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Das Geschäft mit Geiseln

Daniel Pelz2. Juni 2012

Der Tod eines deutschen Ingenieurs zeigt, wie groß das Problem von Entführungen in dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas ist. Meist aber sind Nigerianer selber betroffen, die verschleppt werden.

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Das Gebäude in der Stadt Kano, in dem das deutsche Entführungsopfer am 31. Mai 2012 starb (Foto: reuters)
Bild: Reuters

Dunkelgelb leuchtet Nigeria auf der Weltkarte der britischen Sicherheitsfirma AKE. Die Karte hat ein einfaches Prinzip: Je gefährlicher das Land, desto dunkler die Farbe. In Afrika hat nur ein Land eine noch dunklere Farbe: Somalia.  
 
Auch in den internationalen Medien häufen sich die Schlagzeilen in den letzten Monaten. März: Eine italienische und eine britische Geisel sterben bei einem fehlgeschlagenen Befreiungsversuch. Montag (28.05.2012): Unbekannte entführen einen Italiener von einer Baustelle im Bundesstaat Kwara. Donnerstag (31.05.2012): Ein deutscher Bauingenieur, der im Januar gekidnappt worden war, wurde vermutlich getötet, davon geht auch das Auswärtige Amt inzwischen aus.

Kriminelle Hintergründe

Neu ist das "Geschäft Geiselnahme" in Nigeria nicht. Bereits in den Jahren 2008 und 2009 gab es Entführungswellen im Niger-Delta, der Region mit den größten Ölvorkommen. Ausländische Mitarbeiter großer Mineralölkonzerne wurden am helllichten Tag von Rebellen als Geiseln genommen - manchmal direkt von der Förderplattform oder aus dem Auto heraus. Allein 50 waren es nach Angaben des US-Außenministeriums zwischen Januar 2008 und Juli 2009.

"Dabei mag es auch finanzielle Motive gegeben haben, aber offiziell vertraten die Geiselnehmer politische Ziele. Sie wollten die Aufmerksamkeit der nigerianischen Regierung bekommen und die Verwundbarkeit der Ölindustrie herausstellen", sagt Hannah Waddilove. Die Afrika-Analystin der britischen Sicherheitsfirma AKE hat seit Jahren ein Auge auf Nigeria. Die Rebellen begründeten die Geiselnahmen damit, dass die großen Ölfirmen die Landschaft verschmutzen und die Bewohner der Region nicht am Öl-Boom teilhaben lassen würden. 2009 bot die Regierung den Rebellen eine Amnestie an - seitdem ist es für Ausländer im Niger-Delta wieder ruhiger geworden. Nicht zuletzt auch deswegen, weil die Firmen mit viel Geld und dem Einsatz privater Sicherheitsfirmen ihre Mitarbeiter besser schützen.

Jeden Tag neue Banden

"Die Zahl der entführten Ausländer in Nigeria ist im Vergleich zu 2009 gesunken", bestätigt auch die Sicherheitsexpertin Waddilove. Und: Wer heute in Nigeria Geiseln nimmt, hat meist keine politischen Ziele. "Menschen werden als Geiseln genommen, und jemand ist bereit, für sie Lösegeld zu bezahlen. Das Geschäft beginnt also zu blühen, es wird zu einer Art Industrie, die man 'Gewalt-Wirtschaft' nennen kann", sagt Sofiri Joab-Peterside von der Universität Port Hartcourt im Süden Nigerias.

Die meisten Entführungsopfer sind allerdings Nigerianer: "Schnapp' Dir die Einheimischen", titelte das britische Magazin "Economist" bereits vor zwei Jahren über die Entführungsindustrie in Nigeria. Im Gegensatz zu Ausländern haben sie keine Sicherheitsfirmen oder Regierungen hinter sich, die durch Einsätze von Elitetruppen oder professionellen Vermittlern den Entführern Kopfschmerzen bereiten könnten.

Kinder als Entführungsopfer

Wählerisch sind die Entführer nicht: In den letzten Monaten gehörten ein 106 Jahre alter Mann und die Frau eines Parlamentsabgeordneten zu den Opfern. Im Mai stürmte ein Kommando das Haus einer Familie in der Stadt Enugu im Südosten des Landes und nahm die sechsjährige Tochter mit. "Ich habe geweint und gebettelt, dass sie mir mein Kind lassen, aber sie haben mich ignoriert", sagte die Mutter des Mädchens der nigerianischen Tageszeitung "Vanguard". Über das Schicksal des Mädchens ist noch immer nichts bekannt.

Viele Experten machen für die vielen Entführungen auch die große Ungleichheit im Land verantwortlich. In der legalen Wirtschaft finden nur wenige Menschen ein ausreichendes Einkommen. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung Nigerias lebt unter der Armutsgrenze. Die Lebenserwartung liegt bei 51 Jahren und damit unter dem afrikanischen Durchschnitt. Dabei ist das Land im Westen Afrikas einer der größten Ölproduzenten des Kontinents. Doch ein Großteil der Einnahmen wandert ins Ausland oder kommt der kleinen Oberschicht zu Gute.
 
20 Jahre Haft und Todesstrafen

Die nigerianischen Behörden setzen im Umgang mit den Kidnappern auf Härte: Das Parlament hat ein spezielles Gesetz verabschiedet, nach dem den Tätern 20 Jahre Haft drohen. Einige Bundesstaaten gehen sogar noch darüber hinaus und drohen mit der Todesstrafe. Außerdem gibt es Spezialeinheiten, die Jagd auf Geiselnehmer machen. Die prominenteste ist die so genannte Gemeinsame Einsatzgruppe (JTF), die auch beim Tod des deutschen Bauingenieurs im Einsatz war.

Experten halten diese Strategie für einseitig: Sie fordern die Regierung auf, die enorme Armut im Land zu bekämpfen und damit kriminellen Gangs den Nährboden zu entziehen.