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Das Geschäft mit dem Glücksspiel

Vera Kern21. Februar 2014

Studien zeigen: Die größte Gefahr, süchtig zu werden, lauert im Spielautomaten um die Ecke. Spielsucht ist eine ernsthafte Erkrankung mit fatalen Folgen. Doch die Suchtprävention versagt.

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Spielautomat (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Nur noch ein Mal gewinnen. Die Taste ist gedrückt, bunte Bildchen drehen sich. Es ist reines Glück. Springt eine gewinnbringende Kombination heraus? Eher selten. Das ist das Prinzip der Geldspielautomaten. Eingelullt in monotone Dudelmusik gieren Spielsüchtige nach immer mehr - manche verspielen damit ein Vermögen.

Suchtgefahr Automat

Unter allen Glücksspielen sind Geldspielautomaten besonders verhängnisvoll, die für alle ab 18 Jahren ganz einfach zugänglich sind: in der Kneipe um die Ecke. Die größte Risikogruppe: junge Migranten ohne Arbeit, so das Ergebnis einer Studie, die nun die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung über Glücksspielsucht in Deutschland veröffentlichte. Suchtexperten gehen von bis zu 300.000 sogenannten pathologischen Spielern aus - ernsthaft Süchtige also, die dem schnellen Automatengewinn verfallen sind. Neben Live-Sportwetten und Online-Poker ist dieses Spiel besonders riskant. Etwa 75 Prozent der Hilfesuchenden in den Glücksspiel-Beratungsstellen kommen wegen der Automaten.

"Je kürzer die Zeit zwischen Spiel und Ergebnis, umso höher ist das Suchtpotenzial", sagt Richard Stelzenmüller, der an der LVR Klinik Bonn Suchtkranke therapiert. Durch die Musik, die Lichteffekte und das schnelle Spiel würden junge Männer in sehr kurzer Zeit "angefixt". Stelzenmüllers erste Frage im Beratungsgespräch mit einem Glücksspielsüchtigen lautet nicht, wie lange jemand schon "drauf" ist, sondern: "Haben Sie schon mal jemanden bestohlen, um an Geld zu kommen?" Wie im illegalen Drogenbereich gilt Beschaffungskriminalität als Indiz für eine schwere Abhängigkeit.

Spielsüchtiger vor Glücksspielautomat (Foto: dpa)
Besondere Risikogruppe: junge arbeitslose MigrantenBild: picture-alliance/dpa

Süchtig macht eine Störung im Genusszentrum des Gehirns. Wer Stress hat, greift zur Droge. Glücksspiel wirkt schnell stresslindernd. Die Auswirkungen sind fatal: Süchtige verschulden sich, werden kriminell, verlieren ihren Arbeitsplatz, Familien brechen auseinander, die Suizidrate ist hoch. Manche verspielen in einem Jahr den Wert einer Eigentumswohnung. Über vier Milliarden Euro werden jährlich in Spielhallen verzockt.

Das Problem: Spielhallen werden nicht direkt vom Staat kontrolliert. Sie fallen nicht unter das Glücksspielmonopol. Der Staat wacht über Lotterien, Spielkasinos, Wettbüros. Wer dort spielt, soll vor sich selbst geschützt werden: durch strenge Ausweiskontrollen am Eingang und die Möglichkeit, sich als Spieler sperren zu lassen. Seit die strengeren Regeln gelten, treibt der Suchtdruck abhängige Automatenspieler von den Kasinos in die gewerblich betriebenen Spielhallen. Doch bei den Daddelautomaten in Kneipen und Spielotheken gibt es keine Kontrolle und entsprechend keinen Spielerschutz.

Automatenbranche trickst Spielverordnung aus

Wie kann es sein, dass ein so fatales Glücksspiel nicht strenger reguliert wird? Suchtberater wie Ilona Füchtenschnieder von der Landeskoordinierungsstelle Glücksspiel NRW mutmaßen schon lange: Die Automatenlobby ist der Politik wichtiger als eine effektive Suchtprävention. "Man geht da immer sehr gnädig mit der Branche um", so Füchtenschnieder. Sie kämpft schon lange gegen die Verharmlosung des so genannten "kleinen Spiels". Kommt ein neues Automatenspiel auf den Markt, duldeten die Wirtschaftspolitiker dies zunächst. Und wenn das Spiel sich als problematisch entpuppt, gebe es "irre lange Übergangsfristen".

