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China und Deutschland ringen um Holocaust-Gedenken

Mathias Bölinger1. März 2014

Ende März wird Xi Jinping Berlin besuchen. Eigentlich könnte es ein Besuch unter Freunden sein. Doch die Wünsche des chinesischen Präsidenten an das Besuchsprogramm bringen die Berliner Diplomaten in Verlegenheit.

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Das Holocaust-Mahnmal in Berlin (Foto: Renate Pelzl)
Bild: Renate Pelzl

Die deutschen Diplomaten staunten nicht schlecht, als der Gast aus China plötzlich den Bogen von Potsdam nach Tokio schlug. Es war der erste Besuch des neuen chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang in Berlin und niemand hatte offenbar Verdacht geschöpft, als die Chinesen vorschlugen, das Schloss Cecilienhof in Potsdam zu besuchen. Der Ort, an dem die alliierten Siegermächte 1945 die Neuordnung Europas beschlossen, ist eine wichtige Sehenswürdigkeit der brandenburgischen Landeshauptstadt. Ein Denkmal europäischer Geschichte und malerisch noch dazu, kein Ort also, der bei Protokollchefs die Alarmglocken schrillen lässt.

Doch Li Keqiang verband seine eigene Symbolik mit dem Ort. Auch China sei eine Siegermacht im Zweiten Weltkrieg gewesen, erklärte er und bekräftigte den Anspruch auf eine kleine Inselgruppe im Ostchinesischen Meer, um die Japan und China seit Jahrzehnten streiten. Die deutschen Diplomaten waren überrumpelt. Li hatte seinen Deutschlandbesuch genutzt, um einen kleinen Coup im Propagandakrieg mit Japan zu landen. Deutschland, das in dem Konflikt Distanz zu beiden Seiten wahren will, fühlte sich instrumentalisiert.

Holocaust-Mahnmal für Deutschland tabu

Ende März wird nun sogar der chinesische Staatspräsident Xi Jinping nach Berlin kommen. Diesmal möchte Deutschland sehr vorsichtig mit der Auswahl des Besuchsprogramms sein. Denn China drängt darauf, den Zweiten Weltkrieg in den Mittelpunkt des Besuchs zu stellen, am liebsten mit einem Besuch des Holocaust-Mahnmals (Bild oben). Xi könnte diese Kulisse für eine antijapanische Rede nutzen, indem er der Regierung in Tokio die deutsche Vergangenheitsbewältigung vorhält.

Für die Bundesregierung wäre das eine diplomatische Katastrophe, nicht nur weil es als Gastgeber in den Konflikt in Ostasien hineingezogen würde. Deutschland müsste sich wohl auch vorwerfen lassen, zugelassen zu haben, dass die Opfer des Massenmords in einem aktuellen Konflikt instrumentalisiert wurden. "Der Holocaust ist tabu", zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen Diplomaten. Doch so leicht scheint sich die Führung in Peking den heiklen Punkt nicht ausreden zu lassen. "Die werden Druck machen", sagt ein Insider. "Das ist nicht so schnell erledigt."

Li Keqiang am Schloss Cecilienhof in Potsdam (Foto: dpa)
Propagandacoup vor historischer Kulisse: Li Keqiang am Schloss CecilienhofBild: picture-alliance/dpa

Für China ist Deutschland der wichtigste Partner in Europa. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind gut, was beispielsweise darin zum Ausdruck kommt, dass es regelmäßig gemeinsame Regierungskonsultationen gibt, in denen neben den Regierungschefs die Minister beider Kabinette gemeinsam tagen. Solche Konsultationen hat Deutschland sonst nur mit eng befreundeten Staaten wie Frankreich oder Israel. Wenn China trotzdem auf einer Geste besteht, die das Gegenüber sichtlich in Verlegenheit bringt, dann ist das vor allem Ausdruck eines gewachsenen Selbstbewusstseins.

"Das ist in dieser Deutlichkeit neu", sagt Dirk Schmidt, Experte für chinesische Außenpolitik an der Universität Trier. Chinas Staatspräsident Xi Jinping hat den "chinesischen Traum" zum Leitmotiv seiner Politik erklärt. Gemeint ist der Wiederaufstieg des Reichs der Mitte an die Spitze der führenden Nationen der Welt - wirtschaftlich, technologisch und auch militärisch und außenpolitisch. Ein selbstbewusstes Auftreten gegenüber seinen Nachbarn ist einer der Kernpunkte dieser Politik.

Eskalation im Inselstreit

In den vergangenen Monaten ist der Konflikt um die Inselgruppe eskaliert, die die Japaner Senkaku- und die Chinesen Diaoyu-Inseln nennen. Seit dem Zweiten Weltkrieg streiten beide Länder um die Inseln, die unter japanischer Verwaltung stehen. Doch seit etwa eineinhalb Jahren verhärtet sich der Streit, Provokation folgt auf Provokation. Und immer wieder bringen beide Seiten den Zweiten Weltkrieg ins Spiel, als Japan große Teile Asiens besetzt hielt und grausam unterdrückte.

