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"Nationalismus ist der Schlüssel"

Gabriel Dominguez / js 27. September 2014

Zum ersten Mal seit Jahren haben zwischen China und Japan hochrangige Gespräche stattgefunden. Ein wichtiger Schritt, um beim Inselstreit im Ostchinesischen Meer Spannungen abzubauen, meint der Japan-Experte James Brown.

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Politikwissenschaftler James D. Brown, Temple University Japan Campus. Foto: Temple University, Tokio.
Bild: Temple University, Japan Campus

DW: Welche Bedeutung hatte das zweitägige Treffen in dieser Woche zwischen chinesischen und japanischen Vertretern?

James Brown: Das Treffen in Qingdao ist zweifellos eine bedeutsame Entwicklung, die Hoffnung macht, dass eine sehr beunruhigende Phase der chinesisch-japanischen Beziehungen zu einem Ende kommt.

Angesichts der Intensität der Spannungen in den vergangenen zwei Jahren, bei der auch die Gefahr einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen der zweit- und drittgrößten Volkswirtschaft der Welt bestand, muss man jedes Zeichen der Verbesserung äußerst willkommen heißen.

Was waren die Ergebnisse des Treffens?

Der Fokus der Gespräche lag auf maritimen Themen, besonders in Bezug auf den Streit um die Inselkette im Ostchinesische Meer. Allerdings konnte man sich auf nur wenig substanzielle Ergebnisse einigen. Doch das spielt nicht die entscheidende Rolle: Wichtig ist, dass das Treffen überhaupt stattgefunden hat, denn das zeigt eine gegenseitige Bereitschaft, Spannungen zu reduzieren.

Insbesondere muss die Hoffnung sein, dass diese Gespräche ein erster Schritt sind, um eine bessere Verständigung zwischen beiden Seiten zu schaffen. Denn das ist wesentlich, um sicherzustellen, dass nicht ein versehentlicher Zusammenstoß auf hoher See zu einer gefährlichen internationalen Krise eskaliert.

Vor einigen Tagen war die bisher größte Handelsdelegation Japans mit mehr als 200 Unternehmensführern zu Gast in Peking. Kann man das als einen weiteren Versuch werten, die Beziehungen zu verbessern?

Generell sollte man der Größe einer Handelsdelegation nicht allzu viel Bedeutung beimessen. Nur weil eine große Zahl von Führungskräften auf einer Dienstreise zusammengepfercht wird, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass das zu verbesserten wirtschaftlichen Beziehungen führt. Diesmal allerdings könnte es sich um einen anders gelagerten Fall handeln.

Nachdem die japanische-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen sind, sind sie nun ins Stocken geraten. Alarmiert von der wachsenden anti-japanischen Stimmung in der chinesischen Bevölkerung und den gewalttätigen Demonstrationen in China im September 2012 haben japanische Unternehmen ihre Investitionen in China reduziert und sich anders orientiert.

In der Tat waren die japanischen Investitionen in China in den ersten acht Monaten des Jahres 2014 um 43 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum. Gerade angesichts einer sich abschwächenden Konjunktur müssen diese Zahlen Peking beunruhigen und dazu ermutigen, sich um verbesserte wirtschaftliche Beziehungen zu bemühen. Da auch Japan unter wirtschaftlichen Schwierigkeiten leidet, dürfte auch die japanische Wirtschaft solche Bestrebungen begrüßen.

Warum hat es so lange gedauert, bis die chinesische und japanische Führung sich aufeinander zu bewegt haben?

Nationalismus ist der Schlüssel zum Verständnis der gegenwärtigen Schwierigkeiten in den chinesisch-japanischen Beziehungen. Die Legitimität der Kommunistischen Partei Chinas beruht auf dem wirtschaftlichen Wohlstand, den sie erreicht hat. Zusätzlich beansprucht sie für sich, das Land von der brutalen japanischen Besatzung befreit zu haben. Auch sieben Jahrzehnte später hält es Peking noch für sinnvoll, Japan dazu zu benutzen, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung auf diesen "Gegner von außen" zu lenken.

