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Brasiliens tödlicher Schlendrian

Christina Weise/ Fernando Caulyt29. Januar 2013

Nach der Feuer-Katastrophe werden immer mehr Details enthüllt. Sicherheitsvorschriften seien nicht eingehalten worden. Experten bestätigen: schlecht durchgeführte Kontrollen sind in Brasilien nichts Ungewöhnliches.

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Einsatzkräfte vor brennender Diskothek (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Brasilien steht unter Schock. In der Nacht auf Sonntag kamen bei einer Studentenparty 231 Menschen ums Leben - die meisten durch Ersticken. In dem Nachtclub der Universitätsstadt Santa Maria im Süden des Landes war ein Feuer ausgebrochen. Die Band "Gurizada Fandangueira" hatte eine Leuchtfackel als pyrotechnische Show-Einlage entzündet, die offenbar den akustischen Dämmstoff der Decke in Brand setzte. Rasend schnell breiteten sich Flammen und hochgiftiger Rauch aus.

Nach und nach kommen immer mehr tragische Details ans Licht. Die Diskothek "Kiss", in der die Studentenparty stattfand, habe die Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten, heißt es. Feuerlöscher funktionierten nicht und der Besitzer habe keine gültige Zulassung besessen. Diese Tatsachen entsetzen die Öffentlichkeit, doch Experten zufolge sind diese Probleme in Brasilien weit verbreitet.

Ungültige Lizenz

Trauernde Jugendliche in St. Maria (Foto: picture alliance)
Mehr als 230 Menschen kamen ums Leben - Hunderte sind noch in den KrankenhäusernBild: picture alliance/ZUMA Press

"Die Kontrollen brasilianischer Diskotheken und Bars sind unzureichend. Mancherorts werden sie gar nicht durchgeführt. Das muss sich in Zukunft bessern", fordert José Roberto Bernasconi, Präsident der Architekten- und Ingenieurgewerkschaft in São Paulo (SINAECO).

Die Zulassung des Diskothekenbesitzers war bereits 2012 ausgelaufen und bisher nicht erneuert worden. "Die Stadtverwaltung stellt die Zulassung aus. Doch vorher prüfen Feuerwehr und andere Institutionen das Gebäude", erklärt Bernasconi.

Doch diese Kontrollen werden nicht immer pflichtbewusst durchgeführt. "Das, was in Santa Maria passiert ist, kann überall geschehen", sagt der Gewerkschafter. Die vielen Gemeinden in Brasilien sind oftmals schlecht strukturiert und beschäftigen unzureichend geschulte Mitarbeiter, die nicht darauf vorbereitet sind, Neubauten zu kontrollieren und die Nutzungsbedingungen eines Gebäudes zu überwachen. "Es müsste eine regelmäßige Überprüfung aller vergebener Lizenzen durch Fachpersonal geben", fordert Bernasconi.

"Falsche Organisation"

Feuerwehrmänner vor der brennenden Diskothek 'Kiss' (Foto: Reuters)
Feuerwehrmänner versuchen in die brennende Diskothek vorzudringenBild: Reuters

Agostinho Guerreiro, Präsident des Architekten- und Ingenieur-Verbandes (CREA) in Rio de Janeiro, sieht das Hauptproblem in der Organisation von Feiern: "Natürlich müssen die Kontrollen verschärft werden. Aber vor allem müssen die Vorbereitungen eines Events besser werden. Es muss geklärt werden, ob Feuer bei einer Show genutzt wird und daraufhin müssen dann entsprechende Vorkehrungen getroffen werden. Außerdem muss man die Notausgänge testen. Es ist bedauerlich, dass dies noch nicht selbstverständlich ist."

In der Diskothek "Kiss" war nicht nur das Dämmmaterial entflammbar, auch die Sicherheitskräfte waren auf eine solche Situation nicht vorbereitet. Menschen wurden anfangs sogar am Verlassen der brennenden Diskothek gehindert, weil man von ihnen verlangte, zuerst ihre Rechnung zu bezahlen. In Brasilien wird normalerweise niemand aus dem Club gelassen, der nicht seine Getränke und Speisen bezahlt hat.

"Dies zeigt die mangelnden Vorbereitungen der Sicherheitskräfte und des gesamten Clubs. Hätte es zudem einen gut ausgearbeiteten Fluchtplan gegeben, wäre es wahrscheinlich nicht zu einer Tragödie dieses Ausmaßes gekommen", meint der Präsident des CREA.

Kinos, Theater und Fußballstadien in Brasilien seien - so Guerreiro - viel besser vorbereitet und organisiert - sie hätten bereits aus den Fehlern in der Vergangenheit gelernt. "Dabei müssten besonders dort, wo alkoholische Getränke ausgeschenkt werden und viele Jugendliche zusammenkommen, geschulte Fachkräfte vor Ort sein", fordert er.

Strenge Vorschriften, lasche Handhabung

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff (r.) mit Angehörigen (Foto: Reuters)
Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff tröstet Angehörige von Opfern in Santa MariaBild: Reuters

Es ist nicht so, dass es in Brasilien keine Vorschriften gäbe. Die zur Verhütung und Bekämpfung von Bränden sind sogar sehr strikt. Das brasilianische Institut für Normung (ABNT) zählt mehr als 60 Regeln, die während der Errichtung eines Gebäudes befolgt werden müssen.

"Es darf beispielsweise nicht nur einen einzigen Ausgang geben, es müssen auch Notausgänge oder Fluchttüren vorhanden sein. Es ist sinnvoll, mindestens einen zusätzlichen Ausgang zu haben, der groß genug für die Anzahl von Menschen ist, die normalerweise in dem Gebäude sind", erklärt Bernasconi. In der Realität sieht dies allerdings anders aus: Die Diskothek "Kiss" hatte nur einen einzigen Notausgang und der soll angeblich verschlossen gewesen sein.