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Das große Grübeln

Philipp Jedicke31. Mai 2015

Denken ist wieder hip. Angesichts der großen Erfolge von Autoren wie Richard David Precht oder Festivals wie der phil.COLOGNE mag man das glauben. Aber geht es dabei um Philosophie oder doch eher um Lifestyle?

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Statue des griechischen Philosophen Sokrates (Foto: picture alliance)
Bild: picture alliance/ANE Edition

Die Medienstadt Köln ist jede Art von Ansturm gewohnt. An Karneval verdoppelt sich ihre Einwohnerzahl, zum Christopher Street Day, zahllosen Messen und Festivals rücken Interessengruppen jeder Couleur an. Die Anhänger der aktuell stattfindenden dritten phil.Cologne sind zwar nicht auffällig kostümiert, ihre Zahl ist aber beeindruckend: Die Veranstalter rechnen mit 10.000 Besuchern, Tendenz steigend. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass es sich um ein Festival handelt, bei dem man Intellektuellen beim Denken zuhört.

Dabei steckte das öffentliche Image der Philosophie lange in einer Krise. Die letzten Denkschulen, die gesellschaftlich für Furore sorgten, waren Existentialismus und Frankfurter Schule – beide waren bereits in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden. Nach einem kurzen öffentlichen Aufflackern im Rahmen der Studentenproteste zog sich die Denkdisziplin zurück in den Elfenbeinturm. Ende der Sechziger fragte Der Spiegel: "Wozu heute noch Philosophie?"

Raus aus dem Elfenbeinturm, rein in die Gesellschaft

Seit einigen Jahren gibt es einen Paradigmenwechsel. Videos aus der internationalen Denker-Vortragsreihe "TED-Talks" sind YouTube-Hits und werden in sozialen Netzwerken ähnlich häufig geteilt wie lustige Tierfilmchen. Philosophie im Jahr 2015 hat nichts mehr mit dem Eremitendasein eines Martin Heidegger zu tun. Verkopft will sie nicht sein, sondern alltagstauglich. Der Populärphilosoph Richard David Precht führt mit Titeln wie "Wer bin ich – und wenn ja, wie viele" oder "Liebe: ein unordentliches Gefühl" Bestsellerlisten an, ist gefragter Talkshow-Gast und Medienstar. Seine Kollegen Hartmut Rosa und Byung-Chul Han haben mit ihren Themen "Entschleunigung" und "Müdigkeitsgesellschaft" die öffentliche Diskussion geprägt und sind im Fernsehen und auf der Kinoleinwand präsent. Schon rein äußerlich entsprechen die drei Genannten ganz und gar nicht dem überholten Klischee des verschrobenen Denkers.

Richard David Precht (Foto: dpa)
Eines der bekannten Gesichter des Philosophie-Booms: Publizist und Medienstar Richard David PrechtBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Genießt die Philosophie also wieder gesellschaftlichen Aufwind? Oder ist der aktuelle Denk-Boom nur ein Lifestyle-Trend mit geringer Halbwertszeit? Markus Gabriel, Professor für Philosophie an der Universität Bonn, bestätigt die steigende Präsenz seines Fachs in der Öffentlichkeit. Doch sieht er als Ursache dafür nicht die Medienwirksamkeit von Precht und Co., sondern eine Entwicklung, die ihren Anfang in den Hochschulen selbst genommen hat. "Es gibt schlichtweg mehr ausgebildete Philosophen als zu irgendeiner anderen Zeit." Autoren wie Precht seien für ihn "Philosophiedarsteller". "Es gibt keine einzige These von Richard David Precht. Er sagt nur, was andere gesagt haben." Dies tue er aber so klar, dass die Leute es verstehen, ergänzt Gabriel.

Die "neue Aufklärung"

Prechts großes Verdienst sei es, ein breites Interesse in der Öffentlichkeit vorzubereiten für die "richtige Philosophie", die in den Seminaren gemacht werde. Das dort erreichte hohe Niveau dringe weit mehr nach außen als früher, was am Programm der aktuellen phil.Cologne sichtbar sei. Eine Entwicklung, die laut Gabriel aus dem englischsprachigen Raum nach Deutschland schwappt und die er "neue Aufklärung" nennt. Klarheit sei jetzt wichtiger als Wahrheit. "Dadurch wird die Philosophie auch interessanter für die Öffentlichkeit, die jetzt wissen will: Was sagen Philosophen über Freiheit, über Bewusstsein, über Existenz, über das gute Leben. Da sind wir jetzt angekommen."

