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Daniel Kehlmanns literarischer Weltbestseller im Kino

Jochen Kürten29. Oktober 2012

"Die Vermessung der Welt" begeisterte Millionen Leser. Nun läuft die Verfilmung in den Kinos. Regisseur Detlev Buck hat seinen Film in 3-D gedreht. Dem tieferen Kern der literarischen Vorlage hat er sich kaum genähert.

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Szene aus dem Film "Die Vermessung der Welt" mit Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß (Foto: Verleih Warner Bros.)
Bild: Warner Bros. 2012

Ein Wissenschaftler im südamerikanischen Urwald, ein anderer in seiner düsteren Schreibstube in Göttingen. Zwei Größen der deutschen Geistesgeschichte. Der Naturforscher Alexander von Humboldt, Weltreisender und Entdecker, Forscher und preußischer Weltbürger. Der andere, Carl Friedrich Gauß, mathematisches Genie von Kind an, eigenbrötlerisch und zurückgezogen in der deutschen Provinz lebend. Das ganze spielt im späten 18. Jahrhundert und den folgenden Jahrzehnten. Das war der Stoff, dem Daniel Kehlmanns Roman "Die Vermessung der Welt" vor sieben Jahren zugrund lag.

Deutschsprachiger Weltbestseller

Der Roman stand wochenlang auf Platz 1 der Bestenliste, verkaufte sich in Deutschland Millionenfach und wurde zur Schullektüre. In über 40 Sprachen wurde der Text übersetzt, auch in anderen Ländern erklomm er die Verkaufslisten. Das Buch des gebürtigen Münchners wurde zu einem der größten Erfolge der deutschsprachigen Literatur nach dem Krieg. Trotzdem überrascht es noch heute, das "Die Vermessung der Welt" ein so ungeheurer Bestseller wurde. Die Erkenntnisse zweier Wissenschaftler sind nicht gerade der typische Stoff für großes, populäres Kino - vor allem, wenn der eine auch noch Mathematiker ist. Wie lässt sich das erklären? Kehlmann hatte das an sich schwierige und anspruchsvolle Thema mit Witz, Ironie und Humor erobert, Wissenschaft und Forschung so in ein anspruchsvolles Unterhaltungsgenre überführt.

Szene aus dem Film "Die Vermessung der Welt" mit Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß (Foto: Verleih Warner Bros./dpa)
Politik trifft Wissenschaft: Michael Maertens (l) als Herzog und Florian David Fitz (r) als Carl Friedrich GaußBild: picture-alliance/dpa

Nun also der Film. Das lag angesichts der enormen Verkaufszahlen und der Popularität des Buches nah. Kehlmann selbst hat tüchtig mitgearbeitet. Gemeinsam mit Regisseur Detlev Buck (und Co-Autor Daniel Nocke) schrieb er das Drehbuch, übernahm selbst einen kleinen Part im Film und unterstützte auch die Marketingoffensive des Verleihs im Vorfeld des Kinostarts. Man darf also davon ausgehen, dass "Die Vermessung der Welt" nach den Vorstellungen des Erfolgsautors realisiert wurde. Die ironische Tonlage des Buches wurde ins andere Medium transportiert. Auch die Filmversion erlaubt den Blick auf zwei legendäre Wissenschaftler mit den Mitteln der Komödie.

Von der Schwierigkeit, aus Literatur Kino zu machen

Wenn man nun das Buch gelesen und den Film gesehen hat, dann kann man - einmal mehr - zu dem Schluss kommen, dass ein gutes Buch noch lange keinen guten Film ausmacht. Am Genre der Literaturverfilmung sind schon viele gescheitert. Der in den letzten Jahrzehnten vor allem als Komödienregisseur hervorgetretene Detlev Buck hat sich mit seinen Co-Autoren Kehlmann und Nocke relativ nah an die Romanvorlage gehalten. Die einzelnen Lebensetappen der beiden Wissenschaftler werden auch im Film abgehandelt, immer hübsch nacheinander in Parallelmontagen. Begegnungen zwischen den beiden Geistesgrößen hat es - bis auf zwei Ausnahmen - ja auch nicht gegeben.

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Fast auf dem Gipfel: Aleaxander von Humboldt (Albrecht Schuch) und Aimé Bonpland (Jérémy Kapone)Bild: picture-alliance/dpa

Die zwei verbürgten tatsächlichen Treffen der beiden am Hofe des Herzogs von Braunschweig (damals waren sie noch Kinder) und die spätere Begegnung bei einem Wissenschaftskongress in Berlin bilden den Rahmen der Filmhandlung. Dazwischen hat Buck in einem bunten Bilderreigen anekdotenhaft die Leben des Naturforschers und des Mathematikers aufgefächert.

