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Bulgarien wacht über NATO-Ostgrenze

Alexander Andreev/Georgi Papakotchev10. April 2014

Bulgarien fürchtet sich vor einer Eskalation im Schwarzmeerraum. Dabei soll das NATO-Mitglied die Ostgrenze eigenhändig schützen. Doch die bulgarische Armee sieht sich selbst dazu nicht in der Lage.

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NATO-Flagge und bulgarische Flagge in Sofia, Bulgarien (Foto: BGNES)
Bild: BGNES

Als NATO-Mitglied ist Bulgarien für einen 354 Kilometer langen Abschnitt der NATO-Ostgrenze zuständig. Diese bulgarische Schwarzmeerküste ist keine 500 Kilometer von der Krim entfernt und grenzt gleichzeitig direkt an das Einsatzgebiet der russischen Schwarzmeerflotte und der russischen Luftaufklärung. Einerseits hat also Bulgarien die Verpflichtung, die militärischen Aktivitäten der Russen im und über dem Schwarzen Meer mitzukontrollieren. Andererseits regiert in Sofia eine von den Moskau-freundlichen Sozialisten dominierte Regierung, die einen komplizierten Spagat zwischen ihren NATO- und EU-Verpflichtungen und den Sympathien für Russland versucht.

Diese Sympathien sind auch in der bulgarischen Gesellschaft tief verwurzelt, die deshalb zurzeit tief gespalten ist. Denn die historisch und kulturell bedingten prorussischen Stimmungen kollidieren mit der in den Medien deutlich spürbaren Angst, Bulgarien könnte schnell in eine militärische Auseinandersetzung im Schwarzen Meer verwickelt werden. Und für eine solche Auseinandersetzung hat das Land offensichtlich keine Kapazitäten. Die öffentliche Diskussion über die potentielle Gefahr und die Optionen bei einer Verschärfung der Lage läuft in Bulgarien auf Hochtouren.

Mit russischen Jets für die NATO gegen Russland?

In einem von der amtlichen Presseagentur BTA zitierten Bericht des Verteidigungsministerium heißt es, Bulgariens Kriegsschiffe seien zu alt und den modernen Anforderungen nicht mehr entsprechend. General Sabi Sabev, der scheidende militärische Vertreter Bulgariens im NATO-Hauptquartier in Brüssel, kritisiert öffentlich die Militärreform in Bulgarien. Die Personalkürzungen und die Einsparungen bei Ausrüstung und Struktur hätten die Armee geschwächt. Also sei Bulgarien nicht mehr in der Lage, seine Verantwortungen als NATO-Grenzland zu erfüllen, so Sabev in einem BTA-Interview.

Das US-Kriegsschiff "USS Truxtun" im Bosporus (Foto: REUTERS/Stringer)
Das US-Kriegsschiff "USS Truxtun" hat den Bosporus schon passiert und ist im Schwarzen MeerBild: Reuters

Im Gespräch mit der DW weist der ehemalige Verteidigungsminister und Sicherheitsexperte General a.D. Aniu Angelov auf die Mängel bei der Luftwaffe hin: "Wir können davon ausgehen, dass die Luftwaffe nur mit einer enormen Anstrengung den bulgarischen Luftraum sichern kann," so Angelov. Nach seiner Einschätzung sind die russischen Kampfjets MIG-21 der bulgarischen Luftwaffe nur teilweise einsatzfähig.

Ängste und Befürchtungen

Auch die Tatsache, dass die bulgarische Luftwaffe sowie die Radarüberwachung fast vollständig russischer Herkunft sind, könnte für Russland sehr vorteilhaft sein, sollte es zu einem Konflikt im Schwarzen Meer kommen, befürchten die bulgarischen Medien. In mehreren Publikationen wird darüber spekuliert, dass im Fall der Fälle die russischen Streitkräfte die Radarüberwachung des NATO-Staates überlisten könnten.

Gleichzeitig sind seit Anfang des Jahres vermehrt russische Aufklärungsflüge im Schwarzmeerraum registriert worden und deswegen "müssen unsere Flugzeuge abheben, um sie zu kontrollieren", sagt der Verteidigungsminister Angel Naidenov. Laut Naidenov sei dies fast täglich der Fall. Was genau die russischen Illjuschin-20-Aufklärungsflugzeuge an Bord tragen und welche Aufgaben sie erfüllen, weiß man nicht. In den Medien wird allerdings die Befürchtung formuliert, sie würden die bulgarischen Radaranlagen beobachten.

