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Ein Film über das Oktoberfest-Attentat

Jochen Kürten25. Januar 2014

Ein Politthriller, der auf authentischen Ereignissen basiert: "Der blinde Fleck" rollt die Geschichte des Attentats beim Münchner Oktoberfest 1980 auf. Nun werden die Ermittlungen wieder aufgenommen.

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Deutschland Filmfestival Max Ophüls Preis 2014 in Saarbrücken Filmszene Der blinde Fleck
Bild: Filmfestival Max Ophüls Preis

"Ein Kinofilm kann die Welt verändern - zumindest ein bisschen", sagt der junge Regisseur Daniel Harrich. Was er damit meint: Sein Film "Der blinde Fleck" führt derzeit dazu, dass das Oktoberfest-Attentat von 1980 neu untersucht wird, die Ermittlungen wieder in die Gänge kommen. Damals waren bei einem verheerenden Bombenanschlag 13 Menschen gestorben, über 200 weitere wurden verletzt, 60 davon schwer. Der Spielfilm habe jetzt das erreicht, was jahrelange Recherchen eines Journalisten, was dessen Bücher und Artikel, Radiofeatures und Dokumentationen nicht erreicht haben, erzählt Harrich.

Mutiger und beharrlicher Journalist

Dabei weiß Harrich sehr genau, wem er die große Aufmerksamkeit, die derzeit seinem ersten Spielfilm zuteil wird, zu verdanken hat: dem Journalisten Ulrich Chaussy. "Es ist eine Hommage auf den investigativen Journalismus", sagt Harrich im Gespräch mit der Deutschen Welle. Chaussy und Harrich stellen den Film "Der blinde Fleck" in diesen Tagen gemeinsam in Deutschland vor, auf Festivals wie dem Max Ophüls-Preis in Saarbrücken und in Talkshows, bei Schulveranstaltungen und auch vor Politikern.

Eine erste Vorführung des Films fand im Sommer vergangenen Jahres vor Mitgliedern des bayrischen Landtages in München statt. Die Abgeordneten zeigten sich betroffen und versprachen Aufklärung. Die kommt nun in die Gänge. Plötzlich tauchen Akten auf, die schon als verschwunden galten. Der Anwalt der Opfer von damals bekommt nun endlich Gelegenheit, das vollständige und ungeschwärzte Aktenmaterial zu sichten.

Präsentation des Films DER BLINDE FLECK mit Team (Foto: Max Ophüls Preis)
Das Team: Darsteller Benno Fürmann, Regisseur Harrich, Autor Chaussy und Darsteller Heiner Lauterbach (von links)Bild: Filmfestival Max Ophüls Preis/Sebastian Woithe

Neue Aufmerksamkeit für einen alten Fall

So makaber es ist - die Mordserie der NSU und der Prozess gegen Beate Zschäpe haben mit dazu beigetragen, dass das über 30 Jahre zurückliegende Attentat neu untersucht wird. Ulrich Chaussy: "Damals, 1980, waren die weitgehend gleichen Mechanismen des Wegschauens, des Ausblendens, des nicht wahrhaben Wollens, bereits voll entwickelt, die wir jetzt im Fall NSU mit Erschrecken und Scham erkennen."

Rückblick: Am 26. September 1980 explodierte vor dem Haupteingang des Oktoberfests eine Bombe und riss 13 Menschen mit in den Tod, darunter der Attentäter Gundolf Köhler. Die Behörden legten sich schnell auf einen Einzeltäter fest: Köhler soll den Anschlag allein geplant und durchgeführt haben. Alle Versuche des Journalisten Ulrich Chaussy, der damals für den Bayrischen Rundfunk arbeitete, mehr über die Hintergründe zu erfahren, wurden abgeblockt, die Ermittlungen schließlich eingestellt. Die Geschichte dieses beharrlichen und mutigen Journalisten erzählt der Film "Der blinde Fleck".