Ilona Füchtenschnieder (Foto: dpa)
Warnte schon früh vor Glücksspielsucht und kämpft gegen die Automatenlobby: Ilona FüchtenschniederBild: picture-alliance/dpa

Ein Beispiel für das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Politik und Industrie: Das Punktespiel, ein Trick der Automaten-Branche, um die strenger gewordene Spielverordnung zu umgehen. Die sollte auch bei den privaten Spielhallen für einen höheren Spielerschutz sorgen: Höchsteinsatz von 20 Cent pro Spiel, Maximalverlust von 80 Euro pro Stunde, ein Spiel muss mindestens sechs Sekunden dauern. Die Branche reagiert mit dem Punktespiel. "Das Geld, was man reinwirft, wird einfach in Punkte umgewandelt. Dann kann man viel größere Summen in einer viel kürzeren Zeit spielen", kritisiert Suchtberaterin Füchtenschnieder.

Wer ist der Gewinner?

Im Glücksspielmarkt verquicken sich die Interessen. Es gibt zwar strenge Regelungen wie den Glücksspielstaatsvertrag und die Spielverordnung. Aber auch eine mächtige Automatenindustrie. Deren Cheflobbyist ist Paul Gauselmann. Der Spielgerätehersteller (Marke "Merkur") macht jährlich einen Umsatz von mehr als einer Milliarde Euro.

Doch auch der Staat profitiert vom Glücksspiel. Alle Bundesländer außer Bayern erheben eine Vergnügungssteuer - die bringt in Großstädten schon mal Millionenbeträge. Allerdings leiden Kommunen auch unter den vielen Spielhallen. Denn sie tragen die Kosten der Spielsucht, wenn Menschen arbeitslos werden. Die Kaufkraft wird von den Automaten verschluckt. Auch die Abwertung von Stadtvierteln ist ein Problem. Wer will schon inmitten von zwielichtigen Spielhallen in ein ganz normales Ladengeschäft oder eine Eigentumswohnung investieren? Tilman Becker von der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim kann die Aufregung über den Wildwuchs an Spielhallen nicht verstehen. "Es ist schon ein bisschen scheinheilig, wenn sich eine Kommune über die Ansiedlung von Spielhallen beschwert, die sie ja erlaubt hat", sagt er.

Paul Gauselmann (Foto: dpa)
Macht mit den Automaten ein gutes Geschäft: Spielgerätehersteller Paul GauselmannBild: picture-alliance/dpa

Clean werden, Schulden abbezahlen

Wenn nichts mehr geht, landen Spielsüchtige in der Klinik bei Richard Stelzenmüller. Sie sollen lernen, ihr Verhalten zu ändern. Stelzenmüller setzt die Patienten auf radikalen Entzug: kein Zocken mehr. Wie auch Drogenabhängige leiden sie dann unter Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen und starkem Suchtdruck. Zwei Monate dauert eine stationäre Behandlung, ein Jahr die ambulante Therapie.

Meist braucht es mehrere Anläufe, bis ein Spielsüchtiger wieder die Kontrolle über sein Leben erlangen kann. Wer "clean" wird, ist dann oft noch hoch verschuldet. Deshalb bieten Suchtambulanzen zusätzlich eine Schuldnerberatung an.

Ilona Füchtenschnieder glaubt, eine Menge sei schon geholfen, wenn man die Automaten in Gaststätten verbieten würde. "Das ist häufig der Einstieg", weiß sie aus dem jahrelangen Beratungsalltag. Sie weiß auch, dass der Staat eine Sucht nicht verhindern kann. Aber es existieren Modelle, wie es besser funktioniert. Spielerkarten in Kanada und Skandinavien etwa. "Das wäre eine sinnvolle Präventionsmaßnahme zur Schadensminderung", so Glücksspielforscher Tilman Becker. Jeder Spieler muss sich dafür im Internet über einen Code registrieren, kann sich dort selbst Limits setzen und sperren lassen. Ohne diese Karte hat er keinen Zugang zum Glücksspiel. Das Spiel ist aus, bevor es beginnt.