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Das Herz der Leopardenkinder

5. März 2010

Der Autor Wilfried N'Sondé ist in der Republik Kongo geboren und zog als Kind in die Pariser Banlieues. Sein Roman "Das Herz der Leopardenkinder" erzählt von einer tragischen Liebesgeschichte im sozialen Brennpunkt.

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N'Sondé wurde in Brazzaville geboren.Bild: Julia Belke

Mit "Das Herz der Leopardenkinder" wollte Wilfried N’Sondé in erster Linie eine tragische Liebesgeschichte erzählen. Der 42-Jährige ist begeistert von den Romantikern des 19. Jahrhunderts wie Goethe, Nerval oder Baudelaire und nahm sich die unglückliche Liebe ihrer tragischen Helden zum Vorbild: "In einer tragischen Liebesgeschichte ist die Kraft der Gefühle sehr stark. Das hat mich beeindruckt." Aber in seinem Erstlingswerk geht es auch um den Versuch einer Generation mit dem Etikett "Migrationshintergrund", sich aus dem – wie N’Sondé es nennt – Kategorienwahnsinn zu befreien.

Unruheviertel Bagnolet in Paris
Das Land der Leopardenkinder ist eine BetonwüsteBild: picture-alliance/dpa

"Das Herz der Leopardenkinder" erschien 2007 zuerst in Frankreich, wo es mit dem Grossen Preis der Frankophonie ausgezeichnet wurde. Die Geschichte spielt in den Gedanken eines anonymen Ich-Erzählers. Der sitzt in der Zelle, angeklagt für ein Verbrechen, an das er sich nicht erinnern kann. Das Land der Leopardenkinder ist für ihn der Pariser Vorort, ein sozialer Brennpunkt, beherrscht von Perspektivlosigkeit. Im Zwiegespräch mit seinen Ahnen rekapituliert er seinen verkorksten Lebenslauf und denkt an seinen besten Freund, der in der Psychiatrie gelandet ist, und an seine große Liebe, die ihn für ein besseres Leben verlassen hat.

Grausamkeit und Eleganz

Wilfried N'Sondé erfindet eine Geschichte, in der Mensch und Leopard nahe Verwandte sind, die vor allem zwei Eigenschaften gemeinsam haben: Grausamkeit und Eleganz. Die Menschen bewegen sich ständig im Spannungsfeld zwischen diesen beiden Extremen, sagt er: "Ich wollte damit die Komplexität der menschlichen Wesen beschreiben. Wir sind dazu fähig, wunderbare Dinge zu tun aber, wir sind auch dazu fähig, eine Katastrophe zu verursachen. Wir sind keine simplen Wesen."

Buch Wilfired N'Sondé - Das Herz der Leopardenkinder
2008 erschien N'Sondés Roman auch auf Deutsch

Der Roman trägt nur zum Teil autobiografische Züge. Zwar ist Wilfried N'Sondé selbst auch in einem Pariser Vorort aufgewachsen, aber anders als sein Protagonist fand er in der Bildung den Schlüssel zum Ausbruch aus der Randgesellschaft. Er studierte Politikwissenschaft an der Sorbonne und ging nach dem Mauerfall nach Berlin, weil er das Gefühl hatte, dass "sich dort die Geschichte abspielt." Seit 17 Jahren lebt er mit seiner Frau und zwei Kindern in seiner deutschen Wahlheimat, arbeitet als Schriftsteller und Sozialarbeiter.

Guten Draht zu den Toten

Wie für den Erzähler im Buch spielt der Ahnenkult auch im Leben des Autors eine wichtige Rolle: "Ich bin davon überzeugt, dass in meiner Welt auch tote Menschen mit mir sind und ich kommuniziere mit denen oder sie mit mir. Es ist ein Empfinden, Geister sind Wesen, die man spürt." Diesen Glauben hat N'Sondé von seinen aus der Republik Kongo stammenden Eltern übernommen.

Trotzdem hält er den Begriff "afrikanische Wurzeln" für falsch. So etwas wie eine gesamt-afrikanische Kultur gebe es ohnehin nicht. Der Ahnenkult ist für ihn nur ein Teil seiner ganz persönlichen Identität. Jeder besteht aus vielen verschiedenen Einflüssen, sagt N'Sondé: "Man braucht nicht in einem Land zu leben, um die Kultur zu erfahren, sie wird vererbt und verändert sich im Kontakt mit anderen Einflüssen, und das macht Menschen aus. Man sitzt nicht zwischen Stühlen, man hat vielleicht eine Komplexität, die andere nicht kennen. "

Gegen den Kategorienwahnsinn

Auch seine Romanfiguren haben so eine komplexe, persönliche Identität. Aber ihr Problem ist, dass sie von außen in konstruierte Kategorien hineingedrückt werden. N'Sondé sagt, man fange erst in der Pubertät an, ein Migrant zu sein. Dann nämlich, wenn einem die Diskrepanz zwischen der Eigen- und der Fremdwahrnehmung bewusst wird. "Die Namen der Identitäten, die man uns verpasst: du bist Schwarz, du bist ein Franzose, du bist Afrikaner, du bist dies und jenes – das ist Wahnsinn. Ich bin nicht das Ganze, ich bin keine Hautfarbe, ich bin keine Nationalität. "

Seine Romanhelden gehen ganz unterschiedlich mit ihrer Situation um: sie suchen Zuflucht im Fundamentalismus, werden gewalttätig oder verlieren den Verstand. Was sie durchmachen, ist ein Prozess, sagt N’Sondé: "Das ist ein Prozess in dem ein Mensch versteht, er muss sich von den Vorurteilen befreien, er muss irgendwie lernen sich zu behaupten, so wie er sich behaupten möchte. Eben aufhören, ein Migrant zu sein, aufhören, eine soziologische Kategorie zu sein, um sich selber zu entdecken."

Autorin: Julia Belke

Redaktion: Klaudia Pape