der europäischen Statistikbehörde Eurostat, die im April dieses Jahres erschien: Allein von 2008 bis 2010 sei der Menschenhandel um 18 Prozent angestiegen. Demnach wurden in diesem Zeitraum in den EU-Staaten 23.632 Personen gemeldet, die entweder als Opfer von Menschenhandel identifiziert wurden oder bei denen eindeutige Verdachtsmerkmale vorlagen. Die Zahl der im selben Zeitraum beobachteten Verurteilungen ging dabei um durchschnittlich 13 Prozent zurück, in Deutschland waren es sogar 15 Prozent.

Für die Menschenhändler geht es um viel Geld. (Foto: EPA)
Für die Menschenhändler geht es um viel GeldBild: picture-alliance/dpa

Eine EU-Richtline zur Bekämpfung des Menschenhandels hätte eigentlich am 6. April 2013 europaweit in Kraft treten sollen, umgesetzt haben diese aber erst wenige Staaten - Deutschland ist nicht darunter. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kritisiert in einem Bericht die Zustände in der Bundesrepublik. Demnach würden hier jährlich zwischen 600 und 1200 Opfer des Menschenhandels identifiziert. Diese seien zum Großteil Opfer von Prostitution, aber auch von Zwangsarbeit. Das DIW moniert auch, dass besonders in Deutschland, aber auch in Dänemark, Griechenland, Spanien, Luxemburg, Polen und Großbritannien Opfer sogar häufig noch bestraft würden, indem man sie in Haft nähme, ihnen Bußgelder auferlege oder sie sogar direkt wieder in ihre Heimatländer abschiebe, wo ihr Martyrium dann von Neuem losgeht.

"Alle ziehen ihren Nutzen daraus"

André Schulz, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, kritisierte deshalb die Politik zu dem Thema insgesamt: "Menschenhandel wird in Deutschland nicht intensiv genug verfolgt. Die 'Ausnutzung einer Zwangslage' in einem Menschenhandelsverfahren ist kaum gerichtsfest zu ermitteln." Brasiliens ehemaliger Nationaltrainer Carlos Dunga beklagte schon 2009 die Situation: "Jeder sagt, dass Spielerhandel wie Prostitution ist, aber alle ziehen ihren Nutzen daraus."