1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Blutige Eskalation in Kambodscha

Robert Carmichael | ef | re3. Januar 2014

Der Konflikt zwischen Textilarbeiten und Regierung spitzt sich weiter zu. Bei neuen Protesten erschoss die Polizei drei Demonstranten. Die Arbeiter fordern höhere Löhne - und den Rücktritt von Premierminister Hun Sen.

https://p.dw.com/p/1AkiN
Mit Stöcken bewaffnete und teilweise Mundschutz tragende Textilarbeiter auf einer verqualmten Straße in Phnom Penh (Foto: REUTERS/Samrang Pring)
Bild: Reuters

Mit Sturmfeuergewehren ging die Militärpolizei am Freitag (03.01.2014) gegen die mit Benzinbomben und Stöcken bewaffneten Demonstranten vor, schoss in die Menge. Dabei wurden nach Polizeiangaben drei Menschen getötet.

Die Textilarbeiter verlangen eine Verdopplung ihres Monatslohns auf 160 US-Dollar. Dafür gehen tausende Kambodschaner seit Mitte Dezember immer wieder auf die Straße. Die Regierung ihrerseits bietet aber nur eine Erhöhung um 25 Prozent an. Viel zu wenig, finden die Gewerkschaften und die Betroffenen.

Viele Fabriken sind wegen der Streiks geschlossen. Die anhaltenden Proteste stellen für das arme südostasiatische Land mehr und mehr ein Problem dar. Denn der Textilsektor ist eine wichtige Devisenquelle für Kambodscha. Etwa eine halbe Million Menschen sind in der Branche tätig. Die Mehrheit näht für internationale Modemarken wie beispielsweise Gap, Nike oder H&M.

Arbeitskampf und politischer Aufstand

Verkompliziert wird die Lage dadurch, dass es sich nicht um einen reinen Arbeitskampf für Lohnerhöhungen handelt, sondern zugleich um einen Machtkampf zwischen Regierungspartei und Opposition.

Textilarbeiter werden von Militärpolizei abgeführt (Foto: REUTERS/Samrang Pring)
Mehrere hundert Militärpolizisten gingen am Freitag gewaltsam gegen die Demonstranten vorBild: Reuters

Oppositionschef Sam Rainsy hatte auch schon am Sonntag (29.12.2013) einen friedlichen Protestmarsch angeführt. Bevor dieser begann, erklärte Rainsy seinen Anhängern im Freiheits-Park der Hauptstadt, dass die Regierung um Premierminister Hun Sen illegal sei. Er wirft der Regierungspartei Betrug bei den Wahlen im vergangenen Sommer vor. Den Textilarbeitern sagte er: "Hun Sen wird unsere Forderungen hören. Er kann nichts gegen den Willen des kambodschanischen Volkes tun!"

Die Angestellten des Textilsektors gehören zu den Stammwählern von Rainsys "Cambodia National Rescue Party" (CNRP). Die CNRP hatte im Vorfeld der Wahlen versprochen, die Mindestlöhne in der Branche zu verdoppeln. Bei der Parlamentswahl im Juli 2013 hatte die CNRP den Sieg nur knapp verpasst. Seitdem kämpft sie gegen die Regierung.

Schicksal der Näherinnen

Das hat auch die 35-jährige Näherin Touch überzeugt. Seit zehn Jahren näht sie Jeans für die amerikanische Firma Levi Strauss. Aber jetzt ist sie auf die Straße gegangen. Das Gehalt ihres Mannes und ihr eigenes reichten einfach nicht mehr aus, um ihre zwei Kinder in der Hauptstadt zu ernähren, sagt sie.

Touch will zwei Ziele erreichen: "Erstens: Der Mindestlohn muss auf 160 Dollar steigen. Zweitens: Premierminister Hun Sen muss zurücktreten." Touch wartet auf eine Einigung zwischen der Regierung und den Gewerkschaften. Zwar haben sich Vertreter beider Tarifparteien mehrmals getroffen, aber eine Einigung konnte bisher nicht erzielt werden.

