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Das Elite-Problem

Christina Bergmann, Washington26. Juni 2012

Ein Abschluss an einer der US-Eliteuniversitäten gilt als sicheres Sprungbrett für eine erfolgreiche Karriere. Doch nicht jeder hat die gleiche Chance, in den Genuss einer solchen Ausbildung zu kommen.

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Langdell Hall, die Bibliothek, auf dem Campus der Harvard Law School in Cambridge (Foto: AP)
Bild: AP

US-amerikanische Universitäten genießen weltweit einen exzellenten Ruf. Über 700.000 ausländische Studentinnen und Studenten büffelten im letzten Jahr in amerikanischen Hörsälen. Mehr als die Hälfte davon kamen aus China, Indien, Südkorea und Kanada. Und auch für viele Amerikaner ist der Universitätsbesuch ein Ziel, für das sie viele Mühen auf sich nehmen und vor allem viel Geld ausgeben.

Denn wer in den USA auf eine der Eliteuniversitäten geht – also etwa Columbia, Harvard, Princeton oder Yale aus der renommierten sogenannten "Ivy League" oder anderen, ebenso gut angesehenen wie Stanford oder Duke – dem öffnen sich Türen, die anderen verschlossen bleiben. Die "Ivy League" bringt seit Jahrzehnten Präsidenten, Richter des Obersten Gerichtshofes und Firmenchefs hervor, dazu unzählige Manager und Wall Street Banker.

Zehntausende Dollar für die Eliteausbildung

"Schon lange gilt Bildung als der Weg, über den Menschen in der Gesellschaft aufsteigen, über den sie sich ihre Position in einer bestimmten Klasse sichern", sagt William Deresiewicz, der von 1998 bis 2008 an der Yale Universität Englisch gelehrt und an der Columbia Universität studiert hat. Vor allem Eltern der Mittelklasse legen bis heute großen Wert darauf, ihre Kinder auf eine Eliteuniversität zu schicken. Die Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigen das starke Interesse der Amerikaner an einer Universitätsausbildung: 2009 hatten 41 Prozent der Erwachsenen einen Hochschulabschluss. Die USA liegen damit unter den Top 5 der 34 OECD-Länder und über dem Durchschnitt.

Der US-Schriftsteller William Deresiewicz (Foto: Studio 3, Inc. )
William DeresiewiczBild: Studio 3, Inc.

Allerdings kommt dieser Wert vor allem durch den hohen Ausbildungsstand der älteren Generation zustande. Unter der jüngeren Generation ist der Hochschulabschluss weniger verbreitet. Kein Wunder, denn im Rennen um die begehrten Plätze an den Eliteunis zählt inzwischen vor allem eins: Geld. Wer genügend hat, kann seine Kinder auf eine Privatschule schicken, kann Test-Coaches und Nachhilfelehrer bezahlen und zusätzliche Lernprogramme, erklärt Deresiewicz, eben "all die Dinge, die zehntausende Dollar kosten, zusätzlich zu den Gebühren, die eine Privatschule ohnehin schon kostet". Denn nur so – mit hervorragenden Testnoten, Auslandsaufenthalten, Mitgliedschaften in Sportclubs und ehrenamtlichen Tätigkeiten – gelingt die Aufnahme in den exklusiven Club.

Sparkurs bei der öffentlichen Bildung

Kinder aus den unteren Schichten der Gesellschaft, die in ihrer Freizeit jobben und zum Familienunterhalt beitragen müssen, haben hier kaum eine Chance. Schon die untere Mittelschicht kann sich dieses Rennen nicht mehr leisten. Ihre Kinder finden wesentlich seltener den Weg zu Universitäten wie etwa Harvard. Die Ursache dieser Entwicklung liegt im Sparkurs des öffentlichen Bildungssystems. "Kalifornien, Michigan und Wisconsin haben öffentliche Universitäten, an denen man eine hervorragende Ausbildung bekommen konnte", erklärt Deresiewicz, "aber die Etatkürzungen hatten verheerende Auswirkungen." Seit den 80er Jahren ist die staatliche Unterstützung um 30 Prozent zurückgegangen. Und der Trend bewegt sich noch immer in diese Richtung: Vor allem die Republikaner vertreten eine Politik der Steuersenkung, die sie auch mit Etatkürzungen im Bildungsbereich erkaufen wollen.

Der unteren Mittelschicht bleibt aber nicht nur eine renommierte Universitätsausbildung verwehrt. "Was in den USA fehlt", sagt Thomas Zielke, der Delegierte der Deutschen Wirtschaft in Washington, "sind ausgewiesene Facharbeiter, die die deutsche Industrie stark gemacht haben, die mit einer reifen Grundlagenausbildung ins Geschäft kommen und flexibel sind." Die jahrhunderte lange Tradition der Gilden und Handwerksbetriebe, aus der die Ausbildungsberufe entstanden sind, gibt es in den USA nämlich nicht.

US-Präsident Barack Obama hält eine Rede vor Schülern der Wakefield High School in Arlington, Virginia, USA (Foto: dpa)
"Education, my future" - US-Präsident Barack Obama setzt auf Bildung und AusbildungBild: picture-alliance/dpa

Finanzhilfen für Community Colleges

Präsident Obama hat den Facharbeitermangel jetzt zur Chefsache erklärt. Mit acht Milliarden Dollar möchte er einen "Community College to Career Fund" ausstatten, der Partnerschaften zwischen den Colleges und der Industrie finanzieren soll, vor allem im Gesundheits- und Transportgewerbe und der verarbeitenden Industrie. Zwei Millionen Amerikaner will er ausbilden – und ihnen so einen Job verschaffen. Ein Besuch der Community Colleges dauert meist zwischen zwei und vier Jahren. Hier werden Krankenschwestern und Schweißer ausgebildet.

Acht Milliarden Dollar höre sich zwar nach viel an, sagt Stephen Steigleder, Bildungsexperte am liberalen Center for American Progress. Doch die Summe müsse über mehrere Jahre und viele Institute verteilt werden. Öffentliche Finanzierung von Ausbildung ist seiner Ansicht nach aber der einzige Weg, die Schere zwischen unteren, mittleren und höheren Einkommensschichten wieder etwas zu schließen.

Teure und einseitige Uni-Ausbildung

"Derzeit hat jeder Student im Durchschnitt 27.000 Dollar Schulden, wenn er seine Ausbildung beendet", erklärt Steigleder. Für viele, die danach nur einen mittelmäßig bezahlten Job bekommen, sei das eindeutig zu hoch. In den USA gibt es daher die sogenannten Pell Grants – Studienzuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Derzeit betragen sie im Jahr für einen Studenten 5500 US-Dollar. "Rund 30 Milliarden Dollar im Jahr lässt der Staat sich das kosten", so Steigleder. Es gelte aber auch, das Ansehen der handwerklichen Berufe zu stärken, meint der Experte. "Wir würden diese Kluft gerne schließen, so dass der Unterschied im Renommee zwischen einem Handwerker, der 50.000 Dollar im Jahr verdient und einem Anwalt, der 200.000 Dollar im Jahr verdient, kleiner wird."

Mit einer Hochschulausbildung, so betont auch Autor William Deresiewicz, könne man schließlich viele verschiedene Tätigkeiten ausüben – nicht nur die angesehenen Berufe im Finanz- und Rechtswesen, in der Medizin und Unternehmensberatung ergreifen. Als "Talentfehlleitung" bezeichnet der Schriftsteller den Trend zur universitären Elitenbildung, der sich seiner Ansicht nach negativ auf die Gesellschaft auswirkt. Ein schlechtes Zeugnis für die Kaderschmieden von einst.