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Fremde über Nacht

Rayna Breuer10. Juni 2013

Der Sport hat sie zusammen gebracht, die Politik auseinandergerissen. Der Kroate Petrovic und der Serbe Divac sind zwei Legenden des jugoslawischen Basketballs und große Freunde - bis ihr Jugoslawien zerbricht.

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Die jugoslawische Basketball-Mannschaft nach dem gewonnenen Finale bei der Europameisterschaft in Zagreb 1989. (Foto: privat/Vlade Divac)
Bild: privat/Vlade Divac

"Diese Mannschaft, diese goldenen Jungs, sie setzen die Gesetze der Physik außer Kraft. Mit dieser Generation können wir alles gewinnen", der jugoslawische Kommentator weiß nicht, wohin mit seinen Emotionen. Für objektive Analysen und kritische Betrachtungen ist kein Platz mehr. Dafür ist das Spiel zu aufregend. Es ist der 25. Juni 1989. Jugoslawien spielt im Finale der Basketball-Europameisterschaft gegen Griechenland.

Der Druck auf die jugoslawische Mannschaft ist groß - die Erwartungen hoch. Die Halle tobt, "Jugoslavija, Jugoslavija" skandiert das Publikum. Bei dem Heimspiel in Zagreb erwarten die Fans einen Sieg. Und die eigenen Jungs enttäuschen nicht. Schon in den ersten Minuten gehen sie in Führung. Drazen Petrovic und Vlade Divac sind in ihrer Bestform, beflügelt von den Rufen aus dem Publikum spielen sie auf Sieg, für die Goldmedaille. Es sind zwei Legenden des jugoslawischen Basketballs, der Kroate Drazen und der Serbe Vlade. Zwei Spieler, deren gemeinsamer Weg in Freundschaft begann.

Als die Nationalität noch keine Rolle spielte

Fast ein Vierteljahrhundert später sitzt Vlade Divac in einem Belgrader Café und schaut auf ein vergilbtes Bild. "Das ist unser Gruppenfoto (Artikelbild) kurz nach dem Spiel. Das war unsere Mannschaft - wir waren Serben, Kroaten, Slowenen und Bosnier." Jugoslawien gewinnt gegen Griechenland - überlegen mit 98 zu 77. Es ist die vierte Medaille bei einer Europameisterschaft. Die "goldenen Jungs", so wird die Mannschaft um Vlade Divac und Drazen Petrovic genannt. Sie kamen aus allen Ecken des Vielvölkerstaates. Die Unterschiede in Religion und Nationalität hatten damals im Sport keine Bedeutung.

Vlade Divac: "Man musste sich mit einer Nationalität identifizieren." (Foto: DW/Rayna Breuer)
Vlade Divac: "Man musste sich irgendwann mit einer Nationalität identifizieren"Bild: DW/Rayna Breuer

Ihre Leidenschaft war der Basketball, ihr Leben der Wettkampf, ihr Ziel der Sieg. "Sie waren unzertrennliche Freunde, der Sport hat sie zusammengebracht, sie sind gemeinsam damit aufgewachsen. Und überhaupt, das war eine Generation sehr talentierter Spieler und großer Freunde", sagt ihr langjähriger Trainer Dusan Ivkovic. Wehmütig erinnert er sich an die Feier nach dem gewonnenen Finale: "Es waren große Emotionen. Die Leute haben uns geliebt, keiner hat nach der Nationalität der Spieler gefragt. Das war irrelevant für uns. Wir waren Sportler."

Glorreiche Zeiten in der NBA

Es war egal, woher sie kamen, wer sie waren. Sie spielten für Jugoslawien, für sich. Es war ihre Zeit - eine Zeit, die keine Grenzen kannte: Ende der 1980er ging Vlade zu den Lakers nach Los Angeles, sein Freund Drazen zu den Blazers nach Portland. Die NBA war ein gelebter Traum. Und das Ergebnis harter Arbeit, wie Vlade erzählt: "Alles, was Drazen erreicht hat, hat er sich hart erarbeitet. Er war unser großes Vorbild, vor allem, was den Arbeitseifer anging. Er war einer der besten Drei-Punkte-Werfer in Europa und Amerika - bis heute zählt er zu den Besten." - Ehrung eines großen Basketballers und engen Freundes.

Divac (l.) und Petrovic während des Finales in Zagreb 1989. (Foto: Drazen Petrovic Foundation) WICHTIGER HINWEIS: Dieses Bild darf nur einmalig für die Reportage über Drazen Petrovic und Vlade Divac veröffentlicht werden!!!
Divac (l.) und Petrovic während des Finales in Zagreb 1989Bild: Drazen Petrovic Foundation

Freude über den Sieg des Anderen, genauso wie seelischer Beistand bei Niederlagen - es war eine besondere Zeit für die beiden Basketballer vom Balkan. Weit weg von zu Hause hat ihnen die Freundschaft Halt gegeben. Und ein Gefühl von Heimat. Doch diese gemeinsame Heimat bröckelte - mehr noch: Sie wurde wenig später von einem blutigen Krieg gesprengt. Sie existierte auf einmal nicht mehr.

