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Chilenen gegen Mega-Staudammprojekt

Thomas Nachtigall13. April 2012

In Chile will ein Unternehmen fünf Wasserkraftwerke bauen. Tausende Chilenen protestieren; die Dämme würden das Ökosystem gefährden. Das Oberste Gericht hat die Wasserkraftwerke aber genehmigt.

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Environment supporters hold up a banner during a peaceful protest against a hydro-power dam project which will be built at the southern Chilean Patagonia, in Santiago March 14, 2012.The banner reads "Stop Hidro-Aysen". REUTERS/Ivan Alvarado (CHILE - Tags: POLITICS ENVIRONMENT SOCIETY CIVIL UNREST)
Bild: Reuters

Vom Hubschrauber aus wirkt die patagonische Provinz Aysen unberührt, intakt: Gewaltige Seen und Eisfelder, Urstromtäler, menschenleere Gebirge und unzugängliche Canyons, die zum Pazifik abfallen. Zwei von ihnen, die Täler der Flüsse Pasqua und Baker, sollen sich in regelrechte Energiekaskaden verwandeln und mit fünf gewaltigen Dämmen ein Fünftel des heutigen chilenischen Strombedarfs decken.

Die Firma "Hidroaysen" will das Mega-Staudammprojekt bauen. Ökologische Bedenken weisen die Ingeneure der Firma mit Verweis auf den vergleichsweise geringen Flächenbedarf zurück: "Wir überschwemmen weniger als 6000 Hektar und erzeugen mehr als 2700 Megawatt. Dieses Verhältnis macht unser Projekt zum effizientesten Wasserkraftwerk der Welt."

Längste Stromtrasse der Welt

Sinn machen die Dämme in dem fragilen Ökosystem allerdings nur, wenn auch eine 2000 km lange Hochspannungstrasse gebaut wird, die den Strom aus Südchile in das Ballungszentrum Santiago und in die noch weiter nördlich gelegenen Kupferminen leitet. Es wäre die längste Leitung der Welt - quer durch Fjorde, Urwälder, Vulkanschluchten, Erdbebenregionen und Nationalparks.

Demonstrators run away from a jet of water during an environment rally against a hydroelectric dam project which will be constructed in the Aysen region of Chilean Patagonia, in Santiago April 11, 2012. Chilean environmental regulators gave the green light to the divisive $3.5 billion HidroAysen hydro-power dam project that promises to help ease energy squeezes, but opponents say it will ruin pristine Patagonian valleys. REUTERS/Ivan Alvarado (CHILE - Tags: ENVIRONMENT CIVIL UNREST SOCIETY POLITICS BUSINESS)
Tausende Chilenen demonstrieren gegen das Projekt, es kam auch zu AusschreitungenBild: Reuters

Bislang hat der "Tigerstaat" Lateinamerikas keinen Versuch unternommen, Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch zu entkoppeln. Was der Markt an Wasser-, Gas- oder Kohlestrom produziert, wird von der Minenindustrie abgenommen - praktisch zu jedem Preis. Etliche Kraftwerks-Neubauten sind umstritten; darunter Kohleblöcke, die mit ihren Abgasen Tausende von Anwohnern direkt belasten.

Protest gegen Neoliberalismus

Doch Nichts hat vergleichbaren Widerstand hervorgerufen, wie die Staudammkette im hintersten Winkel des Landes. Die Gegner des Staudamm-Projekts legten im Oktober 2011 mehr als 1.000 Beschwerden gegen das Projekt vor. Beschwerden, die Anfang April mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zurückgewiesen wurden und gegen die Tausende Chilenen nun auf die Straße gehen.

"Es ist auch eine Rebellion gegen den Neoliberalismus, der hier seit mehr als 30 Jahren herrscht. Viele Bürger wollen nicht einfach mehr Wachstum und Verschwendung, sondern auch Schutz der Umwelt, Brüderlichkeit, Glück. Aber niemand spricht davon", erklärt Patricion Rodriguez, Sprecher des Aktionsbündnisses "Patagonien ohne Dämme".

Erbe der Diktatur

Allein mit wachsendem Umweltbewusstsein ist die Wut nicht zu erklären. Sie richtet sich auch dagegen, dass mehr als 20 Jahre nach Ende der Diktatur wirtschaftlich noch immer die alten Spielregeln herrschen, die in der Verfassung des Pinochet-Diktaturs zementiert wurden.

Luftaufnahmen Aysen, Patagonien. Aysen ist äußerst dünn besiedelt. Zwei große Eisfelder machen diesen Teil Patagoniens zur wasserreichsten Region Chiles. Viele Gebiete sind von menschlicher Aktivität noch völlig unberührt. copyright Thomas Nachtigall
6000 Hektar Land sollen von Stauseen überflutet werdenBild: DW/Nachtigall

"Von Anfang an war das Projekt mit dem Makel der Illegalität behaftet", meint Patricio Segura, einer der Dammgegner in der Provinzhauptstadt Coyhaique und berichtet, wie während der Pinochet-Diktatur die Wasserrechte im ganzen Land privatisiert wurden. Noch in den letzten Tagen des Regimes habe die Firma Endesa unter dubiosen Umständen die Rechte an den Flüssen Pasqua und Baker erhalten.

Neue und alte Wirtschaftseliten

Endesa gehört heute dem italienischen Energieriesen ENEL. Der teilt sich das Milliarden-Projekt "Hidroaysen" mit Colbun, einem Unternehmen der Familie Matte, die zu den reichsten und einflussreichsten Chiles zählt. Gemeinsam beherrschen Endesa und Colbun mehr als die Hälfte des nationalen Strommarktes. Solange der Staat auf jede Energiepolitik verzichte, seien ihre Profite garantiert, kritisiert Miguel Marquez, Energieexperte und Hochschullehrer in der chilenischen Hauptstadt.

Dass im Andenland die Lichter ausgehen, hält er für ausgeschlossen. Allein durch höhere Effizienz ließe sich der Energiebedarf halbieren. Die Sonneneinstrahlung in der Atacama Wüste sei intensiver als sonst wo auf der Welt; Chile verfüge über Geothermie, Biomasse und 40.000 Kilometer Küstenlinie für Wind und Wellenkraft.

Rio Baker, Chile Der Rio Baker ist der wasserreichste Strom Chiles. Seine Nutzung wurde wie die anderer Flüsse während der Militärherrschaft privatisiert. Zwei Dämme sollen ihn aufstauen. copyright Thomas Nachtigall / DW Foto: 8. Juni 2011
Einige der Staudämme sollen auch in einem Nationalpark gebaut werdenBild: DW/Nachtigall

Starke Lobby gegen Erneuerbare

Allerdings, so Marquez, käme eine dezentrale Stromversorgung kaum voran, weil sie nicht im Interesse der Wirtschaftseliten liege, die im Energiesektor mit Renditen von 15 Prozent und mehr rechneten: "Das Skandalöse ist, dass eine kleine Gruppe von Familien die Wirtschaft kontrolliert. 80 Prozent des Inlandsproduktes wird von etwa 100 Firmen erwirtschaftet. Für mich ist das große Thema bei 'Hidroaysen' die wirtschaftliche und politische Machtkonzentration. Sie ist fatal, denn sie fördert die Ungleichheit in meinem Land und bedroht die Demokratie."