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Blau ist die Hoffnung

Ludger Schadomsky, Mitarbeit: Tedla Fantaye23. Mai 2015

Äthiopien wählt an diesem Sonntag ein neues Parlament. Schon jetzt steht fest: Die autoritäre Regierungskoalition wird wieder gewinnen. Doch eine neue Oppositionspartei will endlich Farbe in die Politik bringen.

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Wahl in Äthiopien (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/C. Frentzen

Die Semayawi-Partei ist Äthiopiens jüngste und mit Abstand frechste Oppositionspartei. "Semayawi" ist das amharische Wort für "blau". Die Farbe symbolisiert Hoffnung - in Äthiopien, dem Quellland des Blauen Nils. Inspirieren lassen haben sich die Gründer von den politischen Umwälzungen des sogenannten Arabischen Frühlings.

Wie aus dem Nichts gelingt es den "Blauen", tausende Menschen für friedliche Märsche auf die Straße zu bringen - trotz der vielen Sicherheitskräfte, die für ihr hartes Vorgehen gegen Demonstranten bekannt sind. Worauf beruht also die Anziehungskraft der Semayawi-Partei? "Viele Politiker in Äthiopien, ob in der Regierung oder Opposition, betrachten Politik von einer althergebrachten ethnozentrischen Warte aus", erklärt Generalsekretär Yilkal Getnet, "aber wir sind ein junges Land: 70 Prozent der Menschen sind unter 35 Jahre alt. Diese Bevölkerungsgruppe muss in der politischen Arena vertreten sein. Wir benötigen deshalb einen neuen Stil in der politischen Auseinandersetzung - lebendig, tatkräftig und an praktischer Umsetzung orientiert." Mit der Ankündigung, Politik sichtbar zu gestalten, rennen die Blauen offene Türen ein - vor allem bei Äthiopiens jungen Wählern in der Hauptstadt Addis Abeba.

Wirtschaftsboom - aber keine politische Öffnung

Bis zum Jahr 2025 will Äthiopien in die Riege der Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen ("middle income countries", MICs) aufgerückt und damit auf Augenhöhe mit Staaten wie Ägypten und China sein. Darauf zielen auch die ambitionierten, Sowjet-inspirierten Fünf-Jahres-Wachstumspläne ab. Sie werden vom allmächtigen Politbüro der seit 1991 regierenden Vierparteienkoalition EPRDF verabschiedet.

In Addis Abeba wachsen verspiegelte Wolkenkratzer in die Höhe, kilometerlange Staus im Shopping-Distrikt Bole zeugen von der Kaufkraft einer wachsenden Mittelklasse. Während die Regierung in diesen Tagen die Einweihung der 390 Millionen Euro teuren Stadtbahn feiert, fragt sich die Mehrheit der vier Millionen Hauptstädter, wie sie wohl das Geld für den Fahrschein aufbringen soll. Explodierende Lebenshaltungskosten, akute Wohnungsnot und hohe Arbeitslosigkeit lassen Äthiopiens junge Generation an der Nachhaltigkeit des Aufschwungs zweifeln.

Straßenbahn in Addis Abeba (Foto: Yohannes Gebreegziabher/DW)
390 Millionen Dollar für die StadtbahnBild: DW/Y. Gebreegziabher

Boom hier - Buh dort

Anders als die Wirtschaft und die wachsende geostrategische Bedeutung der selbsternannten Hegemonialmacht am Horn von Afrika macht die politische Öffnung eher Rückschritte. Nirgendwo in Afrika sind mehr Journalisten inhaftiert, auf der Liste der zehn Länder mit der härtesten Zensur weltweit belegt Äthiopien heute Platz vier. Gerade jährte sich die Verhaftung der sogenannten Zone9-Blogger, einer Gruppe von sechs Online-Journalisten, die in ihren Blogs auf soziale und politische Missstände aufmerksam machten. Ihnen drohen unter dem drakonischen äthiopischen Anti-Terror-Gesetz langjährige Haftstrafen.

