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Bildungschance für Migranten

Bianca Schröder7. Mai 2013

Perspektiven schaffen und dem Fachkräftemangel begegnen, dies sind die Ziele der vor einem Jahr gegründeten Berufsfachschule Paulo Freire in Berlin. Sie bildet Migranten zu Sozialassistenten in Pflegeberufen aus.

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Der Afghane Najib Jakobi macht im Rahmen seiner Ausbildung ein Praktikum in der interkulturellen Tagespflege-Einrichtung in Berlin-Moabit. (Foto: Bianca Schröder)
Beim Gedächtnistraining gibt Najib Jakobi den türkischen Senioren einer Tagesstätte Übersetzungsaufgaben.Bild: DW/B. Schröder

Wie heißt nochmal "Maus" auf Türkisch? Najib Jakobi steht vor einem Flipchart und schaut in die Runde. Für die türkischen Senioren in der kulturspezifischen Tagespflege-Einrichtung in Berlin-Moabit ist die Aufgabe kein Problem: Maus heißt "fare", Elefant "fil" und Esel "eşek". Gedächtnistraining steht auf dem Programm. Die meisten der älteren Männer kamen vor Jahrzehnten als Gastarbeiter aus der Türkei nach Berlin. Jetzt sind sie wegen Demenz oder anderen Erkrankungen Patienten der Tagespflegestelle Deta-Med.

Der junge Afghane Najib Jakobi unterhält sich mit ihnen auf Türkisch. Das falle ihm leicht, weil das Türkische seiner Muttersprache Usbekisch sehr ähnlich sei, sagt er. Der 25-Jährige macht an der Berufsfachschule Paulo Freire eine Ausbildung zum Sozialassistenten mit dem Schwerpunkt Pflege, in der Tagespflegestelle absolviert er zurzeit ein Praktikum.

Endlich eine berufliche Perspektive

Jakobi gefällt die Arbeit mit den älteren Menschen. "Ich bin bei meiner Oma aufgewachsen, sie hat sich um mich gekümmert, und diese Liebe ist immer noch da. Und außerdem möchte ich mit Menschen arbeiten und nicht in einem Raum mit Computern sitzen", sagt er.

Mit 14 Jahren kam der junge Afghane ohne seine Familie nach Deutschland und wurde im brandenburgischen Fürstenwalde untergebracht. Viele Jahre musste er auf eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung warten. Nun weiß er, dass er in Deutschland bleiben kann - und dass er eine berufliche Perspektive hat.

Der Afghane Najib Jakobi beim Gedächtnistraining mit türkischen Senioren (Foto: Bianca Schröder)
Der Afghane Najib Jakobi beim Gedächtnistraining mit türkischen SeniorenBild: DW/B. Schröder

Paulo Freire bietet auch Nachhilfe und Beratung an

Derzeit lernen 45 Schüler zwischen 17 Jahren und Anfang 40 an der Berufsfachschule, die im "Zentrum Überleben" angesiedelt ist, einem Zusammenschluss mehrerer Hilfsorganisationen. Bald soll die Zahl der Plätze auf 100 anwachsen. Die meisten Schüler haben türkische, kurdische oder arabische Wurzeln, andere stammen aus Kenia, Kamerun oder Brasilien.

Sie erwerben umfangreiches Wissen über Kranken- und Altenpflege, werden aber auch in allgemeinbildenden Fächern wie Deutsch und Musik unterrichtet. Da die Schüler aufgrund ihrer Lebensgeschichte häufig mit verschiedenen Belastungen zu kämpfen haben, vermittelt die Schule nicht nur Nachhilfe, sondern auch verschiedene Beratungsangebote, etwa durch Sozialarbeiter oder Fachleute für Aufenthaltsrecht.

Najib Jakobi lobt die individuelle Betreuung, seine kurdische Mitschülerin Hamsey Bayram sagt, sie hätte sich viele Bewerbungen auf Stellen als Medizinische Fachangestellte gespart, wenn es die Berufsfachschule Paulo Freire schon bei ihrem Realschulabschluss vor zwei Jahren gegeben hätte. "Meine Noten sind nicht die besten, deshalb bin ich nicht in die dreijährige Ausbildung reingekommen", erzählt die 18-Jährige. Dank der Ausbildung an der Berufsfachschule Paulo Freire hat sie nun die Chance, ihren Traum von einer Anstellung im Krankenhaus zu verwirklichen.

Die 18-jährige Kurdin Hamsey Bayram (Mitte) erlernt an der Berufsfachschule Paulo Freire in Berlin gemeinsam mit anderen Migranten den Beruf der Sozialassistentin (Foto: Bianca Schröder)
Hamsey Bayram (Mitte) träumt von einer Anstellung in einem KrankenhausBild: DW/B. Schröder

Umgang mit Diskriminierung ist Unterrichtsthema

Das Institut für berufliche Bildung im Gesundheitswesen des Berliner Krankenhausbetreibers Vivantes hat die Trägerschaft der Schule übernommen. Die Berufsschüler absolvieren während ihrer Ausbildung drei Praktika, dabei werden sie vorwiegend in Vivantes-Einrichtungen eingesetzt. Die Rückmeldungen von Schülern und Praktikumsbetreuern seien überwiegend positiv, sagt Schulleiter Marco Hahn.

Vereinzelt gebe es aber auch unangenehme Begegnungen: "Es kommt vor, dass ältere Leute, die Demenz haben, irritiert reagieren, wenn ein afrikanischer Schüler reinkommt." Deshalb sei der Umgang mit Diskriminierung ein Thema im Unterricht. "Ein ganz wichtiges Ziel sehe ich darin, unsere Schüler zu stärken, sich nicht kleinzumachen, sondern zu sagen: Ich bin hier, ich habe etwas Gutes gelernt, ich möchte genauso für die Patienten da sein wie deutsche Kollegen und ich habe genauso ein Recht, in diesem Land zu leben."

Zwei Jahre dauert die Ausbildung zum Sozialassistenten. Nach dem Abschluss können die Schüler entweder direkt in den Beruf einsteigen oder sich weiterbilden. So können sie zum Beispiel in einer auf zwei Jahre verkürzten Ausbildung den Beruf des Krankenpflegers erlernen.

Hamsey Bayram ist noch nicht sicher, wie es bei ihr weitergeht. Najib Jakobi will nach seinem Abschluss in einem Pflegeheim arbeiten, am liebsten mit älteren Migranten. Während seines Praktikums hat er gemerkt, dass er gerade Männer in der Pflege gebraucht werden, denn der überwiegende Teil des Personals ist nach wie vor weiblich. "Es ist schön, in einer Tagespflege einen Mann zu haben, denn hier sind viele Männer und die möchten gern von einem Mann gepflegt werden", sagt Jakobi.