1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Türkische Blogs

Selcuk Oktay / bg12. September 2012

Die Bloggerszene in der Türkei wächst rasant. Über vieles wird geschrieben: Fotografie, Essen, Mode oder Reisen. Doch wer politische Inhalte veröffentlichen möchte, hat es nicht leicht. Viele sprechen sogar von Zensur.

https://p.dw.com/p/167U4
Symbolbild Blog, Blogging Internet
Bild: Fotolia/Claudia Paulussen

Der junge türkische Journalist Selcuk Oktay ist ein intensiver Beobachter der Bloggerszene in der Türkei. In seinem eigenen Blog geht er auf politische, wirtschaftliche und kulturelle Themen ein. Gleichzeitig bereichert er sein Wissen über die deutsch-türkischen kulturellen Beziehungen durch die Auseinandersetzung mit Blogs deutscher und türkischer Kulturschaffender. Sein besonderes Interesse an Deutschland bescherte ihm ein Stipendium des Johannes-Rau-Programms der IJP mit einem Gastaufenthalt in der Deutschen Welle zur näheren Erforschung Deutschlands. Dabei richtet sich sein Augenmerk auf den Beitrag türkischer Unternehmer zur Förderung der Integration. In seinem Beitrag für den deutsch-türkischen Kulturtreffpunkt behandelt er die Entwicklung der Bloggerszene in der Türkei unter Hervorhebung von Kulturblogs.

Viele Menschen in der Türkei verbinden literarisches Schreiben immer noch mit klassischen Methoden wie dem handschriftlichen Schreiben. Der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk eröffnete zum Beispiel ein Museum zu seinem Werk "Masumiyet Müzesi" ("Das Museum der Unschuld"). Dort präsentiert er unter anderem seine Handschriften, die während der Schreibphase des Buches entstanden sind. Die in der Türkei neu aufkommenden Literaturblogs stellen inzwischen eine Alternative zu den klassischen Arbeitsweisen dar. Dr. Özgür Uçkan, Lehrbeauftragter an der Bilgi Universität in Istanbul, bemerkt, dass wo früher gerne auf populäre Literaturfachzeitschriften zurückgegriffen wurde, sich heutzutage Literaturblogs zu wichtigen Quellen und Verbreitungswegen von Literatur entwickelt haben.

Denn obwohl auch in der Türkei Social Media immer stärker genutzt wird, steigt auch gleichzeitig die Zahl an Literatur- und Lifestyleblogs stetig an.

Prof. Dr. Asli Tunç, Direktorin des Fachbereichs für Medien an der Bilgi Universität, ist eine der Autorinnen des Buches "Blogdan Al Haberi" ("Lass dich von Blogs informieren"). Sie stellt heraus, dass in der Türkei ein regelrechter Boom an Reise-, Mode-, Gastronomieblogs zu verzeichnen ist. Tunç fügt hinzu: "Ich kann behaupten, dass diese Blogs die ganze türkische Blogwelt ausmachen. Es gibt viele Blogger im Bereich Lifestyle, die ziemlich bekannt sind und die eine große Leserschaft haben."

Der Einfluss von Social Media

Tunçs Aussagen lassen sich durch eine Statistik belegen: Comscore.com, ein führender Dienstleister im Bereich der Messung digitaler Inhalte, publizierte eine Statistik, die Überraschendes zutage fördert. Die Türkei belegt im Rahmen eines weltweiten Ländervergleichs den vierten Platz auf einer Liste, in der der Anteil der Internetnutzer in den einzelnen Ländern ermittelt wird. Laut besagter Untersuchung greifen seit Juni 2011 81,9 Prozent der Internetnutzer auf unterschiedliche Blogs zu. Dies sind umgerechnet ca. 19,5 Millionen Nutzer. Ohne Zweifel sind die hohen Zugriffszahlen mit ein Grund für den Aufschwung der Blogs.

Die steigende Zahl der Blogger und somit die der Blogleser verlaufe parallel zum globalen Trend, betont Dr. Özgür Uçkan. Die Türkei hat im weltweiten Vergleich eine hohe Zahl an Social-Media-Nutzern. Es wird davon ausgegangen, dass diese sich positiv auf die Bloggerszene im Land auswirken wird.

