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Das Ende der Sparpolitik in Europa?

Jutta Wasserrab26. August 2014

EZB-Chef Mario Draghi hat in einer Rede abweichend vom Pressetext eine kleine Passage eingefügt - und möglicherweise den europäischen Sparwillen endgültig gebrochen.

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Mario Draghi (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Deflation - wenn alles billiger wird!

Darauf vorbereitet war keiner und als Mario Draghi kurzfristig ein paar neue Zeilen in seine Rede einfügte, dauerte es noch Tage, bis diese in der Öffentlichkeit ihre Wirkung erzeugten.

Auf dem traditionellen Notenbanker-Treffen im US-amerikanischen Jackson Hole am vergangenen Freitag hatte der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) gesagt, er halte die Lage Europas für ernster als bisher angenommen: "Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln" werde die EZB die Inflation in den Euroländern anheizen, sagte er.

Der bisher nur theoretisch diskutiert massive Ankauf von Wertpapieren durch die EZB könnte also bald Realität werden. Was nichts anderes heißt, als dass Draghi die Geldpresse anwerfen könnte, sollte die Notenbank ihre Inflationsziele verfehlen. Und davon geht Draghi momentan aus.

Schon seit Wochen gehen die Inflationserwartungen in der Euro-Zone nach unten. Viele Experten schauen mit Sorge auf das Ende der Woche, wenn die Europäische Statistikbehörde Eurostat die Inflationsdaten für August veröffentlichen wird.

Das Euro-Zeichen vor dem ZEB-Gebäude (Foto: picture-alliance/dpa)
EZB hat nicht nur den Euro im BlickBild: picture-alliance/dpa

Im Juli waren die Preise in der Eurozone gerade einmal um 0,4 Prozent gestiegen. Prognosen zufolge soll die Inflation im August weiter sinken. Das jährliche Inflationsziel von zwei Prozent wäre damit in weite Ferne gerückt.

Die Gefahr für Europa besteht nun darin, dass die Preise sogar fallen könnten. In der sogenannten Deflation halten sich Verbraucher beim Konsum und Unternehmen mit Investitionen zurück, weil sie stetig sinkende Preise erwarten.

Wildern in fremden Bereichen

In Jackson Hole sprach Draghi aber nicht nur über die Geldpolitik der EZB, sondern wagte sich auch in Bereiche vor, die eigentlich nicht zur Kernkompetenz eines Zentralbankers gehören.

Vor allem die europäischen Regierungen sieht er in der Pflicht, für mehr Wachstum zu sorgen. Und zwar nicht nur über Strukturreformen, sondern - und das ist das eigentlich Neue aus Draghis Mund - über ihre Fiskalpolitik.

Damit befeuert Draghi die Debatte um die europäische Sparpolitik, in der Deutschland für einen strengen Sparkurs steht, während Länder wie Frankreich und Italien mehr Ausgaben für Konjunkturprogramme fordern.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel gerät damit immer weiter unter Druck. Erst vor einigen Tagen wurde sie für ihren Sparkurs hart kritisiert - ausgerechnet von Nobelpreisträgern der Wirtschaftswissenschaften bei einer Tagung in Lindau.

Starökonom Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger, Professor an der Columbia-Universität in New York und ehemaliger Chefökonom der Weltbank, sagte im Interview mit der DW: "Wenn man sich die meisten europäischen Länder anschaut, muss man feststellen, dass es dort sehr, sehr schlecht aussieht. In vielen europäischen Ländern ist das Einkommen pro Kopf heute niedriger als vor der Krise. Das bedeutet: eine halbe oder mehr als eine halbe Dekade Stagnation."

