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"Buchhalter von Auschwitz" gesteht

21. April 2015

In einem der letzten großen Auschwitz-Prozesse hat der frühere SS-Mann Oskar Gröning umfangreich seine Mitschuld eingeräumt. Überlebende aus aller Welt waren zum Auftakt des Verfahrens nach Lüneburg angereist.

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Oskar Gröning im Lüneburger Gerichtssaal (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/Julian Stratenschulte/dpa

"Für mich steht außer Frage, dass ich mich moralisch mitschuldig gemacht habe", erklärte der Angeklagte Oskar Gröning den Richtern. Der mittlerweile 93-Jährige gab zu, unmittelbar nach seiner Ankunft im Konzentrationslager Auschwitz im Jahr 1942 von der Vergasung der Juden erfahren zu haben. "Ich bitte um Vergebung. Über die Frage der strafrechtlichen Schuld müssen Sie entscheiden."

Gröning muss sich wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen verantworten. Der gelernte Bankkaufmann und Angehörige der sogenannten Schutzstaffel (SS) wurde im Alter von 21 Jahren nach Auschwitz-Birkenau versetzt. Dort waren SS-Mitglieder unter anderem für die Bewachung, die wirtschaftliche Ausbeutung und Ermordung der Häftlinge zuständig.

Demonstranten vor dem Gerichtssaal in Lüneburg (Foto: dpa)
Demonstranten vor dem Gerichtssaal in LüneburgBild: picture-alliance/dpa/Philipp Schulze

"Buchhalter von Ausschwitz"

Grönings Aufgabe bestand darin, sich um das von neu eingetroffenen Häftlingen zurückgelassene Gepäck zu kümmern und die Koffer nach Geld zu durchsuchen. Die beschlagnahmten Beträge wurden von ihm gezählt und an die SS in Berlin weitergeleitet. Journalisten gaben Gröning deshalb den Namen "Buchhalter von Auschwitz".

Mit seiner Tätigkeit habe er dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft und das systematische Tötungsgeschehen unterstützt, wirft ihm die zuständige Staatsanwaltschaft Hannover vor. Die Richter beschränken ihre Anklage auf die sogenannte "Ungarn-Aktion" im Sommer 1944, bei der per Bahn rund 425.000 zumeist jüdische Ungarn nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. Mindestens 300.000 von ihnen sollen dort in den Gaskammern getötet worden sein.

Überlebende in Lüneburg vor Ort

Unter den 60 Nebenklägern sind Holocaust-Überlebende und Angehörige aus verschiedenen Erdteilen. Viele sind trotz ihres hohen Alters nach Lüneburg gekommen, um dem Prozess vor dem Landgericht beiwohnen zu können. Es gehe ihnen um eine späte Gerechtigkeit, nicht um Rache oder eine hohe Strafe, erklärten sie in einer Stellungnahme am Vorabend des Prozessauftakts. Für sie ist jetzt entscheidend, ob der Angeklagte mit seinen bald 94 Jahren bis zum Ende des Prozesses als verhandlungsfähig eingestuft wird.

Urteil für Ende Juli erwartet

Die Staatsanwaltschaft hat 27 Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil soll dann Ende Juli fallen. Sollte Gröning verurteilt und für haftfähig erklärt werden, erwartet ihn eine Strafe von mindestens drei Jahren.

Seit 2011 verlangt die Justiz nicht mehr den Nachweis einer direkten Beteiligung an den Morden in den Vernichtungslagern. Seitdem kann auch eine Tätigkeit als Aufseher oder Koch ausreichend für die Annahme von Beihilfe zum Mord sein. Eine unmittelbare Beteiligung an einem konkreten Tötungsdelikt muss nicht mehr nachgewiesen werden.

djo/stu (dpa, epd)