Dr. Özgür Uçkan, Dozent an der Bilgi-Universität in Istanbul. Experte für Kommunikation-, und Social Media.
Bild: Özgür Uçkan

Die türkische Gesellschaft bewegt sich, so die Feststellung von Prof. Dr. Aslı Tunçs, mit hohem Tempo weg von einem Blogzeitalter hin zu einer Ära der Mikroblogs. Das beträchtliche Interesse an Social Media beeinflusst dabei in positiver Weise den Aufschwung der Blogkultur.

Dr. Özgür Uçkan erklärt das wie folgt: "Es muss erwähnt werden, dass Internetnutzer vermehrt Social Media nutzen, da es ihnen auf diese Weise möglich ist, ihre Meinung in Echtzeit mit mehreren Menschen zu teilen. Zum einen lässt dies Blogs in schlechtem Licht erscheinen, da sie nicht so schnell aktualisiert werden wie Social Media. Zum anderen hat es Auswirkungen auf die Entstehung neuer Blogs. Der Social Media Trend bedeutet eben nicht das Ende der Blogs, denn diese haben ihre eigenen Charakteristika, wie zum Beispiel vertiefte Analysen oder Inhalte. Zudem ist es möglich, Bloginhalte über Social Media zu teilen und somit größere Massen zu erreichen."

Zensur blockiert Blogger

Neben den genannten positiven Entwicklungen sollten auch die negativen Aspekte der türkischen Bloggerszene betrachtet werden. Zum einen gibt es die Zensur durch die Behörden, zum anderen entsteht durch diese staatliche Regulierung zunehmend Angst unter den politischen Bloggern mit Folgen rechnen zu müssen. Die Zensur schränkt die Freiheit der digitalen Welt ein und stellt eines der grundlegenden Hindernisse für die (Weiter-)Entwicklung von Blogs in der Türkei dar.

Firat Can Tokuri schreibt in Literaturblogs und ist einer der Vertreter der Bewegung mit dem Namen "Berühr-nicht-mein-Internet". Tokuri erklärt, dass die Zensur zwar einerseits die Veröffentlichungen in Blogs beeinträchtigt, andererseits aber auch ernstzunehmenden Widerstand in der Gesellschaft erzeugt. Die Bewegung konnte zum Beispiel mit wenigen Aufrufen über das Internet mehrere tausend Menschen zum Protest gegen Zensur auf die Straße bringen.

Im Zuge des arabischen Frühlings behandeln viele Blogs in der Türkei vermehrt politische Inhalte, hebt Dr. Özgür Uçkan hervor. Gerade diese Blogs wären am stärksten von der Zensur betroffen. Uçkan fügt ergänzend hinzu: "Im Hinblick auf Internetzensur steht die Türkei leider ziemlich schlecht da. Es gibt einige Gesetze, die den Zugang zu tausenden Internetseiten verhindern - zum Beispiel das türkische Gesetz Nr. 5651 mit dem Namen 'Regelung von Veröffentlichungen im Internet und der Verhinderung von Verbrechen, die durch solche Veröffentlichungen begangen werden', sowie das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus oder auch das türkische Strafrecht. Selbst weltweit berühmte Blogplattformen wie wordpress.com oder blogspot.com können in der Türkei teilweise nicht erreicht werden. Das Problem ist nicht allein die Zensur, sondern es zeigt sich leider immer wieder, dass Blogger wegen ihrer oppositionellen Meinung strafrechtlich verfolgt oder verhaftet werden. Diese Maßnahmen von staatlicher Seite sollen dazu dienen, Angst zu schüren. Leider bleibt das nicht ohne Wirkung, denn immer mehr Blogger oder Internetnutzer haben schon 'die Schere im Kopf' und erlegen sich Selbstzensur auf."

Doch trotz Zensur und Regulierungsmaßnahmen gibt es in der Türkei immer mehr Blogs, besonders in den Bereichen Lifestyle, Kunst und Kultur. Unabhängige Nachrichtenblogs gibt es jedoch so gut wie überhaupt nicht.