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Pfingstkirchen wachsen

Wolfgang Thielmann21. August 2014

Charismatisch-pfingstkirchliche Gruppierungen freuen sich immer größerer Beliebtheit. Ihre Mitgliedszahlen schnellen weltweit rasant in die Höhe. Wie steht es um die propagierten besonderen Gaben des Heiligen Geistes?

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Lakewood Church Houston Texas
Bild: cc-by-nc-nd-aJ Gazmen

"Wir sagen ganz ja zu unserer evangelischen Kirche. Aber wir sagen nicht ja zu allen ihren Entwicklungen." Henning Dobers spricht sanft, aber selbstbewusst. Er ist Pfarrer der hannoverschen evangelischen Landeskirche und geprüfter "Coach der Wirtschaft". Seine Spezialgebiete: Change Management und Work-Life-Balance. 15 Jahre lang war er Gemeindepastor. Seit 2011 leitet er die Geistliche Gemeinde-Erneuerung (GGE) in der evangelischen Kirche. Die ist, so sagt Dobers, "Teil eines weltweiten geistlichen Aufbruchs in allen Kirchen und Konfessionen". Dobers leitet den Dachverband der Charismatiker in den 20 evangelischen Landeskirchen. "Wir wollen", sagt er, "eine Kirche im Geist ihres Erfinders."

Explosionsartiges Wachstum

Weltweit ist der pfingstlich-charismatische Protestantismus der Teil der Christenheit, der mit Abstand am schnellsten wächst. Seine Botschaft lautet abgekürzt, dass man mit dem Heiligen Geist besondere, übernatürliche Erfahrungen machen kann. Typisch für die Bewegung sind Anbetungsgottesdienste mit prophetischen Botschaften, die Menschen direkt von Gott empfangen haben wollen, und Gebete um Heilung von Krankheit. Innerhalb der Christenheit wächst die charismatische und pfingstkirchliche Bewegung geradezu explosionsartig. 1970 wurde die Zahl ihrer Anhänger auf 63 Millionen geschätzt. Bis 2020 werden es 710 Millionen sein, sagt das für Religionsstatistiken bekannte Studienzentrum für die globalen Christenheit in South Hamilton im US-Bundesstaat Massachusetts. Jedes Jahr vergrößern die Charismatiker ihren Anteil an der Christenheit um vier Prozent.

Pfingstkirchen in Afrika
Anbetung Gottes in einer afrikanischen PfingstgemeindeBild: AP

Fruchtbarer Boden auf der Südhalbkugel

In Afrika steigt die Zahl der Pfingstler und Charismatiker nach der Prognose von 1970 bis 2020 von rund 19 auf 226 Millionen, in Lateinamerika von etwa 13 auf gut 200 Millionen und in Asien von rund 9 auf über 165 Millionen.

Damit nehmen Pfingstler und Charismatiker teil am allgemeinen Wachstum der Religion in der Welt. In Brasilien machen sie der katholischen Mehrheitskirche allein durch ihr Wachstum das Terrain streitig. Und sie sind durch ihre Hierarchielosigkeit und ihre Botschaft von übernatürlichen Erfahrungen populär. Es gibt keine Priesterkaste. Auch der Geringste ist Träger des Heiligen Geistes.

The Universal Church of the Kingdom of God Brasilien
Pfingstkirche in BrasilienBild: picture-alliance/Godong

Im Juli besuchte Papst Franziskus eine Pfingstgemeinde im italienischen Caserta bei Neapel. Er entschuldigte sich bei ihr für jahrzehntelange Ausgrenzung und Verfolgung. Die katholische Kirche habe Pfingstler behandelt wie Verrückte, "die die Reinheit der Rasse bedrohten".