Eine harte Prüfung für die Freundschaft

"Drazen und Vlade standen zu Beginn ihrer NBA-Zeit im ständigen Kontakt. Aber dann kam der Krieg nach Jugoslawien, und dieser ruinierte ihre Freundschaft", sagt Drazens Mutter. "Sie waren sich nicht mehr so nah, haben sich nur noch förmlich begrüßt und haben nicht mehr viel miteinander gesprochen. So zerbrach ihre Beziehung, wie alles andere hier auch. Es war weder Drazens noch Vlades Schuld."

Biserka Petrovic: "Es war weder Drazens, noch Vlades Schuld." (Foto: DW/Rayna Breuer)
Biserka Petrovic: "Es war weder Drazens noch Vlades Schuld"Bild: DW/Rayna Breuer

Die Nachrichten aus der fernen Heimat sollten ihren gemeinsamen Weg für immer entzweien: "Anfang der 1990er haben die nationalistischen Ressentiments auf dem Balkan auch uns eingeholt. Man musste sich mit einer Nationalität identifizieren", sagt Vlade, das Bild aus 1989 hält er noch fest in der Hand.

WM-Sieg mit negativem Beigeschmack

Nur ein Jahr später zeigt sich, was die Politik aus ihren Sportlern machen kann. Es ist der 19. August 1990: Die jugoslawische Mannschaft führt im Finale der Basketball-Weltmeisterschaft gegen die UdSSR. Es steht 18 zu 9 in der 5. Minute, doch dem Trainer Dusan Ivkovic reicht das nicht, er gestikuliert unruhig am Rand: Schneller, dynamischer sollen seine Jungs spielen. Sie enttäuschen ihn nicht. Sie können den Vorsprung ausbauen und gewinnen überzeugend das Finale. Die Euphorie ist groß, doch ein Zwischenfall trübt die Freude.

Das Memorial-Zentrum für Drazen Petrovic in Zagreb. (Foto: DW/Rayna Breuer)
Das Memorial-Zentrum für Drazen Petrovic in ZagrebBild: DW/Rayna Breuer

Ein Mann kommt auf das Spielfeld, in seinen Händen trägt er die kroatische Flagge. "Ich habe ihn freundlich gebeten, die Flagge wegzustecken. Wir spielten schließlich für Jugoslawien, nicht für Kroatien, Serbien oder Bosnien", berichtet Vlade. "Er meinte zu mir, die jugoslawische Flagge sei Müll. Ich war wütend, ich hab ihm die Flagge weggerissen und hab ihm gesagt, dass er gehen soll." Die jugoslawische Hymne erklingt bei der abschließenden Siegerehrung, die Flagge des Vielvölkerstaates wird gehisst. Doch der Zwischenfall überschattet den Sieg. Zurück in den Vereinen, lassen die Ereignisse im eigenen Land die Spieler nicht los - die Politik gewinnt langsam die Oberhand über den Sport.

Teamkameraden werden zu Gegnern

Eine Mannschaft, die von der Politik auseinandergebracht wurde. Lange haben sie dagegen gekämpft, wie ihr Trainer Dusan Ivkovic erzählt: "Während der Europameisterschaft in Italien 1991 hatte sich Slowenien für unabhängig erklärt. Ein slowenischer Spieler aus unserer Mannschaft hat einen Brief erhalten. Es hieß darin, falls er weiter für Jugoslawien spielen würde, werde er als Verräter in Slowenien gelten." Der Trainer entscheidet, ihn nicht spielen zu lassen. "Daraufhin war nicht ganz klar, ob wir als jugoslawisches Team überhaupt die Meisterschaft zu Ende bringen dürfen. Die internationale Gemeinschaft traf aber eine Entscheidung, die uns das erlaubte. Das war auch unser Wunsch."

Dusan Ivkovic: Trainer der "goldenen Jungs". (Foto: DW/Rayna Breuer)
Dusan Ivkovic: Trainer der "goldenen Jungs"Bild: DW/Rayna Breuer

Jugoslawien gewinnt schließlich die Meisterschaft in Italien - zum letzten Mal in seiner Basketballgeschichte. Doch nach Feiern ist nicht allen zumute: "Als wir das Finale gewonnen hatten, mussten wir - wie sich das gehört - auf das Siegertreppchen, und einer musste die jugoslawische Flagge halten", so Vlade. "Doch die meisten Spieler haben sich zurückgezogen, sie wollten das nicht. Dann habe ich kapiert, was passiert. Allen war klar: Das war das Ende."

"Wir reden, wenn das Ganze aufhört"

Vlade ist nach seiner NBA-Zeit zurückgekehrt - nicht in das Jugoslawien von damals, sondern in das neue Serbien. Die Vergangenheit hat er mittlerweile ruhen lassen. Damals hatte er lange nach Antworten für die zerbrochene Freundschaft gesucht - ohne Erfolg, sein Freund Drazen blockte jedes Gespräch ab: "Als der Konflikt bei uns begann, hat jeder für sich versucht, das Ganze zu erklären. Ich wusste, was hier in Serbien passiert. Aber ich wollte von den Anderen erfahren, was in Kroatien passiert. Doch Drazen und die anderen Kroaten in der NBA wollten nicht darüber sprechen, sie sagten immer: 'Wir reden, wenn das Ganze aufhört, aber nicht jetzt.'"

Der Sport unterliegt der Politik. Drazen und Vlade bleiben für immer entzweit. Zu einer Aussprache der beiden Freunde kommt es nicht mehr. Das Schicksal entscheidet anders: Am 7. Juni 1993 stirbt Drazen Petrovic bei einem Autounfall in Deutschland.