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Spurensuche im Bobo-Land

Romy Straßenburg13. Mai 2014

Wer oder was ist (ein) Bobo? Als Bourgeois-Bohème bezeichnet heute in Frankreich jeder mit Vorliebe jeden und alles. Manch einer sieht in den Bobos schon die neue gesellschaftliche Avantgarde - eine Spurensuche in Paris.

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Blick auf das angesagte Café "Aux folies de Belleville"
Vor dem angesagten Café "Aux folies de Belleville"Bild: Romy Strassenburg

Nach einem Business-Lunch in einem der schicken Bistros am Rande des "Marché des enfants rouges" kauft man noch ein paar Bio-Äpfel. Dann geht es auf einem Sprung in die Boutique des Szene-Modelabels "Zadig & Voltaire" und für den Espresso ins Café "Les philosophes", weil es dort angeblich so "authentisch" ist. Ein vanille-aromatisierter Zug aus der elektronischen Zigarette, während man auf dem iPad seine E-Mails checkt. Willkommen im Marais, willkommen im Bobo-Land!

Über das kleine Pariser Stadtviertel im 3. Arrondissement wird seit Jahren genauso viel und polemisch diskutiert wie über den Prenzlauer Berg in Berlin oder das Hamburger Schanzenviertel. Für die einen ist es "the place to be", für die anderen ein "planète de bobos": mit Bobo-Läden, Bobo-Restaurants, Bobo-Yoga-Studios - und natürlich Bobos! Die Wortschöpfung "Bourgeois-bohème" benutzte schon der französische Schriftsteller und Journalist Maupassant im 19. Jahrhundert. Mit dem Kürzel Bobo umschrieb der New-York-Times Journalist David Brooks dann im Jahre 2000 die neue amerikanischen Upper-Class, mit dem "Denken der Hippies und dem unternehmerischen Geist der Yuppies".

Es lebe das kulturelle Kapital!

Einen wahren Boom allerdings feierte der Begriff (als Substantiv und Adjektiv) in seinem Herkunftsland Frankreich. "Wenn man die Worte Bourgeois und Bohème zusammenfügt, entsteht eigentlich ein Oxymoron: so als würde man sagen "Bauern-Punk" oder "Arbeiter-Dadaist". Da trifft eine soziale Klasse auf eine künstlerische Bewegung aus dem 19. Jahrhundert. Diese beiden Begriffe verweisen aber auf soziale und soziologische Realitäten, die typisch französisch sind", erklärt die 43-jährige Journalistin Laure Watrin. Auch in anderen Gesellschaften wird über Bobo-Gattungen geschmunzelt und debattiert. In Deutschland dreht sich alles um den Hipster, eine Ausprägung des Bobo, die tendenziell jünger und kinderlos ist, sich stärker nach Unabhängigkeit und Spontaneität sehnt und den Hang zur Selbstdarstellung mit Mode und Lifestyle zelebriert.

Laure Watrin, die Autorin von "La République du bobo" schaut aus dem Fenster
Laure Watrin, die Autorin von "La République du bobo"Bild: Romy Strassenburg

Laure Watrin hat dem Phänomen gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Thomas Legrand das kürzlich erschienene Buch "La République bobo" gewidmet. Dessen erster Satz liest sich gleichermaßen als Geständnis und Offensive: "Nous sommes bobos." (Wir sind Bobos). Dabei haben die beiden auf den ersten Blick mit den Bewohnern des Marais nicht sonderlich viel gemeinsam. "Man kann ein Bobo sein, als Sozialarbeiter oder als Krankenschwester." Aber auch gut situierte Jungunternehmer, Anwälte, Grafiker oder Journalisten seien Bobos, zumindest wenn sie deren Werte und Verhaltensweisen aufzuweisen hätten. "Sie verfügen über ein sehr hohes kulturelles Kapital, und dieses kulturelle Kapital ist ihnen wichtiger als das ökonomische Kapital."