Japanische Inseln Minamikojima, Kitakojima & Uotsuri. Foto: Kyodo/MAXPPP
Die Inseln Minamikojima, Kitakojima und Uotsuri: "Symbole des Nationalstolzes"Bild: picture-alliance/dpa/Maxppp

Auch in Japan ist der Nationalismus eine wichtiges Motiv, vor allem seit Ministerpräsident Abe im Dezember 2012 an die Macht zurückgekehrt ist. Sein provokanter Besuch beim Yasukuni-Schrein, verbunden mit seinen umstrittenen Ansichten über das japanische Kriegsgedenken machen ihn zu einem außergewöhnlich schwierigen Gesprächspartner für alle chinesischen Führer.

Wenn man die aktuellen Begegnungen zusammennimmt, kann man dann von Anzeichen sprechen, dass die eingefrorenen Beziehungen auftauen könnten?

Die Gespräche über die Sicherheit auf See in Verbindung mit der großen Wirtschaftsdelegation können als signifikante positive Entwicklung verstanden werden. Insbesondere ist es eine Erinnerung daran, dass die chinesische Führung, obwohl viele Menschen das Gegenteil vermuten, keinen Krieg mit Japan will und von diesen Aussichten alarmiert ist. Eine Befragung hat kürzlich ergeben, dass 53 Prozent der Chinesen einen Krieg mit Japan erwarten. Auf der anderen Seite haben 93 Prozent der Japaner eine schlechte Meinung von China. Deshalb war es höchste Zeit für die beiden Regierungen, sich um eine Annäherung zu bemühen.

Der Schlüssel dafür, die Spannungen weiter zu mindern, wäre ein Treffen zwischen den Regierungschefs der beiden Länder. Eine Gelegenheit dafür ergibt sich beim Treffen der Organisation Asiatisch-pazifische wirtschaftliche Zusammenarbeit (APEC), das im November in Peking stattfindet. Der japanische Premier Abe hat seine Bereitschaft erklärt, seinen chinesischen Amtskollegen zu treffen, aber bisher hat Xi Jinping das abgelehnt. Als Gastgeber des Gipfels könnte es für Xi aber schwierig werden, Abe ganz zu meiden. Es bleibt aber abzuwarten, ob die chinesische Seite bereit ist, Japan ein vollwertiges bilaterales Treffen zu gewähren. Zum derzeitigen Zeitpunkt ist es wahrscheinlicher, dass die Begegnung nicht über einen beiläufigen Händedruck hinausgehen wird.

Was sind derzeit die größten Hindernisse für beide Parteien in Bezug auf das Ostchinesische Meer?

Die wirtschaftlichen und strategischen Fragen im Zusammenhang mit dem Ostchinesichen Meer und den umstrittenen Senkaku- und Diaoyu-Inseln sind eigentlich ziemlich unbedeutend. Das wahre Hindernis für eine Einigung ist, dass diese kleinen Inseln und Felsen zu Symbolen des Nationalstolzes geworden sind. Das macht die Beilegung der Streitigkeiten praktisch unmöglich. In der Öffentlichkeit in beiden Ländern hat sich daran eine solche Leidenschaft entzündet, dass es keine Regierung wagen kann, Zugeständnisse zu machen.

Inselstreit zwischen China und Japan. Foto: Kyodo/MAXPPP
Gefährliche Drohgebärden: Seemanöver im Ostchinesischen MeerBild: picture-alliance/dpa

Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sich die aktuelle Verbesserung der Beziehungen als relativ kurzlebig erweist. Angesichts der hartnäckigen territorialen Streitigkeiten und der weiter schwelenden Frage der historischen Erinnerung kann man die langfristigen Aussichten für die chinesisch-japanischen Beziehungen durchaus düster sehen.

Es ist vermutlich unvermeidbar, dass früher oder später ein weiterer Vorfall im Ostchinesischen Meer oder eine unbedachte Äußerung eines Politikers die Spannungen alarmierend wiederaufleben lässt.

Der Politikwissenschaftler James Brown forscht und lehrt an der Temple Universität in Tokio. Davor war er an den Universitäten Aberdeen und Glasgow tätig.