NATO-Flagge in Sofia, Bulgarien (Foto: BGNES)
Im Bündnisfall soll Bulgarien die Ostgrenze der NATO sichernBild: BGNES

"Keine Gefahr für das NATO-Land"

Trotz all dieser Schreckenszenarien und Ängste in der Offentlichkeit glaubt der ehemalige Verteidigungsminister Todor Tagarev nicht daran, dass Bulgarien sich in akuter Gefahr befindet. Dass Russland ein NATO-Land angreifen könnte, hält er für unwahrscheinlich: "Sollte dies geschehen, kommt automatisch die gemeinsame Antwort der NATO-Länder gemäß Artikel 5 des Vertrages," erklärt Tagarev. Im Nordatlantikvertrag, dem Vertrag über die NATO, ist in Artikel 5 der Bündnisfall als bewaffneter Angriff mit der Reaktion der gemeinsamen Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der UN anerkannten Rechts der Selbstverteidigung bezeichnet.

In Bulgarien wird am Freitag (11.04.2014) der scheidende Generalsekretär der Allianz Anders Fogh Rasmussen erwartet. Der bulgarische Verteidigungsminister Angel Naidenov nannte die Visite im Vorfeld "ein wichtiges Signal vor dem Hintergrund der Russland-Ukraine-Krise, der Sicherheitssituation im Schwarzmeerraum und an der NATO-Ostgrenze". Sein Vorgänger Aniu Angelov ist der Meinung, Bulgarien sollte die Visite von Rasmussen unbedingt nutzen: "Das einzige, was wir in der heutigen Situation unternehmen sollten, ist gemäß Artikel 4. des NATO-Vertrages Konsultationen mit der NATO-Führung zu beantragen. Die NATO-Führung sollte darüber informiert werden, dass wir nicht ganz in der Lage sind, mit unseren Kampfjets die Aufklärungsflüge der Russen über dem Schwarzen Meer zu kontrollieren. Also brauchen wir von der NATO zusätzliche Unterstützung."

Todor Tagarev (Foto: BGNES via Darya Popova-Witzel, DW)
Glaubt nicht an einen Krieg mit Russland - der Ex-Verteidigungsminister Bulgariens Todor TagarevBild: BGNES

NATO zeigt Präsenz

Angelov ist einer derjenigen, die eine reale Gefahr für Bulgarien sehen. Er fordert die zuständigen nationalen Gremien auf, Sofortmaßnahmen zu ergreifen, um Bulgariens Sicherheit zu gewährleisten: "Der Sicherheitsrat der Regierung und der Nationale Sicherheitsrat beim Präsidenten sollten sich eigentlich im Klaren sein, dass die Gefahr sehr groß ist. Falls Bulgarien tatsächlich seine NATO-Verantwortungen für die kollektive Sicherheit voll tragen will, sollte jetzt alles Notwendige unternommen werden, denn die Situation ist gar nicht harmlos." Der ehemalige Politiker wünscht sich entschiedenere Handlungen seitens der EU und der NATO in Richtung Russland, denn: "In Moskau werden die Entscheidungen von einem einzigen Mann getroffen. Sollte er nach der Krim-Annexion einen weiteren Schritt machen wollen, wird ihn niemand in Russland stoppen können", so der Reservegeneral.

Die USA und die NATO zeigen bereits mehr Präsenz im Schwarzmeerraum. Mittlerweile schickte Washington erneut ein Kriegsschiff in das Schwarze Meer. Der Zerstörer "USS Donald Cook" werde dort binnen einer Woche eintreffen, hieß es am Montag (07.04.2014) in Washington. Mit der Verlegung wolle das US-Militär nach der Annexion der Krim ein Zeichen der Unterstützung an die osteuropäischen NATO-Verbündeten senden. Im vergangenen Monat hatte Washington bereits den Zerstörer "USS Truxtun" vorübergehend ins Schwarze Meer beordert. Gleichzeitig schicken die USA auch F-16 Kampfjets nach Rumänien zu der noch in diesem Monat geplanten NATO-Übung um den Schwarzmeerraum. Schon vor einigen Wochen hatte die NATO die Überwachungsflüge der Awacs-Maschinen über Polen und Rumänien ausgeweitet.