Guter Bobo, böser Bobo

Laure Watrin schaut aus dem Fenster der kleinen Bar im Pariser Vorort Pré-Saint-Gervais. Die Gegend gehört mittlerweile zum gefragten Einzugsgebiet der Bobos, so dass die Immobilienpreise kontinuierlich steigen. Das klassische Beispiel für Gentrifizierung, also die Verdrängung der alteingesessenen Bewohnerschaft durch den Zuzug von Besserverdienenden. Laure Watrin nennt sie "bobo gentrifeur" (Verdränger). Diese Art von Bobos suche bewusst die Nähe zu "Artgenossen", um ganz unter sich zu sein.

Das Buchvorderseite von: "La République du bobo"
Das Buch zur Debatte: "La République du bobo"Bild: Romy Strassenburg

Ganz anders der "bobo mixeur" (Durchmischer). Diesen zweiten Bobo-Typus zieht es in Arbeiter- oder Einwandererviertel, meist innerhalb der Stadtgrenzen. Oft lebt er (oder sie) selbst in bescheidenen oder prekären Verhältnissen und steht damit nicht im völligen Gegensatz zu seiner Umgebung. Die Autoren glauben sogar, er könne für eine stärkere soziale Durchmischung in sogenannten Problemquartieren sorgen und dank seines hohen kulturellen Kapitals zum Anstieg des Bildungs- und Lebensniveaus aller Bewohner beitragen. Der Bobo als Stifter sozialen Friedens?

Armut und Hinterhof-Romantik

Auf der Suche nach ihm läuft man durch die lebhafte Rue de Belleville.Touristen verschlägt es hierher eher selten. Asiatische Restaurants prägen das Straßenbild und das Viertel gehört bis heute zu den ärmsten Ecken der französischen Hauptstadt. Hinter einer der schlichten Fassaden erstreckt sich eine backsteinerne Wohnanlage mit mehreren Seitenflügeln. Dazwischen verwildert ein Stück Garten, Fahrräder lehnen an Treppengeländern und vor einigen Fenstern trocknet Wäsche.

Im 3. Hinterhof befindet sich das Atelier von Stéphanie und Julien. Mit Kaffeetasse und Zigarette in der Hand stehen sie vor ihrem Atelier und diskutieren über ein neues Filmprojekt. Die 38-jährige Cutterin findet Belleville sympathisch, kommt jedoch schnell auf die Schattenseiten der "mixité sociale"zu sprechen."Hier wohnt eine zehnköpfige asiatische Familie in einer winzigen Wohnung. Wenn Du 2000 Euro im Monat machst, gehörst du schon zu den Besserverdienenden. Und natürlich essen unsere Kinder Bio, weil wir es uns leisten können."

Julien Dubois steht vor seinem Atelier in der Rue de Belleville.
Julien Dubois vor seinem Atelier in der Rue de Belleville.Bild: Romy Strassenburg

Passend zum Zeitgeist?

Julien findet, der Traum sozialer Durchmischung sei "Schwachsinn!" Es gäbe keinen guten Bobos und schon recht keine Versöhnung von Arm und Reich: "Wir haben hier jeden Tag Armut vor Augen. Das ist doch nichts Cooles! Wir akzeptieren oder verschlimmern bestehende soziale Ungleichheiten, statt gegen sie anzukämpfen", sagt er wütend. Zu dieser Einsicht kommen am Ende auch die Autoren. Bobos seien weder Sozialrevolutionäre noch Patrioten, sie sind Weltbürger mit Sinn für den Kiez. Sie "reißen gerne Mauern ein. In ihren Küchen, um gemütlicher zu brunchen, genauso wie in ihren Denkweisen und Konventionen."

Ihr Wunsch sei es, einstmals widersprüchliche soziale Realitäten miteinander zu versöhnen. Passen sie möglicherweise am besten zum aktuellen Zeitgeist, zur Konsensgesellschaft, zum Ende ideologischer Grabenkämpfe? Ginge es nach Autoren, dann liegt im Bobotum aber vor allem eine Chance für die Zukunft: "Diese befremdliche soziale Gruppe, die wir Bobos nennen und die uns noch nebelig und entwicklungsfähig erscheint, sie setzt sich zusammen aus Individuen und aus Familien, die versuchen die Lebensweisen und sozialen Beziehungen von morgen zu erfinden."

Stéphanie und Julien sitzen in ihrem Hinterhof-Atelier in der Rue de Belleville
Stéphanie und Julien in ihrem Hinterhof-Atelier in der Rue de BellevilleBild: Romy Strassenburg