2012 verschärfte die japanische Regierung den Streit, indem sie die Inseln kaufte, die bis dahin in Privatbesitz waren. In China wurde das als Versuch verstanden, den Besitzanspruch noch deutlicher zu machen. Japan sagt, man habe einem Kauf durch den ultranationalistischen Bürgermeister von Tokio zuvorkommen wollen, um schlimmere Provokationen zu verhindern. Protest und Gegenprotest folgten. Im Oktober 2013 erneuerten Japan und die USA ihren Verteidigungspakt, US-Außenminister John Kerry erkannte die "Verwaltung" der Inseln durch Japan ausdrücklich an.

Im November rief China einseitig eine Flugverbotszone über dem Meer aus und drohte, Maschinen abzuschießen, die ohne Genehmigung in diesen Luftraum unterwegs sind. In Japan heizte daraufhin Ministerpräsident Shinzo Abe die Situation weiter an, indem er den Yasukuni-Schrein besuchte, wo der japanischen Toten des Zweiten Weltkriegs gedacht wird. Unter ihnen sind auch verurteilte Kriegsverbrecher.

Shinzo Abe im Yasukuni-Schrein (Foto: Reuters)
Abe (M.) im Yasukuni-SchreinBild: Reuters

Chinesische Vertreter nutzen seither jede sich bietende Gelegenheit, um gegen Japan zu protestieren. Das bekamen neulich sogar die Besucher des Neujahrsempfangs der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf zu spüren, wo Chinas Botschafter in Deutschland, Shi Mingde, einen Eklat provozierte, als er seinen Vortrag über den "Wirtschaftspartner China" zu einer harschen Kritik an Abes Schrein-Besuch nutzte. Die japanische Delegation verließ daraufhin den Raum.

Shi wies dabei einmal mehr auf die deutsche Vergangenheitsbewältigung hin. Immer wieder stellen Kommentatoren in Asien Deutschland, das seine Vergangenheit mustergültig aufgearbeitet habe und Japan, das ebendies versäumt habe, einander gegenüber. In Kommentaren der staatlichen Nachrichtenagentur und Äußerungen von Diplomaten fällt derzeit besonders häufig der Name Willy Brandt. Immer wieder wird dessen Kniefall vor den Opfern des Aufstands im Warschauer Getto vor vierzig Jahren dem Schrein-Besuch Abes entgegengehalten.

"Zwischen Deutschland und Japan gibt es einen Unterschied wie zwischen Himmel und Erde", betont eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums. Und die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua fasste zusammen: "Als Brandt niederkniete, stand seine Nation auf. Abe hat diese Lektion nicht gelernt."

Auchweichmanöver Neue Wache

Die Bundesrepublik bringt das in eine Zwickmühle. Denn Brandts Kniefall gilt auch hierzulande als große historische Geste. Deutschland ist stolz auf die Aufarbeitung seiner Vergangenheit und kann Gästen kaum verwehren, das zu würdigen. Andererseits sieht die Bundesregierung Chinas Auftreten gegenüber seinen Nachbarn zunehmend kritisch und teilt bei Weitem nicht die Ansicht, die jüngste Eskalation in Ostasien gehe ausschließlich auf Japans historische Blindheit zurück. "In dieser Geschichte kann man nicht gewinnen", glaubt der Politologe Dirk Schmidt.

Xi Jinping und Angela Merkel (Foto: dpa)
Wichtige Partnerschaft: Merkel und Xi im Jahr 2009Bild: picture-alliance/dpa

Für den Besuch des chinesischen Präsidenten hat man in Berlin einen Besuch in der Neuen Wache vorgeschlagen, der "Zentralen Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft". Die explizite Erwähnung des Holocausts in diesem Zusammenhang hätte Deutschland so vermieden. Allerdings scheint China damit nicht einverstanden. Denn die Inschrift auf dem Mahnmal, das in der DDR noch explizit den "Opfern von Faschismus und Militarismus" gewidmet war, ist wohl bewusst so vage formuliert, dass sich darin auch die Opfer der sozialistischen Diktaturen wiederfinden können, was Chinas Kommunisten nicht wirklich gefallen kann.

Die Bundesregierung scheint jedenfalls den diplomatischen Rückzug vorzubereiten. Hatte Regierungssprecher Steffen Seibert sich Anfang der Woche noch geweigert, sich zu dem Thema zu äußern, sagte er am Freitag (28.02.2014): "Wir haben nicht die Angewohnheit, unseren Gästen etwas zu verweigern."