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Seitenwechsel für die Europawahl

Bernd Riegert, Athen19. Februar 2014

Alles auf Anfang: Der FDP-Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis tritt bei den Europawahlen nicht mehr in Deutschland, sondern in Griechenland an. Er geht ein großes Risiko ein.

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Jorgo Chatzimarkakis Europa-Abgeordneter
Bild: DW/Bernd Riegert

Die Wahlkampfzentrale im fünften Stock eines Bürohauses in der Athener Innenstadt ist klein und knallbunt in lila und orange gestrichen. Die Farben seiner neuen Partei. Die beiden Büros sind noch fast leer. Jetzt soll der Kampf um einen Sitz im Europäischen Parlament in der Heimat seiner Väter richtig losgehen, erzählt Jorgo Chatzimarkakis, der Spross eines griechischen Gastarbeiters, der in Duisburg aufgewachsen ist. "Ich habe einfach eine eigene Partei gegründet, weil es auch in Griechenland keine Partei gab, die das ausdrückt, was ich mir wünsche, nämlich einen Bundesstaat Europa."

Mit der liberalen Partei in Deutschland, für die er seit 2004 im Europaparlament saß, ist er eigentlich schon seit vier Jahren fertig. Den Sparkurs der FDP bei der Euro-Rettung hat er heftig kritisiert und ging den Parteivorsitzenden Guido Westerwelle und Philipp Rösler gewaltig auf die Nerven. Schnee von gestern. Jetzt wolle er "an der griechischen Front für die europäische Idee kämpfen. Das treibt mich."

Jorgo Chatzimarkakis Europa-Abgeordneter
Zweite politische Heimat: Abgeordneter Chatzimarkakis am Fuße der Akropolis in AthenBild: DW/Bernd Riegert

Mithilfe von Freunden, Familie und freiwilligen Helfern hat Jorgo Chatzimarkakis eine Strategie für seinen Wahlkampf bis zum Europawahltag Ende Mai gezimmert. Der Heimkehrer geht ein großes Risiko ein, auch finanziell, ohne etablierte Partei im Rücken wie in Deutschland. "Es ist für mich, ehrlich gesagt, ein Wettlauf mit der Zeit. Ich muss bekannter werden. Ich muss möglichst viele Menschen erreichen. Es sind jetzt noch gut 100 Tage, deshalb muss ich den Wettlauf mit der Uhr gewinnen. Das ist jetzt die Herausforderung." Nun reist er durch ganz Griechenland, tingelt durch lokale Fernseh- und Radiosender, trifft Bürgermeister, schüttelt Hände und bewirbt sein europapolitisches Buch und die neue Partei "Griechische Europäische Bürger". Das wichtigste Medium im griechischen Wahlkampf ist das Fernsehen, vor allem Talkshows auf Krawall-Niveau, in der sich Europagegner von links und rechts verbal an die Gurgel gehen.

Zu Gast beim Deutschland-Hasser

An diesem Abend tritt Jorgo Chatzimarkakis in der landesweit berüchtigten Show von Georgios Trangas auf. Dieser hat Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen ihrer Sparpolitik gegenüber Griechenland mit Adolf Hitler verglichen. Trangas stellt sich lächelnd vor: "Hallo, ich bin das Monster!" In der Sendung schlägt sich Jorgo Chatzimarkakis mit absurden Argumenten herum und versucht, seinen Rettungsplan für Griechenland und Europa zu verkaufen. Die Gäste gestikulieren wild, alle reden lauthals durcheinander. Die griechischen Zuschauer lieben das Spektakel. Trangas ist Kult.

Jorgo Chatzimarkakis Europa-Abgeordneter FDP
TV-Moderator Trangas (re.) schmückt sein Studio mit Verrissen aus der "Bild-Zeitung".Bild: DW/Bernd Riegert

Unbelastet vom griechischen Klüngel

Ideologiefreie Politik, wie er sie vertrete, sei für Griechenland etwas Neues, sagt Chatzimarkakis. Deshalb rechnet sich der Außenseiter Chancen aus, die für ein Mandat nötigen 150.000 Stimmen zu bekommen. "Wir erleben, wie das politische System sich häutet und wie Griechenland sich total verändert", macht sich Chatzimarkakis Mut. "Insofern sind die Chancen gut für jemanden, der eine neue Stimme darstellt und eine andere politische Herangehensweise propagiert."

