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Charmeoffensive der "Grünen Männchen"

Roman Goncharenko23. April 2014

Sie lachen, scherzen, spielen mit Kindern. Die schwer bewaffneten Männer in Tarnanzügen ohne Abzeichen versuchen in der Ostukraine nicht wie Banditen, sondern wie Beschützer rüberzukommen. Das scheint zu funktionieren.

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Bewaffnete vor dem besetzten Verwaltungsgebäude in Slowjansk (Foto: DW)
Bild: DW/R. Goncharenko

Eine junge Mutter schaukelt ihren zweijährigen Sohn auf einem nagelneuen Spielplatz. Hinter ihrem Rücken laden Männer mit Kalaschnikows Panzerfäuste aus einem Auto aus. Vögel zwitschern, Kirchenglocken läuten. "Ich habe keine Angst vor diesen Leuten", sagt Julia, die junge Mutter. "Sie sind doch gekommen, um uns zu schützen."

Julia, Mutter in Slowjansk (Foto: DW)
Die junge Mutter Julia fürchtet sich nicht vor den "grünen Männchen"Bild: DW/R. Goncharenko

Als störend empfindet sie eher die ukrainische Armee, die Kampfjets und Hubschrauber tief über der Stadt fliegen lässt. "Mein Kind hat Angst davor", sagt Julia. Eine Großmutter, die gerade mit ihrer Enkelin eine Sandburg baut, sieht das ähnlich. Die Männer mit Kalaschnikows findet sie "in Ordnung".

"Grüne Männchen" wie auf der Krim

So sieht das Leben in der ostukrainischen Stadt Slowjansk aus, die von prorussischen Separatisten seit Anfang April kontrolliert wird. In Slowjansk und anderen Städten der Ostukraine haben Separatisten eine "Volksrepublik" ausgerufen und wollen Anfang Mai ein Referendum durchführen. Es soll um mehr Autonomie innerhalb der Ukraine oder sogar einen möglichen Anschluss an Russland gehen. Die Regierung in Kiew will das verhindern.

Die Männer tragen Tarnanzüge ohne Abzeichen und verstecken ihre Gesichter hinter Sturmhauben. Wer und wie viele sie sind, ist unklar. Seit der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Schwarzen Meer nennt man sie "die grünen Männchen". Erst später räumte der russische Präsident Wladimir Putin ein, dass diese Männer in grünen Uniformen ohne Abzeichen russische Soldaten waren. Ein anderer Spitzname für sie lautet "die netten Leute", denn sie treten stets höflich auf.

Um Freundschaft mit Zivilisten bemüht

In Slowjansk scheinen manche der bewaffneten Separatisten Ukrainer, andere Russen zu sein. "Wir sind ehemalige Militärs", erzählt einer von ihnen, offenbar ein Kommandeur. Er spricht Russisch wie ein Russe, nicht wie ein Ukrainer. Auch sein Kollege dürfte seiner Aussprache nach ein Russe sein. Die ukrainische Regierung in Kiew behauptet, im Osten des Landes würden Spezialeinheiten der russischen Armee agieren. Moskau dementiert das.

Kinderspielplatz vor dem besetzten Gebäude in Slowjansk (Foto: DW)
Blick vom Kinderspielplatz auf das von Separatisten besetzte VerwaltungsgebäudeBild: DW/R. Goncharenko

Auffällig ist, wie sehr sich die bewaffneten Männer bemühen, bei den Bewohnern der Stadt trotz ihres Äußeren nicht wie Banditen, sondern wie Beschützer rüberzukommen. "Wir werden hier so lange wie nötig bleiben, um Zivilisten zu schützen", sagt ein Mann. Er scherzt mit Passanten, ist freundlich, lässt sich fotografieren und zeigt gerne seine Waffen. "Ich habe mich inzwischen mit Kindern angefreundet", sagt ein anderer und lacht. "Wenn ich zum Sandkasten gehe, erkennen sie mich wieder und laufen zu mir."

Putins gezielte Taktik?

Sehen so Separatisten aus, gegen die die ukrainische Regierung in diesen Tagen eine Anti-Terror-Operation durchführt? Einiges deutet darauf hin, dass freundliches Auftreten gegenüber der lokalen Bevölkerung eine gezielte Taktik der prorussischen Separatisten ist.

Sollte es so sein, würde es genau dem Bild entsprechen, das Russlands Präsident Putin bei seiner Pressekonferenz Anfang März in Moskau skizziert hatte. Russland werde seine Truppen nur in die Ukraine schicken, "um ukrainische Bürger zu schützen". "Dann soll doch jemand von den Militärs nur versuchen, auf eigene Leute zu schießen, hinter denen wir stehen werden", sagte der Kremlchef und fügte hinzu: "Sollen sie doch nur versuchen, auf Frauen und Kinder zu schießen."

Keine Mehrheit für russischen Einmarsch

Bewaffnete Separatisten in Slowjansk (Foto: DW)
Bewaffnete Männer stehen vor dem verbarrikadierten VerwaltungsgebäudeBild: DW/R. Goncharenko

Was das bedeutet, konnte man kurz vor Ostern beobachten. In der Nähe der ostukrainischen Stadt Kramatorsk stoppten Zivilisten, darunter viele Frauen, eine Kolonne der ukrainischen Armee und entwaffneten sie. Separatisten erbeuteten so sechs Schützenpanzer und viele Schusswaffen. "Diese Kalaschnikow mit dem Granatenwerfer, die ich jetzt trage, gehörte früher einem ukrainischen Fallschirmjäger", sagt einer der Männer vor dem Verwaltungsgebäude in Slowjansk stolz. Auch aus anderen Städten der Ostukraine wird gemeldet, dass sich manche Zivilisten mit Separatisten solidarisieren.

Auch aus anderen Städten der Ostukraine wird gemeldet, dass sich manche Zivilisten mit Separatisten solidarisieren. Es handelt sich jedoch um eine Minderheit. Mindestens jeder fünfte Bewohner in den Gebieten Donezk und Luhansk würde einen russischen Einmarsch begrüßen, so die Ergebnisse jüngster Umfragen. Die große Mehrheit lehnt das somit ab, doch sie verhält sich passiv. Es gehen kaum Menschen auf die Straße. "Wir haben Angst", erzählt ein junger Mann, der an einer Tankstelle in der Nähe von Slowjansk arbeitet. Wer Separatismus kritisiere, riskiere sein Leben.