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Großes Interesse an Stabilität

Sven Hansen3. Januar 2013

Chinas Kommunistische Partei setzt auf die Stärkung der Mittelschicht. Diese interessiert sich jedoch kaum - anders als sich das viele im Westen erhoffen - für einen demokratischen Wandel in ihrem Land.

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Eine Chinesin kauf auf dem Wochenmarkt ein (Foto: STR/AFP/Getty Images)
Bild: Getty Images

Als Ende Oktober in der wohlhabenden ostchinesischen Hafenstadt Ningbo mehrfach zehntausende Demonstranten auf die Straße gingen und schließlich den Bau einer Erdölraffinerie stoppten, waren sich Beobachter schnell einig: Es waren Angehörige der Mittelschicht gewesen, die sich dort artikulierten. Auf den per Smartphones verschickten Protestbildern waren viele Demonstranten als Angehörige dieser Schicht zu erkennen. Sie fürchteten von der Raffinerie ausgehende Gesundheitsgefahren. Die kurz vor ihrem 18. Parteitag besonders auf Stabilität bedachte Führung der Kommunistischen Partei gab schnell nach, als sie merkte, dass die Proteste nicht so einfach zu unterdrücken waren.

Ist Ningbo damit ein Wendepunkt in der Entwicklung der chinesischen Mittelschicht? Steht es gar für Forderungen nach politischer Teilhabe der Mittelschicht, wie sie etwa in Südkorea und Taiwan im Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung aufkamen?

Keine Forderungen nach politischem Wandel

Zwar kam es in diesem Jahr schon mehrfach in chinesischen Städten zu Protesten, die sich gegen mutmaßlich umweltverschmutzende Großprojekte richteten. Doch waren dies Proteste nach dem auch aus anderen Ländern bekannten Phänomen des NIMBY, des "not in my backyard" - also einer Betroffenheit, die sich aus der örtlichen Nähe und der Sorge um die eigene Lebensqualität ergab. Forderungen nach einem Wandel des politischen Systems und größerem zivilgesellschaftlichen Engagement waren in Ningbo und den anderen Protestorten bisher nicht zu erkennen.

Proteste gegen Umweltverschmutzung in Ningbo (AP Photo/Ng Han Guan)
Proteste gegen Umweltverschmutzung in NingboBild: dapd

Chinas Mittelschicht ist auch erst zwei Generationen alt. Zur Zeit des Maoismus gab es offiziell nur Bauern, Arbeiter und Intellektuelle. Das Ziel war die klassenlose Gesellschaft. Doch ist die Mittelschicht seit den Wirtschaftsreformen 1979 schnell gewachsen. Heute ist China der größte Automarkt der Welt, zählt mehr als 700 Millionen Mobiltelefone und entsendet in die USA und nach Deutschland die meisten Touristen ins Ausland. Bald dürfte China auch die USA als größten Konsumentenmarkt überholen.

Mehr als 300 Millionen Menschen

Wie groß und wirtschaftlich stark Chinas Mittelschicht ist, hängt von der Definition ab. Die chinesische Akademie der Sozialwissenschaften (CASS) zählt Haushalte mit einem Jahreseinkommen von 60.000 bis 500.000 Yuan zur Mittelschicht, also umgerechnet 6400 bis 53.000 Euro. Demnach gehören 23 Prozent der Bevölkerung oder 310 Millionen Menschen dazu. Die Regierung hat das Ziel, dass es im Jahr 2020 40 Prozent der Bevölkerung sein sollen. Das heißt, die Kommunistische Partei selbst setzt zur Aufrechterhaltung der sozialen Stabilität auf genau die Mittelschicht, die nach einer in westlichen Ländern verbreiteten Ansicht eigentlich bald die Demokratie einfordern müsste.

In Chinas KP dominiert hingegen die Meinung, dass die Mittelschicht eng mit dem politischen System verbunden ist und von der Politik der KP profitiert. Für diese Einschätzung spricht zudem, dass viele Angehörige der Mittelschicht selbst dem Partei- und Staatsapparat entstammen. Zugleich sind die Erinnerungen an das Chaos der Kulturrevolution noch sehr präsent, so dass die Mittelschicht an politischer Stabilität interessiert ist. Manche sehen auch eine Art Deal: Die KP ermöglicht der Mittelschicht Wohlstandsgewinne, dafür verzichtet diese auf politische Forderungen.

Chinesinnen gehen an einem Werbeplakat vorbei und schauen dabei auf ihre Handys (Foto: AP Photo/Andy Wong)
Konsumfreudig, aber unpolitisch: die neue MittelschichtBild: AP

Mehr Konsumwünsche oder mehr Umweltschutz?

In Chinas Mittelschicht hat sich ähnlich wie in Singapur und Malaysia eine große Akzeptanz autoritärer Herrschaft herausgebildet. Verlangt wird meist keine andere Regierung, sondern allenfalls eine bessere. Etwa bei der Korruptionsbekämpfung und besseren Umwelt- und Hygienebedingungen. Dabei steckt die Kommunistische Partei in einem Dilemma. Denn die Konsumwünsche von immer mehr Menschen durch fortgesetzt hohes Wirtschaftswachstum zu erfüllen, geht zu Lasten der Umwelt. Doch es sind die gleichen Menschen, die wie in Ningbo inzwischen immer stärker nach sauberer Luft, sauberem Wasser und sicheren Lebensmitteln verlangen.

Solange Chinas Mittelschicht von der Wirtschaftsentwicklung weiter profitiert, dürfte sie nicht in größerem Maße einen Systemwandel fordern, geschweige denn aktiv darauf hinarbeiten. Dies könnte sich aber ändern, sollte die Mittelschicht massiv leiden. Bisher ist das eine wie das andere aber nicht zu erkennen. Auch nicht in Ningbo.