Private Liebschaften und geistige Höhenflüge

Der Zuschauer sieht also, wie Humboldt mit seinem französischen Reisebegleiter Aimé Bonpland das südamerikanische Dickicht durchstreift, dabei auf Kannibalen und Urwaldtiere trifft, im Dunkeln des Regenwalds ausharrt und die eisigen Höhen des Chimborazo erklimmt. Und man schaut zu, wie Gauß sich in seine mathematischen Formeln vertieft, wie er zwischen privaten Liebschaften und geistigen Höheflügen pendelt. Es gibt eigentlich nur einen großen Unterschied zwischen Buch und Film - und vielleicht hat gerade das der Kinoadaption das Genick gebrochen. Verzichtete das Buch aus gutem Grund auf Dialoge und direkte Rede, so setzt der Film gerade auf diese Form.

Als Daniel Kehlmann das Buch schrieb, hatte er sich ganz bewusst für ein "dialogloses" Romankonzept entschieden: "Dieser Trivialitätspunkt, wo es sehr leicht ins Zurechtgemachte, Unglaubhafte und irgendwie problematische kippt, ist die direkte Rede." Kehlmann verzichtete beim Niederschreiben des Textes, der ja auf Realem und Fiktivem basierte, auf eine allzu direkt ausgemalte Realitätsbeschreibung, indem er auf Dialoge verzichtete. Nicht zuletzt durch dieses ästhetische Stilmittel gewann der Roman seine durchgehend ironische Note, seinen Humor und Witz.

Szene aus dem Film "Die Vermessung der Welt" mit Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß (Foto: Verleih Warner Bros./dpa)
Blick in die Zukunft: Florian David Fitz als Carl Friedrich Gauß und Vicky Krieps als Johanna GaußBild: picture-alliance/dpa

Warum nun der Film einen anderen Weg geht, ist zwar verständlich, erweist sich aber als fatal. Verständlich, weil es schwierig gewesen wäre, einen populären Filmstoff mit dem Anspruch, ein großes Publikum zu erreichen, ohne Dialoge auszustatten. Was in einem Buch die Gedankenwelt eines Lesers anstacheln und inspirieren kann, dass wirkt - sieht man es auf der Leinwand - oft meist plump, derb und albern.

Vernichtende Reaktionen

In seltener Eintracht wird der Film "Die Vermessung der Welt" dann bei den großen deutschen Zeitungen auch verrissen: Die Leistungen, die Gauß und Humboldt zu großen Menschen gemacht hätten, lassen sich kaum als Anekdoten kolportieren, schreibt die "Süddeutsche Zeitung". Der Film spule nur all das brav ab, was der Roman aufgefädelt habe (FAZ). "Die Vermessung der Welt" verheddere sich in alle Fallstricke der medialen Übertragung, die Hauptfiguren verkämen zu Karikaturen, Bucks Film biete eine Bilderflut, aber kein Kino (Die Zeit). Der Geist des Films komme direkt vom Rummelplatz (Der Spiegel) - so die kritischen Gazetten.

Szene aus dem Film "Die Vermessung der Welt" mit Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß (Foto: Verleih Warner Bros.)
Ein letztes Treffen im Alter: die ergrauten Alexander von Humboldt und Carl Friedrich GaußBild: Warner Bros. 2012

Die Verfilmung der "Vermessung der Welt" zeigt einmal mehr: Die Gefahr, einen Roman für die große Leinwand zu adaptieren und daran zu scheitern, ist groß. Das muss nicht zwangsläufig misslingen. Geist und Atmosphäre, Themen und Motive von Literatur ins andere Medium zu transportieren und das künstlerische Niveau zu halten, ist nicht unmöglich. Dafür gibt es Beispiele, Thomas Mann und Luchino Visconti ("Tod in Venedig") könnte man als Beispiel nennen, auch Günter Grass und Volker Schlöndorff ("Die Blechtrommel"). Es genügt aber eben nicht Handlungsgerüst und Charaktere eines Romans bloß mit vielen bunten, poppigen Bildern zu versehen. Auch der 3D-Effekt, den Detlev Buck und sein Team bei der Verfilmung des Romans genutzt haben, haben dem Film keine Tiefe verliehen.