1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Erstmals im Kampfeinsatz

23. März 2009

Vor genau zehn Jahren begann ein neues Kapitel in der Geschichte der Bundeswehr: Deutsche Tornados beteiligten sich an NATO-Luftangriffen auf Ziele in Serbien. Innenpolitisch führte der erste Kampfeinsatz zu Turbulenzen.

https://p.dw.com/p/HHXl
Tornado-Kampfflugzeug in der Luft (Foto: AP)
Deutschland beteiligte sich mit 14 Tornados an dem EinsatzBild: AP/PIZ Luftwaffe

Bundeskanzler Gerhard Schröder ist erst wenige Monate im Amt, als er Ende März 1999 eine der schwerwiegendsten Entscheidungen seiner Amtszeit vor dem Bundestag erklären muss: Auch die Bundeswehr beteiligt sich mit Kampfflugzeugen an der NATO-Operation "Allied Force". "In der Nacht zum Donnerstag hat die NATO mit Luftschlägen gegen militärische Ziele in Jugoslawien begonnen. Das Bündnis war zu diesem Schritt gezwungen, um weitere schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte Im Kosovo zu unterbinden."

Joschka Fischer, kurz nachdem er auf dem Sonderparteitag der Grünen zum Kosovo-Krieg im Mai 1999 von einem Farbbeutel getroffen wurde (Foto: DPA)
Vor allem bei den Grünen war der Einsatz umstritten -Außenminister Fischer wurde auf einem Sonderparteitag von einem Farbbeutel getroffenBild: dpa

Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg stehen damit deutsche Soldaten in einem Kampfeinsatz. Was es für die für die frische Rot-Grüne Regierungskoalition leichter macht: "Wir wissen uns einig und in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung und auch - Gott sei Dank - mit der großen Mehrheit im Deutschen Bundestag über alle Parteigrenzen hinweg", so Schröder in seiner Rede.

Kurz nach der Ära Kohl

Es sind turbulente Wochen, die diesem Tag vorausgehen. Die Kosovo-Krise spitzt sich zu, während in Deutschland die Ära Kohl zu Ende geht. Die neue rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder ist noch nicht im Amt, da stehen schwerwiegende außenpolitische Entscheidungen an. Die NATO baut eine robuste Drohkulisse gegenüber dem jugoslawischen Präsidenten Milosevic auf – und kündigt Luftangriffe für den Fall an, dass die Vertreibungen und Morde im Kosovo weitergehen. Schon im Herbst 1998 warnt NATO-Generalsekretär Javier Solana: "Vor wenigen Minuten hat der NATO-Rat den Einsatzbefehl für regional begrenzte Luftschläge gegeben, die frühestens in 96 Stunden erfolgen sollen."

Auch Deutschland wird um einen Beitrag gebeten. Da der neue Bundestag noch nicht konstituiert ist, tritt der alte im Oktober 1998 zu einer Sondersitzung in Bonn zusammen. Die Abgeordneten beschließen mit großer Mehrheit, dass die Bundeswehr sich an den Luftangriffen der NATO beteiligen darf, notfalls auch ohne UN-Mandat.

Noch aber gehen die Verhandlungen weiter: Im französischen Rambouillet ringen Vertreter der jugoslawischen Führung, der Kosovo-Albaner und der NATO um eine Lösung. Die außenpolitisch unerfahrene rot-grüne Bundesregierung spielt dabei eine untergeordnete Rolle, unterstützt aber den NATO-Kurs. Der sozialdemokratische Verteidigungsminister Rudolf Scharping: "Wir wollen alles in unseren Möglichkeiten stehende tun, damit es auf dem Balkan nicht neue Leichenberge und in Europa nicht neue Flüchtlingsströme gibt."