"Es gibt keinen Zweifel, dass Äthiopien große wirtschaftliche Fortschritte gemacht hat", sagt Awol Allo, der an der London School of Economics zum Thema Menschenreche in Äthiopien forscht, "aber zugleich agiert die Regierung sehr repressiv und versucht, alle Kritiker mundtot zu machen - Oppositionspolitiker, Journalisten, Blogger und Stimmen der Zivilgesellschaft".

Die Europäische Union, traditionell ein großer Entwicklungspartner Äthiopiens, scheint das ähnlich zu sehen. Ana Gomes leitete bei der Wahl 2005, die vom Tod von knapp 200 Demonstranten überschattet wurde, die EU-Wahlbeobachtermission in Äthiopien. Heute sitzt sie für die Sozialdemokraten im Europaparlament. "Wir haben beschlossen, dass wir dieses Mal keine Beobachtermission entsenden, um eine Wahl abzunicken, von der wir wissen, dass sie eine Farce sein wird", sagte Gomes im DW-Interview. "Die äthiopische Regierung streut zwar Gerüchte, dass wir wegen mangelnder Finanzen nicht kommen, aber das ist absolut unwahr."

Nur keine 100 Prozent

Wenn an diesem Sonntag 35 Millionen registrierte Wähler unter 57 Parteien ihre Kandidaten für ein neues Parlament und 11 Regionalversammlungen wählen, dann steht der Sieger mit der regierenden EPRDF bereits fest. Wie die Macht im Land verteilt ist, lässt sich an der Sitzverteilung im derzeitigen Volksrepräsentantenhaus ablesen: von 547 Sitzen ist ein einziger von einem Oppositionellen besetzt. Doch Girma Seifu hatte bereits angekündigt, nicht wieder zu kandidieren. "Ich konnte sehr wenig ausrichten in den fünf Jahren meiner Amtszeit, weil die Regierung nicht gewillt ist, Parteienpluralität und Demokratie zuzulassen", erklärte er im Gespräch mit der DW. Die Regierung investiere viel Zeit, um Oppositionsparteien zu zerschlagen oder durch Unterstützung von Splittergruppen zu fragmentieren. "Zugegeben, die Opposition hat ihre eigenen Probleme - aber die Situation ist durch die Machenschaften der Regierungspartei verschlimmert worden", so Girma.

Äthiopien Addis Abeba Protest Juni 2013 (Foto: AFP) Foto: STRINGER/AFP/Getty Images)
Demonstranten der "Blauen Partei" 2013 in AddisBild: Stringer/AFP/Getty Images

Die Farbe der Hoffnung

Doch auch ohne Girma Seifu will die Semayawi-Partei etwas verändern. Als vor drei Jahren die ersten Demonstranten in Blue Jeans und blauen T-Shirts durch Addis Abeba zogen, schauten die Sicherheitskräfte noch belustigt zu. Inzwischen hat sich der Wind gedreht, zu groß ist der Zulauf und zu nervös der Sicherheitsapparat. Die Partei gibt an, über 50 ihrer Mitglieder seien im Wahlkampf verhaftet, Kandidaten durch die Wahlkommission NEBE von der Wählerliste gestrichen worden. Die NEBE verneint die Vorwürfe und wirft ihrerseits der Semayawi-Partei Verstöße gegen das Wahlgesetz vor.

Den angedrohten Wahlboykott verwarfen die "Blauen". "Wir haben zwar keinen politischen Raum in Äthiopien und werden von einem Polizeistaat und einem diktatorischen Auslaufmodell regiert", so Generalsekratär Yilkal, aber umso wichtiger sei es deshalb, "aktiv zu sein, statt die Wünsche der Wähler zu boykottieren".

Die Botschaft scheint anzukommen. "Wir haben zwar keine Demokratie in unserem Land", sagt ein junger Mann aus Äthiopiens zweitgrößter Stadt Dire Dawa, der seinen Namen nicht nennen möchte. "Aber es gibt Anzeichen, dass die Menschen beginnen ihre Rechte einzufordern. Und wer weiß: Vielleicht kommt es ja sogar zu einer Situation wie in Nigeria, wo am Ende Präsident Jonathan seinem Herausforderer Buhari zum Wahlsieg gratuliert hat".

Es gibt also Hoffnung für Äthiopiens Jugend - sei sie nun blau oder andersfarbig.