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Erbe der Vergangenheit

Zoran Arbutina20. Juli 2012

In Ungarn sieht Europa seit langem die Rechtstaatlichkeit gefährdet. Nun habe auch Rumänien demokratische Prinzipien verletzt, moniert die EU-Kommission. Woher kommen die Demokratiedefizite?

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Das Parlament in Bukarest von Innen (Foto:dapd)
Das Parlament in BukarestBild: AP

Wieder steht ein EU-Mitglied aus dem Osten Europas am Pranger der Europäischen Kommission. So wie vor einigen Monaten die Politik Viktor Orbans in Ungarn getadelt wurde, kritisiert EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso nun mit erstaunlich deutlichen Worten die Regierung Victor Pontas in Rumänien. Die Rechtstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Justiz in Rumänien seien in Gefahr, sagte Barroso bei der Präsentation des sogenannten Fortschrittsberichts zur Lage in dem südosteuropäischen Land. "Die Ereignisse in Rumänien haben unser Vertrauen erschüttert", so Barroso. Ähnlich fällt das Urteil für Bulgarien aus. In dem Bericht zur Lage in diesem Land wird auch betont, dass die Ziele beim Ausbau eines modernen Justizwesens sowie im Kampf gegen die Korruption noch nicht erfüllt seien. Und schon spricht man europaweit von Demokratiedefiziten der ost- und südosteuropäischen Staaten.

Einen Grund dafür sieht Wolfgang Höpken, Professor für südosteuropäische Geschichte an der Universität Leipzig, in der mangelnden Demokratieerfahrung der Staaten, die bis 1989 Teil des sogenannten "Ostblocks" waren. Schon in vorkommunistischen Zeiten hätten diese Gesellschaften keine gut funktionierenden demokratischen Systeme gehabt, und während der kommunistischen Herrschaft sei das Misstrauen gegenüber den staatlichen Institutionen noch weiter gewachsen. Nach der Wende, so Höpken, wurden diese Länder dann mit einer historisch einmaligen Herausforderung konfrontiert, zeitgleich ihr Wirtschafts- und ihre politisches System reformieren zu müssen. "Das stellte eine sehr große Belastung für diese Gesellschaften dar. Hier sofort eine lückenlose demokratische Ordnung zu erwarten, wäre naiv“, meint Höpken.

EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso (Quelle: REUTERS/Yves Herman (BELGIUM - Tags: POLITICS)
EU-Kommissionspräsident Barroso mahnt Defizite anBild: Reuters

Politische Gegner als Feinde bekämpft

In der Praxis bedeutet das, dass die politischen Eliten immer wieder versuchen, ihre Position zu sichern und sich dabei nur formell im Rahmen ihrer Verfassungen zu bewegen. Letztendlich würden sie aber nicht im Sinne ihrer Verfassungen handeln: Mit verschiedenen Tricks und Listigkeiten wird die Unabhängigkeit der Justiz ausgehöhlt, die Befugnisse des Verfassungsgerichts werden beschnitten und die gegenseitige Kontrolle der staatlichen Institutionen wird ausgehebelt.

"Dahinter verbirgt sich das Grundmuster 'mein politischer Gegner ist mein Feind, den man mit allen Mitteln bekämpfen muss'", sagt Franz-Lothar Altmann, Professor für internationale Beziehungen an der Universität in Bukarest. "Hier fehlt die Kultur der politischen Diskussion, eine Parlamentskultur wie man miteinander umgeht", erklärt Altmann. Eine ähnliche Situation wie jetzt in Ungarn oder Rumänien habe man aber vor einigen Jahren auch in Polen gehabt, als die Brüder Jaroslaw und Lech Kaczynski die Geschicke des Landes lenkten, gibt Altmann zu bedenken. Er ist überzeugt, dass das ein Erbe der kommunistischen Herrschaft ist. "Da gab es nur eine Meinung - die der Partei", sagt Altmann.

Öffentliche Kritik macht Eindruck

Das ist auch einer der Gründe, warum die Europäische Kommission für Rumänien und Bulgarien ein Monitoring eingeführt hat. Da man bei der Aufnahme dieser Länder in die EU im Jahr 2007 stillschweigend akzeptierte, dass sie die strengen Aufnahmekriterien nicht ganz erfüllen, stellte man sie unter Beobachtung von Experten. Sie sollen seitdem die Fortschritte beim Aufbau einer unabhängigen Justiz sowie im Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität bewerten und der EU-Kommission darüber regelmäßig  berichten.

Zweierlei Maß?

In den betroffenen Ländern wird oft behauptet, der Westen sei in seiner Kritik sehr einseitig. "Warum bestraft Brüssel immer nur die Osteuropäer?", fragte neulich eine ungarische Zeitung. Die EU würde sich in die innenpolitischen Angelegenheiten der Osteuropäer in einem Maße einmischen, in dem sie es bei westlichen Staaten nicht tun würde, so die gängigen Vorwürfe. Gerne werden dann als Beispiel die Angriffe auf die Justiz in Italien zu Zeiten Berlusconis, die Vertreibung der Roma aus Frankreich zu Zeiten Sarkozys oder der Einfluss des Rechtspopulisten Geert Wilders auf die Regierung in den Niederlanden genannt.

Kultur- und Sozialhistoriker Wolfang Höpken
Höpken: "Westeuropa darf nicht belehrend wirken"Bild: DW

Auch Kultur- und Sozialhistoriker Wolfgang Höpken warnt davor, arrogant oder belehrend zu wirken: "Viel zu oft leisten sich auch westliche Demokratien peinliche Ausrutscher“. Einen wichtigen Unterschied sieht er aber dennoch darin, "dass man das Gefühl hat, dass in Rumänien momentan durch den Machtkonflikt zwischen Präsident Basescu und Regierungschef Ponta demokratische Strukturen verändert werden." Das sei in den Niederlanden nicht der Fall, egal wie problematisch man Wilders Politik bewerte, so Höpken.

Lernfähige Gesellschaften

Angesichts der schlechten Noten, die beiden Ländern nun von der Europäischen Kommission ausgestellt worden sind, stellt sich wieder die Frage, ob man sie nicht doch zu früh in die EU aufgenommen hat. "Vielleicht waren wir damals doch zu blauäugig", sagt Franz-Lothar Altmann, "und zu schnell". Inzwischen könne man beobachten, dass der Reformeifer merklich nachgelassen hat, so Altmann.

Allerdings ist der Prozess der Transformation der mittel- und osteuropäischen Staaten immer noch nicht beendet. Die Europäische Kommission kann dabei durch Monitoring, Vorladungen der verantwortlichen Politiker und durch die Androhung von Sanktionen gesellschaftliche Veränderungen anstoßen und steuern. Dadurch haben sowohl Viktor Orban in Ungarn als auch Victor Ponta in Rumänien einige ihrer heftig kritisierten Entscheidungen zurückgenommen. Und auch in Bulgarien gibt es Anzeichen dafür, dass man es mit der Bekämpfung der Korruption und der organisierten Kriminalität ernst meint - eine Bestätigung für all diejenigen, die glauben, dass man es hier doch mit lernfähigen und lernwilligen Gesellschaften zu tun hat, die auf dem Weg zu modern funktionierenden Demokratien sind.

Balkanexperte Franz-Lothar Altmann aus München
Altmann: "Es fehlt die Kultur der politischen Diskussionen"Bild: Franz-Lothar Altmann