Für die in der Wirtschaftskrise tief frustrierten Griechen könnte der Mann von außen der Richtige sein, sagt der Fernsehjournalist Kostas Agyros, der in Athen für den Wahlkämpfer Türen öffnet und Kontakte knüpft. "Ich glaube, es ist positiv für ihn, dass er nicht zur griechischen politischen Klasse gehört und dass er ziemlich neu ist. Er gilt nicht als Teil des Systems, das jetzt total am Boden liegt. Das könnte für ihn ein Vorteil sein." Die Chance auf einen Sitz im Europaparlament sieht Kostas Agyros allerdings nur bei 50 Prozent.

Der Seitenwechsler aus Deutschland tritt auch sprachlich anders auf als seine Konkurrenten. Sein Griechisch sei okay, sagt er, aber er habe nicht den akademisch weiten Wortschatz. Seine Sprachbilder seien einfacher. "Politiker im Mittelmeerraum haben die Angewohnheit, sehr schönes und sehr wolkiges Griechisch zu sprechen. Das ist für den normalen Bürger eine Politik, die er nicht versteht. Und er ist daran gewöhnt, sie nicht zu verstehen. Das ist bei mir anders. Es kommt dann oft zu einem Stirnrunzeln und einem Aha-Effekt. Wenn ich gut bin, habe ich dann einen Wähler oder sogar ein Mitglied", erklärt der studierte Politologe.

Der Skandal um seinen 2011 von der Universität Bonn aberkannten Doktortitel spielt in seiner neuen politischen Heimat keine Rolle, meint Chatzimarkakis. "Wenn, dann lässt sich das höchstens positiv wenden." Eine griechische Zeitung hat Chatzimarkakis eher als Opfer einer unfreundlichen Stimmung gegenüber Griechen in Deutschland gesehen. Die Universität hatte festgestellt, dass der frühere Hochschuldozent Zitate in seiner Doktorarbeit nicht korrekt kenntlich gemacht hatte.

"Einen Versuch ist es wert"

Während einer Taxifahrt an diesem langen 18-Stunden-Arbeitstag mit vielen Gesprächen, Interviews und Sitzungen telefoniert Jorgo Chatzimarkakis mit seiner italienisch-stämmigen Frau und der kleinen zweijährigen Tochter zu Hause. Mit dem Kind spricht er Griechisch, mit seiner Frau Deutsch und mit den Schwiegereltern Italienisch, das er inzwischen gelernt hat. Sollte es mit dem Abgeordnetensitz für Griechenland klappen, dann will er in Brüssel wohnen bleiben. Sollte er scheitern, dann will Jorgo Chatzimarkakis nach Kreta übersiedeln und mithilfe der Familie einen landwirtschaftlichen Betrieb aufbauen. Immerhin hat er auch ein paar Semester Agrarwissenschaft studiert. "Ich könnte mir auch vorstellen, irgendwann Fürst von Kreta zu werden", sagt er eher scherzhaft und fügt dann hinzu: "Also, ich meine natürlich gewählter Gouverneur."

Jorgo Chatzimarkakis Europa-Abgeordneter FDP
Chatzimarkakis: Einfach reden ist neuBild: DW/Bernd Riegert

Maria Sigma, eine gut situierte Unternehmerin, will Chatzimarkakis unterstützen. Die Griechen müssten endlich anpacken, statt nur zu jammern, sagt die resolute 44-Jährige beim Treffen in einem Einkaufszentrum. Sie ist vor über 20 Jahren selbst aus Deutschland nach Griechenland zurückkehrte. Sie halte die Entscheidung des Politikers, quasi noch einmal von vorne anzufangen, für sehr mutig. "Ich glaube, die jüngere Generation in Griechenland, die wird das sehr zu schätzen wissen. Vielleicht wird es am Anfang ein bisschen schwer sein, aber später, glaube ich, ist das nicht mehr so. Es ist schon einen Versuch wert."