Einsatz ohne UN-Mandat

Als die Verhandlungen scheitern, beginnt die NATO, Ziele in Belgrad und anderen serbischen Städten zu bombardieren. Die 14 deutschen Tornados werden für die Luftaufklärung eingesetzt und bekämpfen serbische Flugabwehrstellungen. Damit nehmen deutsche Soldaten zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs aktiv an Kampfhandlungen teil, und das sogar ohne UN-Mandat. Im Militärbündnis NATO gibt es keinen Grund mehr für eine Sonderbehandlung Deutschlands, und vor dem Leid der kosovarischen Zivilbevölkerung will die rot-grüne Bundesregierung die Augen nicht verschließen. Folglich setzt sie erstmals außerhalb des eigenen Staatsgebiets Waffengewalt als Mittel der Politik ein.

Das aber führt zu erheblichen innenpolitischen Spannungen, vor allem bei den Grünen. Der Sonderparteitag im Mai 99 ist der turbulenteste, den die Partei bis dahin erlebt hat. Vor der Halle in Bielefeld beschimpfen Demonstranten grüne Spitzenpolitiker als Mörder.

Spannungen vor allem bei den Grünen

Nur unter Polizeischutz gelangen die Delegierten die Halle, in der die Emotionen hoch kochen. Viele Grüne kommen aus der Friedensbewegung und lehnen die Anwendung militärischer Gewalt vehement ab. Die Bundestagsabgeordnete Angelika Beer verteidigt die Parteispitze gegen Kritik und Beschimpfungen: "Hättet Ihr denn da wegsehen wollen, die Ihr jetzt schreit ‚Kriegstreiber‘? Wie wollt Ihr das denn rechtfertigen? Sagt dazu doch endlich was! So feige ist es!"

Im Zentrum der Kritik steht Außenminister Joschka Fischer, der einen Farbbeutel abbekommt und leicht am Kopf verletzt wird. Aufgebracht weist er die Forderung nach einem sofortigen und unbefristeten Stopp der NATO-Luftangriffe zurück. "Ich halte zum jetzigen Zeitpunkt eine einseitige, unbefristete Einstellung der Bombenangriffe für das grundfalsche Signal." Milosevic würde dadurch gestärkt und nicht geschwächt, sagt Fischer. "Ich werde das nicht umsetzen, wenn ihr das beschließt, damit das klar ist!“ Am Ende unterstützt die Mehrheit der Delegierten den Parteivorstand und stimmt für eine befristete Feuerpause. Der Außenminister bekommt freie Hand, um sich für eine Verhandlungslösung einzusetzen.

Bundeswehr wird zur Armee im Einsatz

Bewaffnete Soldaten der Bundeswehr imApril 2004 bei einer Straßenkontrolle nördlich von Mitrovica (Foto: DPA)
Immer ist die Bundeswehr im Rahmen der KFOR im Kosovo stationiertBild: picture-alliance/dpa

Im Juni 1999 gibt Milosevic nach, zieht seine Truppen zurück und macht den Weg frei für die Stationierung der NATO-Friedenstruppe KFOR. Die Bundeswehr, die mit einem großen Kontingent beteiligt ist, wandelt sich mehr und mehr zur Armee im Einsatz. Die deutsche Sicherheitspolitik lässt fortan in Ausnahmefällen militärische Gewaltanwendung außerhalb des eigenen Territoriums zu, um dann möglichst schnell zum Peacekeeping überzugehen.

Bundeswehr-General Klaus Reinhardt war mehrere Jahre lang Kommandeur der KFOR. Der Einsatz sei wichtig gewesen, um innere und äußere Stabilität zu wahren, sagt er "Im Kosovo war die äußere Stabilität deswegen wichtig, weil Milosevic jeden Tag gesagt hat: Ich erobere das Land mit Gewalt zurück." Nur wenn die Lage stabil sei, könnten die politischen Verhältnisse und auch die ökonomische Rahmenbedingungen verbessert werden, so der General.

Das aber dauert viel länger, als die rot-grüne Bundesregierung seinerzeit annahm. Sie ist schon lange nicht mehr im Amt, aber noch immer sind mehr als 2.500 deutsche Soldaten im Kosovo stationiert.

Autorin: Nina Werkhäuser

Redaktion: Manfred Götzke