Dr. Georg Reuchlein (Foto: Brigitte Friedrich)
Georg Reuchlein hat Richard David Prechts Bücher veröffentlicht. 2014 wurde er von der Fachzeitschrift "BuchMarkt" zum Verleger des Jahres gekürt.Bild: Brigitte Friedrich

Auch Prechts Verleger Georg Reuchlein bestätigt den Aufwärtstrend philosophischer Themen. Als er sich dazu entschloss, Prechts Buch "Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?" zu verlegen, war der große Hype jedoch noch nicht absehbar. "Wir dachten nicht, Philosophie ist wieder im Kommen, wir brauchen ein philosophisches Buch. Als wir sein Exposé damals auf den Tisch bekamen, war es so frisch und so ein neuer Zugang, dass wir sagten, das müssen wir machen. Es war ein verdammt gutes Bauchgefühl."

Auch Reuchlein sieht den Verdienst seines Autoren darin, dass er die Philosophie wieder einer breiten Masse zugänglich gemacht hat und "sie mit der Naturwissenschaft und den Erkenntnissen der modernen Hirnwissenschaft und Anthropologie verbunden hat. Das hat viele Leute bei Precht angesprochen. Und dass er am Ende seines Buches die Philosophie an die Lebenspraxis anbindet und fragt: Worauf kommt’s eigentlich an?"

Ein Land auf Sinn- und Glückssuche

Angesichts eines durchrationalisierten und auf Effizienz getrimmten Alltags gebe es ein verstärktes Interesse der Leser an Philosophie. Solche Themen beschäftigten die Menschen heute, "vor allem unter dem Gesichtspunkt, den Sinn im Leben und den richtigen Weg zum Glück zu finden, was ja auch ein Teil des Erkenntnisinteresses von Philosophie ist", ergänzt Reuchlein.

Markus Gabriel (Foto: M. Hintzen)
Markus Gabriel hat 2013 selbst einen Philosophie-Bestseller mit dem Titel "Warum es die Welt nicht gibt" veröffentlichtBild: M. Hintzen

Markus Gabriel hält diese Entwicklung für bedenklich und für die falsche Motivation, sich mit Philosophie zu beschäftigen: "In Deutschland ist es so, dass man von der Philosophie Lebensorientierung erwartet. Und die gibt es nicht. Die Lektion der Philosophie ist, dass es keine Lebensorientierung gibt." Bei der Philosophie gehe es allein darum, "sauberer und klarer zu denken."

Ob der Trend in Richtung Lebensberatung geht oder nicht, Autoren wie Precht und Denkfestivals wie die phil.COLOGNE stehen exemplarisch für eine Philosophie, die hierzulande im Aufbruch ist und sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert hat.

Sprengstoff Peter Singer

Dass so ein Festival auch Kontroversen auslösen kann, zeigt die Ausladung des australischen Philosophen Peter Singer von der phil.COLOGNE. Eigentlich sollte Singer als Kämpfer für Tierrechte in Köln auf dem Podium sitzen und Stellung beziehen zu der Frage: "Retten Veganer die Welt?" Doch nachdem er in einem Zeitungsinterview der "Neuen Züricher Zeitung" (NZZ) Stellung genommen hatte zu seinen umstrittenen Thesen zur Pränataldiagnostik und zur Abtreibung behinderter Säuglinge im ersten Lebensmonat, wurde sein Auftritt kurzerhand abgesagt. "Peter Singer hat Standpunkte geäußert, die im Widerspruch zu dem humanistisch-emanzipatorischen Selbstverständnis stehen, das die phil.COLOGNE leitet", teilten die Veranstalter mit. Diese Entscheidung hat eine Debatte losgetreten, welche Aufgaben das Festival hat und ob sich die Philosophie nicht gerade mit solchen Überlegungen auseinanderzusetzen habe. Denn Singer vertritt nicht zum ersten Mal seine harschen Thesen. Die phil.COLOGNE geriet damit in den Ruch, nicht mehr als ein schöngeistiges Event zu sein.