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Streit über die Zukunft Europas

Andreas Noll28. Mai 2014

In Frankreich und Großbritannien haben Parteien, die die EU verlassen wollen, die meisten Stimmen bekommen. Präsident Hollande und Premier Cameron lehnen das ab, fordern aber grundlegende Reformen in Brüssel.

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Francois Hollande nach dem EU-Gipfel in Brüssel (Foto: DW/Noll)
Bild: DW/ Andi Noll

Frankreich und Großbritannien arbeiten gut zusammen. In militärischen Fragen verläuft die Kooperation zwischen Paris und London weitgehend reibungslos. Die zwei Atommächte sitzen hier in einem Boot. Seit den Europawahlen gilt das - zumindest theoretisch - auch für eine andere Sache: In beiden EU-Staaten haben die Rechtspopulisten europaweit ihre besten Ergebnisse erzielt und die amtierenden Regierungen damit in eine politische Notlage gebracht.

24 Abgeordnete schickt die United Kingdom Independent Party (UKIP) um den charismatischen EU-Abgeordneten Nigel Farage nach Straßburg - die konservative Regierungspartei kommt lediglich auf 19. Noch dramatischer sieht die Lage in Frankreich aus: Auch hier entsendet der rechtspopulistische Front National um seine Chefin Marine Le Pen 24 Abgeordnete ins Europaparlament und hat damit sogar elf Sitze mehr als die regierenden Sozialisten. London und Paris suchen nun politische Antworten auf diese Erdrutschsiege der Populisten. Sie könnten unterschiedlicher nicht ausfallen.

Gleiche Bedrohung - unterschiedliche Antworten

"Wir brauchen Veränderung in Europa", fordert der britische Premier David Cameron. Veränderung heißt für den Konservativen: "Europa muss sich auf die wichtigsten Dinge konzentrieren. Auf Wachstum und Jobs. Brüssel ist aber zu groß, zu rechthaberisch und mischt sich zu sehr ein." Camerons Forderung: Europa nur da, wo es unbedingt nötig ist. Und das bedeutet, so gibt der Regierungschef zu verstehen, in viel weniger Dingen als bisher.

Frankreichs Präsident François Hollande und Englands Premier David Cameron schreiten eine Front von Soldaten ab (Foto: Reuters)
In militärischen Fragen enge Partner, in EU-Fragen politische Gegner: Hollande (li.) und CameronBild: Reuters

Um dieses Programm umzusetzen, braucht Cameron Verbündete und Fürsprecher. Am liebsten sogar in der EU-Kommission. Auch wenn Cameron das an diesem Abend nicht offen sagt: Einen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, der für eine noch engere Zusammenarbeit in Europa wirbt, will er verhindern: "Wir brauchen Leute in der Führung, die an einem Europa arbeiten, indem es um Offenheit, Wettbewerbsfähigkeit und Flexibilität geht - und nicht um Vergangenheit."

Nicht nur David Cameron, auch der französische Staatspräsident François Hollande wirbt für Veränderung, Wachstum und mehr Jobs. Doch Hollande möchte dem zukünftigen Kommissionspräsidenten einen Arbeitsauftrag verpassen, der mit den Vorstellungen seines britischen Kollegen wenig gemein hat. Während Cameron auf die Kräfte des Marktes vertraut, will Hollande seine Bevölkerung genau davor bewahren: "Ich will, dass sich dieses Mandat für die Kommission Richtung Wachstum, Schaffung von Arbeitsplätzen und der Energiewende orientiert - und für mehr Schutz sorgt."

Alle wollen mehr Wachstum - aber wie?

Gewonnen haben die Rechtspopulisten in Frankreich die Wahl mit einem Programm, das Globalisierung und EU verdammt und die Rückkehr zum souverän entscheidenden Nationalstaat propagiert. Doch Hollande will die Kompetenzen der EU nicht beschneiden, sondern Brüssel im Gegenteil mehr Verantwortung für die Lösung der Probleme in seinem Land übertragen: "Wenn einer von vier Wählern in Frankreich für die extreme Rechte stimmt, und das auch noch in einem EU-Gründungsstaat, dann gibt es ein Problem. Aber nicht nur ein Problem, auf das man in Frankreich reagieren muss, sondern das ist auch ein Problem für Europa." Daher wolle er fortsetzen, was er schon seit seinem Amtsantritt versuche: Europa eine neue Richtung zu geben - für mehr Wachstum.

Porträt von FN-Chefin Marine Le Pen (Foto: Reuters)
Sorgte für ein politisches Erdbeben in Frankreich: FN-Chefin Marine Le PenBild: Reuters
UKIP-Chef Nigel Farage jubelt über das Ergebnis der EU-Wahlen (Foto: Reuters)
Will raus aus der EU - so schnell wie möglich: UKIP-Chef Nigel FarageBild: Reuters

Wie genau diese europäische Initiative für mehr Wachstum aussehen soll und wie sie finanziert werden könnte, wurde auch nach dem Gipfel nicht deutlich. Höhere Schulden und eine laxere Haushaltspolitik für sein Land lehnt der Sozialist ab. Von europäischen Investitionen in neue Technologien ist die Rede und von Investitionen in eine Diversifizierung der Energiequellen in Europa. Inwiefern damit die Arbeitslosigkeit in Frankreich gesenkt werden kann, ist unklar. Der Pariser Politikwissenschaftler Emiliano Grossman sieht in dieser Unklarheit eines der zentralen Probleme des Präsidenten: "Es gibt schon lange keine klaren Vorschläge von Frankreich, in welche Richtung es denn gehen könnte in Europa."

Merkel als Vermittlerin?

Wenn auch die Wachstumsstrategie im Nebel bleibt, auf einem anderen Gebiet legt sich Hollande fest. Anders als Cameron will er die europäischen Institutionen nicht neu zurechtschneiden: "Wir brauchen keine Vertragsänderungen." Und auch an der Grundausrichtung seines Landes lässt Hollande keine Zweifel aufkommen: "Frankreich, das ist Europa. Und Europa kann nicht leben und nicht vorankommen ohne Frankreich."

Jean-Claude Juncker in Berlin (Foto: Getty)
Überzeugter Europäer: Der EU-Parlamentskandidat Jean-Claude Juncker stößt auf Widerstand in LondonBild: Getty Images

Mehr Europa und weniger Europa - Frankreich und Großbritannien haben gegensätzliche Antworten auf das Erstarken der EU-Gegner in ihren Ländern. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die mit beiden Ländern eng zusammenarbeiten muss, wird zwischen dem zweit- und drittstärksten Land der Europäischen Union zu vermitteln versuchen. Einen ersten Vorgeschmack lieferte sie schon am Gipfeltag. Anders als Cameron und Hollande bezog sie im Postengeschacher um die EU-Kommission zumindest vorsichtig Position für Juncker, sagte aber auch: "Diese ganze Agenda kann von ihm, aber auch von vielen anderen erledigt werden."