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Brasilien will unabhängig von Ölimporten werden

Jan D. Walter25. September 2013

Vor Brasiliens Küste liegen riesige Ölfelder. Mit ihrer Ausbeutung könnte Brasilien zu einem bedeutenden Öl-Exporteur werden. Doch um unabhängig vom Ausland zu werden, braucht das Land Raffinerien.

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Ölbohrplattform 175 Kilometer vor der Küste Brasiliens, wo mehrere Milliarden Barel Öl vermutet werden. (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Sogar die NSA soll sich für die brasilianischen Ölvorkommen interessieren, die direkt vor der Küste des Bundesstaates Rio de Janeiro liegen. So zumindest interpretieren Beobachter die mutmaßliche Spionage des US-Geheimdienstes gegen Brasiliens halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras.

Auch wenn Präsidentin Dilma Rousseff bei Ihrer Eröffnungsrede zur Vollversammlung der Vereinten Nationen am Dienstag (24.09.2013) nicht explizit auf die Industriespionage einging, als sie das Vorgehen der NSA als Verletzung des Internationalen Rechts rügte - die sensiblen Daten über die noch nicht vollständig erforschten Erdöllagerstätten sind durchaus von nationalem Interesse. Doch um Brasiliens Unabhängigkeit in der Energieversorgung zu erreichen, geht es mehr um die Weiterverarbeitung als die Ressource selbst.

Zucker und Wasser reichen nicht

Der Wunsch Brasiliens, unabhängig von ausländischen Energielieferungen zu sein, ist alt: Bereits Anfang der 70er Jahre begann das herrschende Militärregime alternative Energiequellen zu erschließen: Nuklearenergie, die bis heute in Brasilien kaum eine Rolle spielt, und vor allem Wasserkraft. 1974 begann man gemeinsam mit Paraguay den Bau des Itaipu-Staudamms mit dem bis heute zweitgrößten Wasserkraftwerk der Welt. 2012 kamen 77 Prozent des in Brasilien verbrauchten Stroms aus Wasserkraft.

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Erneuerbare Energie spielt in Brasilien eine große Rolle, doch Erdöl ist wichtigster Energieträger des Landes

Am Energieverbrauch insgesamt jedoch beträgt der Anteil aller erneuerbaren Energien - allen voran Zuckerrohr als Biomasse und Ethanol - nur 42 Prozent. Das ist im internationalen Vergleich ein Spitzenwert. Doch etwa genauso viel Energie gewinnt Brasilien aus Erdöl und Derivaten wie Schweröl, Diesel, Benzin und Kerosin. Und der Konsum wächst - vor allem der von Flüssigtreibstoff.

Steigender Konsum erschwert Unabhängigkeit

"Insbesondere im Transportsektor gibt es derzeit keine echte Alternative zu Verbrennungskraftstoffen", erklärt Waldyr Gallo, Energieexperte von der Universität Unicamp. Und der verschlingt in Brasilien allein ein Drittel der Energie. Denn mit dem sozialen Aufstieg von Millionen Brasilianern in die Mittelschicht wächst auch die Pkw-Flotte, viele Brasilianer arbeiten nicht in der Stadt, in der sie leben - teilweise pendeln sie sogar per Flugzeug. Zugverbindungen spielen in Brasilien praktisch keine Rolle.

"Zwischen 2003 und 2007 konnte Brasilien seinen Bedarf an Erdöl und Derivaten aus eigener Produktion decken", berichtet Gallo. "Danach hat der Konsumanstieg den Import von Erdölderivaten erforderlich gemacht."

Ein moderner Nahverkehrsbus an einer Haltestelle in Rio de Janeiro (Foto: CDURP)
Der öffentliche Personenverkehr in Brasilien ist stark auf Treibstoffe angewiesenBild: CDURP

Neue Raffinerien braucht das Land

Nach wie vor fördert Brasilien etwa genauso viel Erdöl, wie es verbraucht. Doch obwohl Diesel Sojaöl und Benzin Ethanol beigemischt wird, reichen die Kapazitäten der Raffinerien nicht aus, um genügend Treibstoff herzustellen. Da das Angebot von Bio-Diesel und Ethanol von den Weltmarktpreisen für die Lebensmittel Soja und Zucker abhängt, braucht Brasilien also neue Raffinerien, um sicher zu gehen, seinen Kraftstoffkonsum aus eigenen Quellen bestreiten zu können.

Der größte Ölkonzern des Landes Petrobras plant deshalb die bestehende Kapazität von zwei Millionen Barrel pro Tag deutlich auszubauen. Allein bis 2017 sollen pro Tag 995.000 Barrel mehr verarbeitet werden können. Im Jahre 2020 soll sich Brasilien nach den Plänen des Energieriesen selbst mit allen Treibstoffen versorgen können.

Stille Reserven für die Zukunft

Die energetische Autarkie Brasiliens hängt also zunächst maßgeblich von der Fähigkeit ab, Erdöl zu verarbeiten. Doch auf lange Sicht werden natürlich auch die Öl-Reserven des Landes entscheidend sein. Die letzten Jahre geben Brasilien Grund auf anhaltende Unabhängigkeit zu hoffen: In der Tiefsee vor der Südostküste, nahe den Wirtschaftszentren Rio de Janeiro, Belo Horizonte und São Paulo wurden die riesigen Öllagerstätten Pré-Sal und Pós-Sal ausgemacht. Schätzungen zufolge lagern dort 80 Milliarden Barrel Öl - das sechsfache der bisher nachgewiesenen Vorkommen im Land.

Reserven ausgewählter Länder nach Weltrang in Mrd. Barrel und mit Anteil an Welt-Reserven: 1. Venezuela 297,6 17,8% 2. Saudi Arabien 265,9 15,9% 3. Kanada 173,9 10,4% 4. Iran 157 9,4% 5. Irak 150 9,0% 8. Russland 87,2 5,2% 9. Brasilien geschätzt 80,0 4,8% 11. USA 35,0 2,1 14. China 17,3 1,0% 15. Brasilien gesichert 15,3 0,9% "Quelle: BP Statistical Review of World Energy June 2013" und Coppe/UFRJ --- 2013_09_25_ölreserven_ausgewählte_länder.psd
Bestätigt ist erst ein Bruchteil der brasilianischen Ölvorkommen. Wenn die Schätzungen über die Gesamtgröße der Reserven stimmen, hat das Land die neuntgrößten Reserven der Welt

Gut möglich also, dass sich die NSA genau darüber bei Petrobras schlau machen will, meint der Schweizer Meeresgeologe Gregor Eberli von der Universität Miami: "Schließlich sind das die aufregendsten Ölfunde der letzten zehn Jahre."

Derzeit läuft die Ausschreibung für die Ausbeutung des ersten Abschnitts namens "Libra", in dem allein bis zu 13 Milliarden Barrel lagern sollen. Mit der Erschließung dieser Ölfelder, glaubt der brasilianische Energieexperte Gallo, könnte für Brasilien sogar noch etwas mehr als Autarkie drin sein: "Ich schätze, Brasilien wird ab 2020 eine signifikante Menge Öl auf dem Weltmarkt anbieten."