Joseph Stiglitz (Foto: picture alliance/Sven Simon)
Nobelpreisträger Joseph StiglitzBild: picture alliance/Sven Simon

Und für Stiglitz ist das erst der Anfang: Die Eurozone riskiere eine Depression, die über Jahre anhalten, die sogar Japans verlorene Dekade in den Schatten stellen könnte, sagte er gegenüber der britischen Tageszeitung Telegraph. Die von Deutschland verfochtene Sparpolitik sei direkt dafür verantwortlich, dass Europa in den letzten sechs Monaten den Aufschwung verpasst habe.

Tatsächlich ist die Erholung im Währungsraum in den letzten drei Monaten zum Stillstand gekommen - vor allem, weil es bei den drei großen Volkswirtschaften der Eurozone nicht gut lief: Die Wirtschaft in Frankreich stagnierte, in Deutschland schrumpfte sie und in Italien rutschte sie sogar in die Rezession zurück.

Um Merkel wird es einsam

Von Stiglitz kommt eine solch harsche Kritik nicht überraschend, er gilt als Globalisierungs- und Marktkritiker und als eingefleischter Keynesianer, welche eine Politik befürworten, die die Nachfrage beeinflusst - im Gegensatz zu den Monetaristen, welche über die Geldpolitik das Angebot steuern wollen.

Doch die Kritik an der europäischen Sparpolitik geht mittlerweile quer durch alle ökonomischen Schulen. Lars-Peter Hansen, Professor an der erzliberalen University of Chicago, sprach sich angesichts der Stagnation in der Eurozone gegenüber der "Welt am Sonntag" für staatliche Investitionen in Bildung und Infrastruktur aus.

Merkels Drohung, Schuldensünder und Reformunwillige müssten als Antwort auf die "Konstruktionsfehler des Wirtschafts- und Währungssystems" härter bestraft werden, hält Hansen für verfehlt: "Einem Land, das bereits am Boden liegt, mit weiteren Strafmaßnahmen zu drohen, halte ich für keine so gute Idee", sagte er gegenüber der Sonntagszeitung.

Erik Maskin, Professor am Institute for Advanced Study in Princeton, äußerte sich in der Zeitung "Die Welt" ebenfalls wenig schmeichelhaft: Merkel habe schlicht und einfach die falschen ökonomischen Berater.

Um die deutsche Kanzlerin könnte es nun recht einsam werden - jetzt, nachdem selbst Draghi die europäischen Regierungen aufgerufen hat, ihre finanziellen Spielräume zu nutzen.

Deflation - wenn alles billiger wird!

Der französische Präsident François Hollande steht nach dem Rücktritt der französischen Regierung ohnehin unter gehörigem Druck und schwankt zwischen Sparpolitik und der Lust auf staatliche Konjunkturprogramme. Wenn er sich an Draghi hält, könnte er seiner Lust endlich nachgeben.

Und auch für Länder wie Italien, Portugal oder Griechenland könnte das ein Startsignal sein, die ungeliebte Sparpolitik aufzuweichen, um Beschäftigung und Wachstum anzukurbeln.

Schlecht für Weidmann - gut fürs Geschichtsbuch

Und auch auf Jens Weidmann kommen nun harte EZB-Ratssitzungen zu - die erste bereits am 4. September. Der Bundesbank-Chef steht an der Spitze derjenigen, die nicht noch mehr Geld in den Kreislauf pumpen wollen.

Bis zum Jahresende will die EZB Geld im Wert von 400 Milliarden Euro in den Markt spritzen. Auf zwei Injektionen soll das Geld verteilt werden, die erste Spritze soll es Mitte September geben.

Bislang galt es als Konsens, die Wirkung solcher Aktionen erst einmal abzuwarten. Doch das war, bevor Draghi völlig überraschend nach vorne preschte.

Vielleicht will Draghi ja verhindern, später einmal von Historikern "geteert und gefedert" zu werden. Peter Diamond, auch er Nobelpreisträger und einer der führenden Arbeitsökonomen weltweit, hatte den europäischen Zentralbankern mit dieser Aussicht gedroht, sollten sie nicht zu einer raschen Beendigung der Krise beitragen.