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Das neue Männermagazin

Tim Wiese3. November 2013

Autos und Frauen - das Erfolgsrezept amerikanischer Männerzeitschriften zieht in Deutschland nicht mehr. Berliner Medienstudenten haben deshalb ein Onlinemagazin entwickelt, das mit den Klischees spielt.

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C wie 'Centurio: Die Webmagazin-MacherInnen grüßen die User mit einem aus Fingern geformten C (Foto: DW/Tim Wiese)
Bild: Tim Wiese

Ein Klick auf die Internetseite - und schon weiß der moderne Mann, was er in seinem Leben unbedingt getan haben sollte, bevor es zu Ende ist: sich ein Tattoo stechen lassen, E-Gitarre lernen und Sex zu Dritt organisieren. Das rät ein gewisser "Herr Sieverling" den Lesern von "Centurio". Klingt eigentlich gar nicht so modern, sondern eher nach abgestandenen Machoideen. Eigentlich zum Gähnen, wenn diese Vorschläge nicht in Wirklichkeit von einer Frau stammen würden.

Nadine Mittag heißt die Ghostwriterin, die hinter den Tipps des "Herrn Sieverling" steckt. Wie alle Artikel auf der Seite wird auch die Machokolumne von einer Frau verfasst. "Wir spielen mit Klischees", erklärt Nadine. Die Kunstfigur "Sieverling" sei fast so etwas wie ein Gegenentwurf zu dem Männerbild, für das Centurio eigentlich stehe. "Bei uns dürfen Jungs auch weich sein", betont die Autorin. Daher unterscheidet sich die Themenauswahl von der bekannter Magazine.

Die "Emma" für den Mann

Die jungen Mitarbeiter von Centurio setzen zwar auch, aber eben nicht nur auf Autos, Erotik und Sport. Mit gutem Grund: Das bisherige Erfolgsrezept amerikanischer Männerzeitschriften kommt auf dem deutschen Markt nicht mehr an. Magazine wie "Playboy", "Matador" und "FHM" stecken in einer finanziellen Krise. Offenbar hat der deutsche Mann von den üblichen Machothemen genug. Er interessiert sich auch für langfristige Beziehungen, Geschlechtergerechtigkeit, Familie und Kinder.

"Wir sind praktisch die 'Emma' für den Mann", umschreibt Nadine Mittag daher den Ansatz der Centurio-Redaktion, die ihr neues Männermagazin ab November unter "centurio-mag.de" im Netz startet. Doch der Vergleich hinkt, denn die von der bekannten Feministin Alice Schwarzer gegründete Zeitschrift "Emma" verzichtet auf knackige Männermodels. Bei Centurio aber begrüßt die Leser schon auf der Startseite eine schöne Frau.

Schöne Frau auf Tablet (Foto: Centurio)
Auch Centurio kommt ohne schöne Frauen nicht ausBild: Centurio

Virtuelles Verlagshaus

Studentinnen und Studenten der privaten Berliner Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) haben Centurio entwickelt. Die Idee dazu wurde in einem Seminar für Onlinejournalismus geboren. Der Vorschlag stammte von einer Studentin, ihre Kommilitonen nahmen ihn begeistert an. Bei der Aufgabenverteilung in der Planungsphase ergab es sich, dass sich nur Frauen als Autorinnen meldeten. Ein Zufall, den die Magazinverantwortlichen heute geschickt vermarkten. "Wir Frauen wissen natürlich auch viel besser, was Männer wollen", ergänzt Nadine Mittag lächelnd.

Sonst ist das Geschlechterverhältnis aber ausgewogen. Die Nachwuchsjournalisten haben sich wie in einem klassischen Verlag in Fachbereichen organisiert - vom Marketing über Design bis hin zur Webentwicklung. Anders als bei etablierten Medienhäusern arbeiten die Studentinnen und Studenten ausschließlich Zuhause. Eine Plattform im Internet macht es möglich. Über sie werden Artikel in das Webmagazin eingepflegt, Diskussionen geführt, Abläufe koordiniert und Ideen entwickelt. "Das funktioniert besser als in herkömmlichen Strukturen, da sich jeder Schritt transparent verfolgen lässt und jedem nötige Informationen zugänglich sind", findet Professorin Verena Renneberg von der HMKW.

Annelie Neumann und Rosalie Werner (Foto: DW/Tim Wiese)
Bei Centurio sind Artikel Frauensache: Annelie (links) und Rosalie schreiben die TV-Tipps für den MannBild: Tim Wiese

Begleiter durch den Tag

Für die Magazinstruktur haben sich die Berliner Medienstudenten ebenfalls etwas Neues ausgedacht. Es gibt keine Rubriken. Die Artikel werden stattdessen dem Leser passend zur Tageszeit präsentiert. Konkret bedeutet das: Morgens erfährt der Leser, wie er schneller aus dem Bett kommt. Tagsüber im Büro, welche schillernden Perspektiven andere Jobs bieten würden. Und abends nach Feierabend versteht er, warum sich seine Freundin nicht über die Dessous freut, die er ihr in der Mittagspause gekauft hat. Zu wenig Stoff betont nämlich zu sehr die Problemzonen.

Was sich so in der Zusammenschau vielleicht etwas banal liest, lässt sich durchaus vergnüglich konsumieren. Für die Zukunft versprechen die Verantwortlichen auch nachdenkliche Texte über Beziehungsthemen und Spiritualität für die Nachtschiene von 22 bis sechs Uhr. Ob sie damit immer den Nerv der Leser treffen, wird sich zeigen.

Showroom für Studenten

Roman Tegeler (vorn) und Chris Schneider bei der Arbeit (Foto: DW/Tim Wiese)
Das Design bleibt Männersache: Roman Tegeler (vorn) und Chris Schneider bei der ArbeitBild: Tim Wiese

"Unser Magazin lässt sich auf jedem Gerät lesen", erklärt Roman Tegeler. Der Student hat das Design der Seite mitentworfen. Egal, ob man die Seite auf einem Smartphone oder mit einem Tablet ansteuert, das Layout passt sich an. Dafür benötigt der Leser keine extra App, ein einfacher Browser genügt. Die Studierenden sind stolz auf ihr Projekt. Schließlich haben sie ein komplettes Magazin entwickelt und die dafür nötige Infrastruktur geschaffen.

"Wir verstehen das Projekt auch als eine Art Showroom", erklärt Markus Leonhard Blömeke. Er leitet zusammen mit Verena Renneberg das Onlinejournalismus-Seminar. "Hier kann sich jeder Fähigkeiten aneignen, die in der modernen Medienwelt gefragt sind." Die mediale Spielwiese nützt den Studierenden also für spätere Bewerbungen. Doch auch die Nutzer profitieren von dem ungewöhnlichen Studierendenprojekt, denn interessante Themen gibt es genug - übrigens nicht nur für Männer.