Stillstand der Industrie

So lange bleiben weite Teile der kambodschanischen Textilindustrie geschlossen. Der Verband der Bekleidungshersteller Kambodschas (GMAC), der etwa 470 Produzenten und Exporteure vertritt, veröffentlichte am Montag (30.12.2013) ganzseitige Anzeigen in den Zeitungen des Landes. Darin hieß es, dass es unter den momentan herrschenden Umständen unmöglich sei, den Betrieb fortzusetzen.

Textilarbeiterinnen in einer Reihe mit einem langen Transparent in den Händen (Foto: Robert Carmichael / DW)
Auch am vergangenen Wochenende kam es in Phnom Penh zu DemonstrationenBild: DW/R. Carmichael

GMAC beschuldigt sechs unabhängige oder mit der Opposition verbündete Gewerkschaften, für die Lage verantwortlich zu sein. Die Gewerkschafter schüchterten Arbeiter ein und zerstörten Fabrikeigentum. GMAC kritisiert auch das Arbeitsministerium, da es nicht in der Lage sei, die Gewerkschaften zu bändigen. "Wir wollen, dass die Gewerkschaften und das Ministerium unser Eigentum schützen und die Sicherheit derjenigen Arbeiter garantieren, die arbeiten wollen." GMAC fügte hinzu, dass sie die Gespräche mit der Regierung und den Gewerkschaften erst dann wieder aufnehmen würde, wenn diese Forderungen erfüllt seien.

Andere regierungsnahe Gewerkschaften kündigten an, in den kommenden Tagen eigene Proteste zu organisieren. Sie sagten, dass nicht alle Textilarbeiter den Arbeitskampf unterstützten. "Die Arbeiter, die nicht an den Protesten teilgenommen haben, sind erzürnt, da sie kein Gehalt bekommen. Sie werden gegen die Oppositionspartei und deren Anhänger protestieren", so Chuon Momthol, der Präsident der Kambodschanischen Gewerkschaftsvereinigung, gegenüber der Tageszeitung Phnom Penh Post. "Wenn die Investoren oder die Fabrikbesitzer der Textilbranche den Rücken kehren, werden nicht die Vertreter der Opposition hungern, sondern die Arbeiter."

Breite Unterstützung

Ou Virak, der Präsident der NGO Cambodia Center for Human Rights sagte, dass die Proteste vom Sonntag (29.12.2013) ein ermutigendes Zeichen seien, da sie einen Querschnitt der kambodschanischen Gesellschaft repräsentierten.

Sam Rainsy (Mitte) und sein Stellvertreter Kem Sokha winkend auf einem Wagen auf dem Monivong Boulevard in Phnom Penh (Foto: Robert Carmichael / DW)
Oppositionsführer Sam Rainsy (Mitte) und sein Stellvertreter Kem Sokha bei den Demonstrationen am WochenendeBild: DW/R. Carmichael

Viele Kambodschaner halten ihre Kritik an der korrupten Regierung nicht länger zurück. "Und ich denke, das ist gut so", sagt Virak. Die breite öffentliche Bewegung der Bürger sei ein machtvolles Mandat für die Opposition. Der Schlüssel sei es, zum Verhandlungstisch zurückzukehren, so Virak. Aber die Opposition sei gut beraten, wenn sie die Proteste fortführe, nur so könne sie aus einer Position der Stärke verhandeln.

"Allerdings muss die Opposition mit ihren Forderungen im Rahmen bleiben", sagt Virak: Wenn der Oppositionsführer Sam Rainsy die Arbeiter dazu aufruft, so lange zu streiken, bis der Mindestlohn auf 160 US-Dollar erhöht worden ist, dann könnte das Investoren abschrecken.

Mit Blick auf die Regierungspartei sagte Virak, dass der Premierminister Hun Sen begreifen müsse, "dass seine Beliebtheit nicht so hoch ist, wir er bisher immer gedacht hat. Hun Sen sollte eine Exit-Strategie und einen Nachfolger suchen. Sollte das gelingen, so könnte die Regierungspartei CPP einige echte Reformen durchsetzen."