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Bildergeschichten: Die Vermessung des Schädels

Tillmann Bendikowski14. April 2014

Wir stellen jede Woche ein Bild vor und erzählen seine Geschichte. Diesmal gehen wir zurück in das Jahr 1921: "Phrenologen" treiben ihr Unwesen

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Vermessung eines Schädel, 1921
Bild: Ullstein Bild/Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl

In der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts ist so viel Schreckliches geschehen, dass man beim Anblick dieses Bildes kaum annehmen kann, es könnte sich vielleicht nur um eine harmlose Spinnerei handeln. Und leider ist es auch so. Wir schreiben das Jahr 1921. Der honorig wirkende Herr ist Robert Burger-Villingen. Er zählt zu den Anhängern der sogenannten Phrenologie, die die charakterlichen und intellektuellen Charakterzüge eines Menschen allein aus der Form seines Kopfes zu erkennen glauben. Burger-Villingen hat dazu eigens einen "Plastomaten" entwickelt, den er hier an einer (übrigens wenig begeistert dreinschauenden) jungen Dame demonstriert.

Die Phrenologen haben in Deutschland durchaus eine Tradition. Den wichtigsten Impuls lieferte der Schweizer Theologe Johann Kaspar Lavater, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit einer Theorie der Physiognomik aufwartete. Danach schien das Äußere des Menschen einen Blick auf seine inneren Werte zu eröffnen. Diese Idee fand viele pseudowissenschaftliche Anhänger, und die Idee wurde populär. Die Größe des Mundes, die Form der Nase, die Wölbung der Stirn oder der Umfang des Kopfes erschienen als der Schlüssel zur wahren Entdeckung des Menschen.

Und die Vermessung des Schädels erschien als Königsweg. Bald glaubte man Klugheit und Dummheit, angebliche "Rasse"-Merkmale, Dispositionen zu Krankheiten oder die individuelle Neigung zu Verbrechen so nachzeichnen zu können. "Geistig hervorragende Menschen", so erklärte der Autor im "Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie" 1906, hätten stets "eine etwas längere Kopfform" als die Durchschnittsbevölkerung. Sogar die Religionszugehörigkeit erschien so erkennbar: Deutsche Ärzte registrierten wie selbstverständlich Größenunterschiede bei protestantischen und katholischen Rekruten, 1896 setzte die "Badische Zeitung" beispielsweise den "katholischen Rundschädeln" die intelligenteren "protestantischen Langschädel" gegenüber.

Solche abwegigen Überlegungen mündeten mühelos in einen Rassismus, der im "Dritten Reich" schließlich Ausgrenzung und Ermordung zur Folge hatte. Auch der "Plastometer" wurde jetzt zur Bestimmung angeblich "arischer" Abstammung genutzt, Burger-Villingen selbst stieg zu einem der führenden Vertreter der NS-Rassekunde auf. Es hat sich wieder einmal bewahrheitet: Wer mit ausgefallenen Instrument und wirren Gedanken Schädel vermisst, ist in der deutschen Geschichte eben meistens alles andere als ein harmloser Spinner.