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Zugpferde der Wirtschaft

28. August 2009

Brasilien, Russland, Indien und China oder kurz: BRIC. Eine Gruppe von vier Staaten könnte zur Lokomotive eines neuen Wirtschaftsaufschwungs werden. Die Krise beschleunigt ihren Aufholprozess.

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Brasiliens Präsident Lula, Russlands Präsident Medwedew, Chinas Staatschef Hu und Indiens Premier Singh beim BRIC-Gipfel in Jekaterinburg 2009 (Foto: AP)
Die Vier vom BRIC-Klub.Bild: AP

Aufstrebende Volkswirtschaften, Emerging Markets, Schwellenländer – drei Begriffe, die eines gemeinsam haben: Es umschreibt die neuen Akteure auf der Weltbühne, die das Zeug dazu haben, in den nächsten Jahrzehnten für eine gehörige Verschiebung der weltpolitischen Gewichte zu sorgen.

Ohne BRIC läuft nichts mehr

An Selbstbewusstsein mangelt es ihnen nicht - den vier BRIC-Staaten. Als sich die vier Präsidenten Mitte Juni dieses Jahres im russischen Jekaterinburg trafen, wurde die Stadt am Ural von Russlands Präsident Medwedjew kurzerhand zum "Epizentrum der Weltpolitik" erklärt. Und wenn es auf den Finanzgipfeln der jüngsten Zeit um die Rettung der Welt geht, dann sitzen sie wie selbstverständlich mit am Tisch. Ein klares Zeichen: Ohne die Schwellenländer geht längst nichts mehr – kein Wunder: Der Vierer-Klub erwirtschaftet zusammen genommen 15 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, steht für 13 Prozent des Welthandels und besitzt mit 2,8 Billionen US-Dollar über 40 Prozent der weltweiten Devisenreserven.

Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank zu Gast bei der DW in Bonn (Foto: DW)
Ist mit der Zusammenfassung BRIC nicht glücklich: Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Norbert WalterBild: DW/F. Craesmeyer

Deutsche-Bank Chefvolkswirt Nobert Walter traut einigen Schwellenländern durchaus das Potenzial für eine Verschiebung der Gewichte in der Weltwirtschaft zu. In den nächsten fünf bis sieben Jahren wird sich dieser Prozess seiner Meinung nach eher verstärken als abschwächen. "Das Gewicht dieser Länder wird im Handel und in den Investitionsentscheidungen der Welt ein größeres Gewicht haben", so Walter im Interview mit DW-WORLD.DE. Amerikaner und Europäer seien in den nächsten fünf Jahre mit überfälligen Korrekturen beschäftigt. Dort gelte es jetzt zuerst einmal, die Strukturen wieder in Ordnung zu bringen, die übermäßige Verschuldung zurückzuführen. "Das wird sicherlich das relative Wachstum der Schwellenländer eher noch verstärken."

In 20 Jahren BRIC vor G7

Diese Entwicklung ist derzeit schon an den Börsen zu bestaunen: Denn nach einem katastrophalen Jahr 2008 geht es für die Aktienkurse in Sao Paulo, Moskau, Mumbai und Shanghai wieder steil nach oben – mit Pluszeichen von um die 50 Prozent hängt das Quartett der Überflieger die etablierten Börsenplätze locker ab.

Prognostiziertes Wirtschaftswachstum 2009 2010 der Länder Brasilien, Russland, Indien, China, USA und der Euro-Zone (DW-Grafik: Peter Steinmetz)
Prognostiziertes Wirtschaftswachstum der BRIC-Staaten im Vergleich zu den USA und der Eurozone

BRIC – kreiert wurde dieses Kürzel vor einigen Jahren von der US-Investment-Bank Goldman Sachs. Damals prognostizierte deren Chefvolkswirt Jim O´Neill, dass die BRIC-Staaten bis zum Jahr 2050 die sieben wichtigsten Industriestaaten (G7) gemessen an der Wirtschaftsleistung überholen würden. Jetzt revidierte O´Neill diese Vorhersage: Das werde schon in zwanzig Jahren passieren. Deutsche-Bank-Forscher Walter hegt da gewisse Zweifel, zumal er die Zusammenfassung gerade dieser vier Länder für nicht glücklich hält. Seiner Ansicht nach passen nur Indien und China wirklich zusammen als Länder mit unzweifelhaft großer und auch jetzt schon wieder vorhandener Wirtschaftsdynamik. "Die beiden werden mit sieben Prozent verlässlich in den nächsten fünf Jahren wachsen und damit natürlich Zugpferd sein."

Nicht alle im gleichen Tempo

Obwohl: Auch China hat unter der Wirtschaftskrise gelitten: Da auf Chinas Exportmärkten die Nachfrage einbrach, gingen die Ausfuhren aus dem Reich der Mitte allein im Frühjahr um ein Viertel zurück. Eine Folge: 25 Millionen Wanderarbeiter wurden entlassen. Indien hingegen kam glimpflich davon: Als die westlichen Volkswirtschaften für das erste Halbjahr noch drastische Einbußen meldeten, legte das Wachstum auf dem Subkontinent um über fünf Prozent zu. Anders Russland: Dort ging die Wirtschaftsleistung im vergangenen Quartal über elf Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück.

Symbolbold Erde mit den Flaggen der sieben wichtigsten Industriestaaten
G7 bald Geschichte?

Für viele Beobachter ist das keine Überraschung, da die Russen sehr abhängig sind von der Nachfrage nach Gas, Öl und nach Metallen. Volumina wie auch die Preise sind zuletzt deutlich gefallen - damit hat sich auch Russlands Perspektive verschlechtert. Volkswirte wie Jim O´Neill und Norbert Walter erwarten zwar, dass die Russen wieder zurückkommen. Doch, so schränkt Walter ein: "Nicht auf Dauer, sondern eben wirklich nur als Rohstofflieferanten. Sie stellen nicht wirklich eine dynamische Volkswirtschaft dar wie Indien oder China."

Krise wirkt als Katalysator

Ähnlich pessimistisch bewertet Walter die Aussichten für Brasilien. Auch wenn das südamerikanische Land die Krise mit einem nur leichten Minus beim Wirtschaftswachstum wohl einigermaßen unbeschadet überstehen dürfte. Das liegt vor allem an einem überraschend starken Binnenmarkt – wiederum begründet durch kräftige Lohnerhöhungen in den zurückliegenden Jahren. Dennoch dürfte alleine der Konsum nicht für die notwendige Dynamik sorgen, da nur wenige Branchen Gewinne verzeichnen. Zudem fehlt es in Brasilien nach wie vor an der notwendigen Infrastruktur – so dass das Land sein zweifellos vorhandenes Potenzial wirklich ausschöpfen kann.

Dennoch bleibt festzuhalten: Die weltweite Krise wird den Aufholprozess der Schwellenländer deutlich beschleunigen. Und dabei sind im Verbund der BRIC-Staaten einige andere wichtige Player gar nicht erfasst: Südkorea etwa, Mexiko, auch Südafrika und Indonesien. Der Wettlauf um eine neue Weltwirtschaftsordnung hat begonnen. Die große Krise wirkt dabei wie ein Katalysator.

Autor: Henrik Böhme

Redaktion: Rolf Wenkel