Enge Verwandtschaft

Pfingstler und Charismatiker sind eng verwandt, was die Form ihrer Frömmigkeit angeht. Sie unterscheiden sich nur durch ihre Ursprünge. Die Pfingstbewegung entstand am Anfang des 20. Jahrhunderts. Als ihre Geburtsregion gilt der Osten der USA. Der schwarze Heiligungsprediger William J. Seymour sagte in seiner Gemeinde, dem Azusa Street Revival in Los Angeles, am 14. April 1906 ein Strafgericht Gottes voraus. Vier Tage später bebte in San Francisco die Erde. Das machte ihn und seine Gemeinde berühmt. Viele Missionare, die nach San Francisco gereist waren, breiteten die Bewegung weltweit aus - durch Glaubenskonferenzen, in denen Menschen in Ekstase gerieten und Heilungen bezeugten. Die Botschaft der Pfingstprediger lautete: Es gibt eine besondere Taufe mit dem Heiligen Geist. Wer sie hat, bekommt übernatürliche Fähigkeiten, die Charismen. Er kann in Zungensprache, der Glossolalie, Gott loben und empfängt von ihm Botschaften, und er kann Wunder bewirken.

Pfingstkirchen in Afrika
Innenraum einer Pfingstkirche in Lagos, NigeriaBild: AP

Euphorie-Bremse in Deutschland

Noch im Jahr 1906 kam die Bewegung auch nach Deutschland. Doch dort blieb sie jedoch stecken. Die Evangelische Allianz, der Dachverband der Frommen, die heute Evangelikale heißen, distanzierte sich für Jahrzehnte von ihr. Erst in der jüngeren Vergangenheit haben sich beide versöhnt. Die Kirchen der Pfingstbewegung verzeichnen in Deutschland rund 300.000 Mitglieder. Und auch sie wachsen, wenn auch langsamer als im internationalen Vergleich.

In den 1960er Jahren folgte der Aufbruch der Charismatiker, der der Bewegung noch einmal Schwung verlieh. Pfingstler bilden in der Regel eigene Kirchen, Charismatiker eine überkonfessionelle Bewegung. Die Charismatische oder Geistliche Erneuerung gibt es in der evangelischen Kirche, der katholischen, es gibt sie bei den Baptisten und im Bereich der klassischen Pfingstkirchen, die sich in Deutschland im Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden sammeln.

"Versöhnte Gemeinschaft in allen Kirchen"

Wichtiger als die eigene Konfession finden sie es, gemeinsam Gott anzubeten. Deshalb sind sie ökumenisch ausgerichtet. So ist es auch bei Henning Dobers. "Unser Horizont ist größer als unser eigenes konfessionelles Gehäuse", sagt er. "Wir suchen versöhnte Gemeinschaft mit allen Christen in allen Kirchen."

Doch liegt schon in ihrer Botschaft eine Kritik an anderen christlichen Kirchen. Deshalb will Dobers mehr als die domestizierte volkskirchliche Frömmigkeit. Er will, sagt er, "eine Kirche, die von der Kraft des Heiligen Geistes erfüllt ist in allen ihren Bezügen, die ausstrahlt in unsere Gesellschaft." Deshalb missionieren Pfingstler, deshalb veranstalten sie Glaubenskonferenzen und Heilungsgottesdienste.

Henning Dobers Geistliche Gemeinde-Erneuerung i
Pfarrer Henning Dobers, 1. Vorsitzender der GGEBild: GGE/Björn Kowalewsky

Und deshalb geraten sie in die Kritik. Im Sommer strahlte die ARD eine Dokumentation unter dem Titel "Mission unter falscher Flagge" aus. Sie behandelte fragwürdige Gemeinden und Missionswerke am Rand der evangelikalen Bewegung. Die Autorinnen stellten sektenähnliche Strukturen fest, die Menschen abhängig machen von selbsternannten Führern. Sämtliche Beispiele stammten aus dem pfingstlich-charismatischen Bereich. Vielleicht ist es die unterschwellige Kritik, das Infragestellen des Bestehenden und die ganz bestimmte Antwort, die Frömmigkeit, die Beides ausmacht: Die Faszination der Bewegung und ihr Hang zum Polarisieren. Was die einen kritisieren, schätzen die anderen. Ein Mitarbeiter von Dobers sagt: "Ich finde es gut, dass die Gemeinde-Erneuerung alte Strukturen nicht immer akzeptiert."