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Bosnien: Der Kampf ums wirtschaftliche Überleben

16. Juli 2009

Spät hatte die Aufholjagd der bosnisch-herzegowinischen Wirtschaft begonnen. Die Wirtschaftskrise hat die Erfolge zum großen Teil zunichte gemacht.

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Zerklüftetes Bosnien und Herzegowina

In der städtischen Markthalle von Banjaluka, im Westen Bosnien-Herzegowinas, gibt es Saisongemüse aus heimischem Anbau und importiertes Obst. Verkäuferin Mica hat alles fein säuberlich sortiert: „Die Möhren kosten zwei Mark, Bohnen zwischen dreieinhalb und acht, Knoblauch und Zwiebeln fünf bis sechs, der Kohl 1 Mark 30 pro Kilogramm.“ Die konvertible Mark ist seit dem Ende des Bosnienkrieges vor mehr als einem Jahrzehnt die offizielle Währung des Landes. Ihr Wert entspricht der guten alten D-Mark, sprich einem halben Euro. Eigentlich sind die Preise von Mica moderat, doch trotzdem schauen bei ihr und den anderen Marktfrauen kaum Kunden vorbei: „Auf diesem Markt war früher immer sehr viel los. Heute geht schon mal eine ganze Stunde vorbei, ohne dass man etwas verkauft. Auch ich habe es nicht leicht. Die Lage ist extrem schwierig.“

Knapp 1.200 Mark beträgt das Brutto-Durchschnittsgehalt in Bosnien. Das gilt für diejenigen, die überhaupt Beschäftigung haben. Ein Viertel der arbeitsfähigen Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina hat nämlich überhaupt keinen Job. Andere arbeiten schwarz und so kommt es, dass die offizielle Statistik eine Arbeitslosigkeit von 40 Prozent ausweist.

Finanzkrise hat Aufholjagd gestoppt

In Banjaluka sind die Gehälter und die Beschäftigtenquote vergleichsweise höher als anderswo im Land. Dabei begann die wirtschaftliche Transformation in der Serbenrepublik in Folge des Krieges erst spät. Anders in Sarajewo: Die Hauptstadt erlebte den nachhaltigsten Aufschwung. Die alte Handelsmetropole und ihre berühmten Altstadtgassen füllten sich schnell mit Leben trotz vieler Narben kriegsbedingter Zerstörung. Von 2000 bis 2007 legte die Wirtschaft in Bosnien-Herzegowina um bis zu sieben Prozent pro Jahr zu, gemessen an der allerdings kriegsbedingt niedrigen Wirtschaftsleistung zu Anfang der 90er Jahre. Damit liegt die bosnisch-herzegowinische Wirtschaft in Sachen Wachstum immer noch hinter den erfolgreichen Transformationsstaaten. Sie haben im gleichen Zeitraum um bis zu neun Prozent zugelegt. Dann kam die Weltfinanzkrise.

Pleitewelle und Arbeitsplatzabbau

Vor allem der sich zuletzt gut entwickelnde Export ist hart getroffen, sagt der renommierte Wirtschaftwissenschaftler Fikret Causevic aus Sarajewo. „An erster Stelle lag die Eisen- und Stahlindustrie, die von 2003 auf 2008 den Wert ihrer Ausfuhren von 170 Millionen auf 930 Millionen Mark steigern konnte. An zweiter Stelle sind die Produzenten von Haushaltsgroßgeräten zu nennen, die im gleichen Zeitraum das Exportvolumen von 170 Millionen auf 780 Millionen Mark steigerten. An dritter Stelle lag die Aluminiumproduktion, die auch unter dem Strich viel mehr Waren aus- als einführte.“ Doch nun muss Bosnien-Herzegowina den Einbruch beim Export sowie den Ausfall ausländischer Investitionen verkraften. Kleine und mittlere Betriebe gingen bankrott. Jeden Monat würden mehrere tausend Menschen arbeitslos. Wie viele genau, dazu gibt es keine Statistik.

Bürokratie und Korruption

Die ineffiziente Bürokratie macht es besonders schwer, die Probleme zu lösen. Die Zentralregierung hat so gut wie keine Befugnisse – eine Hinterlassenschaft der ethnischen Teilung nach dem Krieg. Die eigentliche Macht liegt bei den Regierungen der beiden Landesteile der so genannten Entitäten, der Serbischen Republik und der Bosniakisch-Kroatischen Föderation, die zudem in Kantone unterteilt ist.

Der ehemalige Ministerpräsident der Föderation, Nedzad Brankovic, erläutert, wie er mit einem Sofort-Maßnahmen-Paket gegen die Wirtschaftskrise vorgehen würde: „Wir würden die Gesetze teilweise ändern, um die Wirtschaft zu entlasten. Die Arbeitgeber wünschen sich ein Eingreifen des Staates zugunsten des Erhalts von Arbeitsplätzen. Die öffentliche Hand muss auch selbst mehr investieren, um die verlorenen Exportmärkte zu ersetzen. Für mehr öffentliche Ausgaben werden wir eigene Mittel und die der internationalen Finanzinstitutionen einsetzen.“ Doch derzeit kann Brankovic nicht mehr tun, als Pläne schmieden, denn ausgerechnet gegen ihn wurde im Juni Anklage erhoben. Er soll als Abgeordneter und Manager eines Staatskonzerns insgesamt 250.000 Mark bei einem privaten Immobilienkauf veruntreut haben. Seinen Rücktritt hat er inzwischen eingereicht, angeblich auch deshalb, weil er auf einen höheren Kredit des Internationalen Währungsfonds gehofft hatte. Der IWF gewährt Bosnien-Herzegowina einen Notkredit von 1,2 Milliarden Euro unter der Bedingung, dass Sarajewo die Staatsausgaben kürzt.

Gegen den Regierungschef der Serbischen Republik, Milorad Dodik, wird ebenso ermittelt – wegen Vetternwirtschaft. Es geht um knapp 60 Millionen Euro, angeblich veruntreut beim Bau des neuen Regierungssitzes in Banjaluka.

Kampf ums wirtschaftliche Überleben

Summen, bei denen kleine Leute wie Stanisa die Nullen zählen müssen. Stanisa ist als Handwerker bei einer inzwischen insolventen Warenhauskette angestellt: „Ich habe die letzten 13 Monatsgehälter nie bekommen. Auch die davor musste ich einklagen. Ansonsten mache ich ab und zu Mal was privat.“ Man komme über die Runden, meint Stanisa. Schlimm sei aber, dass keine Sozial- und Rentenversicherungsbeträge mehr eingezahlt würden. Arztbesuche muss Stanisa meistens aus der eigenen Tasche zahlen. Seine Kollegin Sneza resigniert: „Das ist kein Leben hier, es geht nur ums Überleben.“

Autor: Filip Slavkovic

Redaktion: Birgit Görtz