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Datensammlung

Kay-Alexander Scholz6. Juli 2012

Die deutschen Behörden reagieren auf die NSU-Mordserie: Sie wollen zukünftig Rechtsradikalismus in einem Informationsverbund bekämpfen. Dazu wird eine zentrale Neonazi-Datei eingerichtet.

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Ein Polizist steht vor dem durch eine Explosion zerstörten NSU-Unterschlupf Foto: Sebastian Willnow
Bild: dapd

Der Bundesrat hat am Freitag (06.07.2012) in seiner letzten Sitzung vor der zweimonatigen parlamentarischen Sommerpause das "Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Rechtsextremismus". Inhalt des Gesetzes ist die Einrichtung einer zentralen sogenannten Neonazi-Datei. Darin soll das Wissen über den gewaltbezogenen Rechtsextremismus aus 36 verschiedenen Behörden von Polizei und Nachrichtendiensten zusammengeführt werden.

So soll der Informationsaustausch über gewaltbereite Neonazis intensiviert und vor allem schneller möglich gemacht werden. Deutschlandweit können zukünftig Ermittler der Polizei-Behörden, der Nachrichtendienste des Bundes und der Verfassungsschutzbehörden der Bundesländer auf diese Daten zugreifen.

Das Gebäude des Bundesrats in Berlin Foto: Sebastian Kahnert (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Bundesregierung: Keine Gesinnungsdatei

Erfasst werden "gewaltbezogene Rechtsextremisten" und deren Kontaktpersonen, die mutmaßlich Hintermänner oder Drahtzieher der rechtsextremen Szene sind.

Konkret ist im Gesetzestext die Rede von "Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie rechtsextremistische Bestrebungen verfolgen und in Verbindung damit zur Gewalt aufrufen, die Anwendung von rechtsextremistisch begründeter Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Belange unterstützen, vorbereiten oder durch ihre Tätigkeiten vorsätzlich hervorrufen".

Die Datei soll nach dem Willen der Bundesregierung ausdrücklich keine Gesinnungsdatei sein. Menschen, die rechtsextreme Gewalt "nur" verbal befürworten, werden nicht gespeichert. Eine rechtsextreme Gesinnung oder die Mitgliedschaft in der rechtsextremen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) allein reichen also nicht aus, um jemanden in der zentralen Datei zu erfassen.

Der Verfassungsschutz geht von 9500 gewaltbereiten Rechtsextremen in Deutschland aus. In der Datei werden von ihnen "Grunddaten" und "erweiterte Grunddaten" erfasst. Zu den Grunddaten haben Ermittler direkten Zugriff. Dazu zählen Name, Geburtsdatum und Anschrift. Die erweiterten Daten sollen zur genaueren Einschätzung der ins Visier genommenen Person dienen. Das sind beispielsweise Sprachkenntnisse, besuchte Veranstaltungen, Waffenbesitz, Telefonanschlüsse, Bankverbindungen und Mitgliedschaften. Um an diese Daten zu kommen, muss die jeweilige Behörde zustimmen, die diese Daten eingestellt hat.

Seit 2007: Anti-Terror-Datei

Als Vorbild für die Neonazi-Datei dient die seit 2007 betriebene Anti-Terror-Datei. Darin sammeln Polizei und Nachrichtendienste Erkenntnisse über mutmaßlich gefährliche Islamisten im In- und Ausland. Inzwischen sind darin rund 18.000 Personen erfasst. Derzeit wird analysiert, ob sich die Datei bewährt hat und wie die Qualität der gesammelten Informationen zu bewerten ist. Außerdem verhandelt das Bundesverfassungsgericht derzeit eine Klage gegen die Anti-Terror-Datei, wonach mit dieser das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten aufgeweicht werde (siehe Stichwort).

Eine Ausdehnung der Anti-Terror-Datei auf den Kampf gegen Rechtsextremismus war geprüft, aber verworfen worden. Anders als beim internationalen Terrorismus habe der Bundesnachrichtendienst beim Kampf gegen Rechtsextremismus keinen gesetzlichen Auftrag, heißt es zur Begründung. Außerdem sei die vorhandene Hardware technisch dazu nicht in der Lage.

Um das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten nicht zu verletzen, ist die Datensammlung als sogenannte Index- und nicht als Volltext-Datei angelegt. Anders als bei der Anti-Terror-Datei können die Ermittler mit der Neonazi-Datei aber auch verknüpfte Recherchen durchführen. Das heißt, sie können sich beispielsweise die rechtsextreme Musikszene in einer Region genauer anschauen oder Rechtsextremisten mit Waffenkenntnissen abfragen.

Verfassungsschutz unter Druck

Reaktion auf die NSU-Morde

Der Bundestag hat dem Gesetz am 27. Juni mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP sowie der Oppositionspartei SPD bereits zugestimmt. Grüne und Linkspartei stimmten dagegen. Die Linkspartei hatte unter anderem zunächst eine Evaluierung der bestehenden Anti-Terror-Datei gefordert. Diesen Ablehnungsgrund führten auch die Grünen an. Eine gemeinsame Datei hätten die Grünen stets abgelehnt, heißt es zudem in der Begründung.

Die Neonazi-Datei wurde im Februar 2012 von der Bundesregierung auf den Weg gebracht und reagierte damit auf die im November 2011 bekannt gewordenen zehn Morde der sogenannten Zwickauer Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU). Den Ermittlern war deren rechtsextremistischer Hintergrund jahrelang nicht aufgefallen. Dafür wurden Polizei und Verfassungsschutz scharf kritisiert. Derzeit untersuchen vier parlamentarische Untersuchungsausschuss die Ermittlungsfehler vor allem beim Verfassungsschutz.

Nach Einschätzung von Bundesinnenminister Friedrich ermöglicht die Neonazi-Datei die systematische Aufarbeitung von Information und will damit "subjektive Ermessensspielräume" ausschließen. Die Datei wird Bund und Ländern einmalig 8,27 und jährlich 2,64 Millionen Euro kosten.