Daniel Harrich Interview

"Es hat wohl etwas mit unserer Vergangenheit zu tun"

Das Attentat gilt bis heute als schwerster terroristischer Anschlag in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte. Trotzdem ist es weit weniger im Gedächtnis der Deutschen als etwa die Terroranschläge der linksradikalen RAF. Doch Daniel Harrich warnt davor, allein schlampige Ermittler zu beschuldigen: "Auch wir Medien haben nicht nachgefragt." Natürlich habe auch er keine schlüssigen Antworten auf die Frage, wie das geschehen konnte. "Es ist wohl eine gesellschaftspsychologische Frage, es hat mit unserer Vergangenheit zu tun", mutmaßt der junge Regisseur.

Deutschland Filmfestival Max Ophüls Preis 2014 in Saarbrücken Filmszene Der blinde Fleck
Auf Recherche in München: Benno Fürmann als Journalist Ulrich Chaussy in einer FilmszeneBild: Filmfestival Max Ophüls Preis

Sind die deutschen Ermittlungsbehörden also auf dem vielzitierten rechten Auge blind? Der Film legt diese Vermutung nahe. Insbesondere der bayrische Verfassungsschutz hat versagt: "Der blinde Fleck" rückt den obersten bayrischen Staatschützer Hans Langmann ins Zentrum. Der musste damals Erklärungen liefern. Die These vom isolierten, psychisch angeschlagenen Einzeltäter wurde geboren.

Auseinandersetzung der politischen Lager

Eine breit angelegte rechtsterroristische Verschwörung passte nicht ins Bild der bayrischen Landesregierung unter Franz Josef Strauß (CSU). Ermittlungen gegen die rechtsnationale "Wehrsportgruppe Hoffmann" wurden nicht ausgeweitet, obwohl Köhler Mitglied der Gruppe war. Innenminister Gerhard Baum (FDP) hatte die Gruppe verboten. Strauß hingegen spielte die Bedeutung der paramilitärischen Vereinigung herunter: "Mein Gott, wenn ein Mann sich wünscht, am Sonntag auf dem Land mit Rucksack und einer geschlossenen Koppel spazieren zu gehen, dann soll man ihn gefälligst in Ruhe lassen" - so lautete das verharmlosende Fazit des CSU-Politikers damals im Wahlkampf gegen Kanzler Helmut Schmidt (SPD). Heute erhebt der ehemalige Chef der Wehrsportgruppe, Karl-Heinz Hoffmann, Vorwürfe gegenüber den Behörden, spricht von einem V-Mann innerhalb des bayrischen Verfassungsschutzes.

Gab es eine enge Verbindung zwischen bayrischem Verfassungsschutz und der rechten Szene, die außer Kontrolle geraten ist? Diese und andere Fragen stellt der Film von Daniel Harrich. Der Regisseur und sein Co-Autor Ulrich Chaussy können keine endgültigen Antworten geben. Viele lose Enden der Geschichte bleiben offen. Dafür fehlte die Einsicht in die Ermittlungsakten. Doch möglicherweise tut sich jetzt etwas - 34 Jahre nach dem Attentat.

Der Regisseur Daniel Harrich (Foto: Jochen Kürten)
Daniel Harrich in Saarbrücken beim Max Ophüls-PreisBild: DW/J. Kürten

Das Klima in Deutschland hat sich gewandelt. Auch weil die Mordserie der NSU den Menschen klar gemacht hat, dass all das nicht nur wegen einer Hand voll verrückter Einzeltäter passieren konnte - damals wie heute. Ulrich Chaussy ist Harrich dankbar für die Aufmerksamkeit, die den Fall jetzt wieder vorantreibt. Und für Harrich ist es ein Glück, dass sein Spielfilmdebüt für so viel Furore sorgt.

Der Film wurde gerade beim Max Ophüls-Preis (20.-26.1.2014) in Saarbrücken aufgeführt und läuft seit Donnerstag (23.1.2014) in den deutschen Kinos.