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"Zum Handeln zwingen"

Diana Hodali22. Februar 2015

Brutale Videos, hetzerische Texte: Der IS verbreitet täglich 90.000 Nachrichten in den sozialen Netzwerken. Damit will der IS nicht nur die Aufmerksamkeit möglicher Rekruten gewinnen, sagt Peter Busch vom King's College.

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Ausbreitung des IS (Foto: DW)

Deutsche Welle: Welches Propaganda-Ziel verfolgt der "Islamische Staat" (IS) mit der Veröffentlichung von Hinrichtungsvideos?

Peter Busch: Propaganda richtet sich grundsätzlich an mehrere Gruppen. Zu allererst an diejenigen, die schon zu dieser Gruppe gehören. Damit sind die gemeint, die an den Islamischen Staat glauben oder für ihn kämpfen. Die hohe Zahl der Videos und Fotos, die es inzwischen gibt, kann man als Demonstration der Stärke sehen. Aber eben auch als eine Demonstration der Schwäche: Erfolgsbotschaften sind notwendig, um die Moral hochzuhalten.

Es werden aber auch zwei weitere Gruppen angesprochen: Diejenigen, die rekrutiert werden sollen und die große Anzahl der Gegner. Einerseits wollen sie interne Gegner, so wie Al-Kaida zum Beispiel, diskreditieren. Die haben zwar die gleiche Ideologie, denken aber politisch anders. Andererseits will man aber auch westliche Regierungen schockieren und zum Handeln zwingen. Allein die Tatsache, dass wir über den IS reden, kann man aus Sicht dieser Menschen schon als Erfolg bezeichnen.

Dr. Peter Busch (Foto: King's College)
Peter Busch ist Senior Lecturer am King's College in LondonBild: King’s College London/Peter Bush

Sie sagten, dass der IS durch seine veröffentlichten Videos den Westen zum Handeln zwingen will. Will denn der IS wirklich, dass der Westen weiter militärisch eingreift?

Diesen Schluss muss man eigentlich ziehen. Denn darauf zielen diese brutalen Videos, die Macht demonstrieren, ab. Diese Videos erschüttern unsere Werte so sehr, dass eigentlich eine Reaktion darauf erfolgen muss. Terrorismus ist sehr oft darauf aus, eine Reaktion zu provozieren. Und dieser Kampf gegen den Ungläubigen, gegen den Feind, ist eigentlich das, womit sich der IS selbst identifiziert.

Der IS geht also davon aus, dass er den Feind besiegen kann?

Das ist sicherlich das Endziel. Al-Kaida hatte die Vision, irgendwann mal ein Kalifat zu erschaffen. Der IS hat das in die Tat umgesetzt. Er beherrscht ein relativ großes Territorium. Und das ist eine sehr starke Botschaft unter Islamisten.

Die Abstände der Veröffentlichungen scheinen immer kürzer zu werden. Möchte man also immer weiter Druck ausüben?

Sicherlich hat das Ausmaß der Nachrichten in den sozialen Netzwerken eine neue Qualität erreicht. Viele reden auch von der hohen Qualität der Videos, die besonders den Westen ansprechen sollen. Aussagen darüber zeigen aber vielmehr, wie wir uns den IS und ihre Kämpfer vorstellen - nämlich als Menschen, die kaum sprechen oder kommunizieren können. Der IS kontrolliert ein Gebiet, hält Kontakt zu verschiedenen Gruppen in Libyen und auch in Ägypten. Das halte ich für schwieriger als ein einigermaßen ansehnliches Video zu erstellen.

Wichtig ist hier, dass viel Wert auf die Machart gelegt wird und die ist deutlich westlich. Damit will man international die Aufmerksamkeit möglicher Rekruten erlangen.

Es werden ja nicht nur Hinrichtungsvideos veröffentlicht. Wofür steht denn dann die Medienstrategie des Islamischen Staates?

Sie steht dafür, dass es eine neuere Generation von Kämpfern ist, die in dieser neuen Medienwelt groß geworden sind. Sie wissen um die Macht der Propaganda und sie nutzen diese neuen Medien gezielt dafür, um ihre Botschaften zu verbreiten. Die Amerikaner sprechen von 90.000 Nachrichten der Islamisten täglich in den sozialen Netzwerken. Diese Zahl lässt viele aufschrecken. Die erste Frage, die sich viele Regierungen stellen ist: 'Was kann man dagegen tun?' Es gibt natürlich Bemühungen, eine Gegenpropaganda zu betreiben. Aber das ist nicht so einfach. Denn in den diffusen Netzwerken kommt es natürlich schon darauf an, wer genau spricht. Und soziale Netzwerke zeichnen sich dadurch aus, dass Menschen, die schon eine ähnliche Überzeugung haben, noch enger aneinander rücken.

Dann gibt es also eigentlich keine richtige Medienstrategie, um gegen den IS vorzugehen?

Es ist schwierig, eine gezielte Strategie zu finden. Es gibt natürlich im Alltag sehr viele Gegenbotschaften, denen auch alle Rekruten ausgesetzt sind.

Und durch die sozialen Netzwerke ist natürlich auch für die Polizei und die Geheimdienste die Möglichkeit gegeben, radikale Menschen und Ansichten aufzuspüren.

90.000 Nachrichten verbreiten Anhänger des IS täglich. Will der IS eine Massenbewegung werden?

Sicherlich versucht der IS, so viele Anhänger wie möglich zu bekommen. Was aber für westliche Gesellschaften zu diesem Zeitpunkt besorgniserregender ist, ist die Tatsache, dass sie durch ihre Botschaften gewisse Gruppen in unseren Gesellschaften auf ihre Seite ziehen wollen. Das ist eine Art der Subversion - der Versuch, unsere sozialen Gefüge in Schieflage zu bringen. Und das ist für den IS genauso wichtig wie die Rekrutierung. Dadurch entstehen Gegengruppierungen, die sich gegen den Islam als Ganzen richten. Und das ist eine Gefahr für unseren politischen Zusammenhalt, die nicht zu unterschätzen ist.

Der IS gewinnt doch dadurch sicherlich auch schon Kämpfe, die er nicht auf dem Feld führen musste. Wie beeinflusst die Propaganda des IS in den sozialen Netzwerken die wirkliche Kriegsführung?

Das ist eine gute Frage, aber auch eine schwierige Frage. Die Propaganda soll natürlich den Anschein erwecken, dass der IS Macht hat - nicht nur in Syrien und im Irak, jetzt auch in Libyen und auf dem Sinai. Und die Botschaft lautet einfach: Expansion. Für den IS gibt es keine Grenzen in den Mitteln, die sie einsetzen wollen, um ihre Ziele zu erreichen.

Dr. Peter Busch ist Senior Lecturer für den Bereich Medien und Krieg am "Department of War Studies" am King's College in London.

Das Gespräch führte Diana Hodali