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Transatlantischer Graben

Christoph Hasselbach9. September 2014

Die Ukraine oder Georgien als NATO-Mitglieder? Für die meisten europäischen NATO-Staaten wäre das eine Horrorvision - doch in den USA können sich das viele vorstellen.

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Russische Holzpuppen mit Putin-, Obama-, Stalin-, Bush-Bildern Foto: picture alliance/AP Photo/Mindaugas Kulbis
Bild: picture alliance/AP Photo/Mindaugas Kulbis

Die NATO ist nur gegenüber ihren Mitgliedern verpflichtet, sie bei einem Angriff von außen kollektiv zu verteidigen. Viele europäische Politiker dürften sich in diesen Tagen mit heimlicher Erleichterung an diesen Grundsatz erinnern: Wäre die Ukraine NATO-Mitglied, hätte eine russische Annexion der Krim das westliche Bündnis wohl unmittelbar in die militärische Konfrontation mit Russland geführt.

Dabei stand eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens vor einigen Jahren durchaus zur Debatte. Beim NATO-Gipfel 2008 in Bukarest setzten sich die Amerikaner unter Präsident George W. Bush vehement dafür ein. Doch einige europäische Staaten, darunter Deutschland, hatten Bedenken, weil sie bereits damals große Spannungen mit Russland befürchteten. In dieser Ansicht fühlt sich Berlin heute mehr denn je bestätigt. Michael Gahler, sicherheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament, verweist auch darauf, dass die ukrainische Bevölkerung damals "nicht mit deutlicher Mehrheit dafür" war. Die Zurückhaltung gegenüber Russland, so Gahler, sei mit der Erwartung verbunden gewesen, "dass Russland dies mit einem entsprechenden Verhalten honoriert".

Vorläufer Georgien

Die Amerikaner vertreten die Beitrittsperspektive nach wie vor offensiv. US-Verteidigungsminister Chuck Hagel hat am vergangenen Wochenende bei einem Besuch in Tiflis gesagt, sein Land werde sich weiterhin für eine Mitgliedschaft Georgiens einsetzen. Die USA überlegen auch, dem Land Militärhubschrauber zu verkaufen. Es gibt deutliche Parallelen zwischen Georgien und der Ukraine. Viele sehen in der russischen militärischen Unterstützung für die von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien im Jahr 2008 den Vorläufer für die Krim-Annexion 2014: Auch 2008 hagelte es zwar Protest, der Westen griff aber nicht ein und schien sich mit der neuen Situation abzufinden.

Frau hinter Stacheldrahtzaun Foto: Vano Shlamov/AFP/Getty Images
Ein Fünftel des georgischen Territoriums ist heute unter russischer KontrolleBild: Vano Shlamov/AFP/Getty Images

Im Ukraine-Konflikt haben sich sowohl der amerikanische Demokrat Robert Menendez, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im US-Senat, als auch der republikanische Senator John McCain für Waffenlieferungen an die ukrainischen Streitkräfte ausgesprochen. In den Augen westeuropäischer Politiker würde man damit aber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gerade die Provokation auf dem Silbertablett liefern, die er für einen Einmarsch möglicherweise sucht.

Wird die Ukraine zum zweiten Afghanistan?

So stehen sich zwei sehr unterschiedliche Lesarten gegenüber. Die Mehrheit der europäischen NATO-Staaten wollen Russland nicht unnötig provozieren, die USA und einige der östlichen Mitglieder, die selbst unter sowjetischer Besatzung gelitten haben, argumentieren andersherum: Wäre die Ukraine heute NATO-Mitglied, hätte das Putin von seinem Krim-Abenteuer vielleicht abgehalten. Roland Freudenstein, sicherheitspolitischer Experte bei der Brüsseler Denkfabrik Wilfried Martens Centre, glaubt, dass 2008 die Ablehnung eines konkreten Aktionsplans für einen Beitritt "Putin stark ermutigt hat, Georgien in einen Krieg zu verwickeln". Stärkere militärische Bindungen zur NATO hätten russische Aggressionen zumindest unwahrscheinlicher gemacht.

Freudenstein tritt auch jetzt für eine begrenzte militärische Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte ein, "um eine vollkommen unprovozierte Aggression zurückzuschlagen oder zumindest die Kosten dafür so hochzutreiben, dass man sich die Aktion im Kreml nochmal überlegt". Russland habe "keine unbegrenzten Interventionsmöglichkeiten" und werde sich "noch gut an das Desaster in Afghanistan" erinnern. Der Europaabgeordnete Gahler betont, "nicht einmal Russland würde behaupten, dass die Ukraine beabsichtigt, die territoriale Integrität Russlands zu bedrohen". Die Verteidigungsanstrengungen der Ukraine seien ausschließlich defensiv.

Keine Einflusssphäre für Russland

Sowohl Freudenstein als auch Gahler lehnen es ab, Russland eine Einflusssphäre zuzugestehen, wie es viele westliche Politiker zumindest suggerieren. Jedes Land habe das Recht, seine Bündnisse frei zu wählen. Auch der NATO-Beitritt der beiden Länder müsse im Prinzip offen bleiben. Ihn auszuschließen, meint Freudenstein, "wäre eine Belohnung des russischen Verhaltens". Michael Gahler nennt aber als Voraussetzung "eine stabile mehrheitliche Unterstützung der Bevölkerung" und dass alle bisherigen NATO-Staaten solche Beitritte befürworten. Letzteres ist im Moment sicher nicht der Fall. Ob sich das ändert, meint Gahler, hänge aber auch davon ab, "mit was für einem Russland wir es künftig zu tun haben werden". Mit dem Russland Putins dürfte das nicht zu machen sein.

Soldat mit Maschinengewehr und ukrainischer Flagge Foto: Reuters
Soll der Westen die Ukraine bewaffnen?Bild: Reuters

Doch der Westen muss deswegen nicht untätig bleiben, meinen beide Experten. "NATO und EU brauchen eine neue Ostpolitik", rät Freudenstein. Die EU solle stärker auf die Zivilgesellschaften zugehen und die Beziehungen zu Eliten durch Handel, Stipendien und Visumserleichterung aufbauen. Die NATO solle außerdem ihre militärische Zusammenarbeit unterhalb der Schwelle der Mitgliedschaft fortsetzen, "ob das den Herren im Kreml gefällt oder nicht". Auch der Europapolitiker Gahler befürwortet weitere zivile und militärische Zusammenarbeit. Daneben sei es aber trotzdem wichtig, "den Dialog zwischen EU und Russland fortzusetzen" und den zwischen Russland und der Ukraine, Georgien und Moldau "interessiert zu begleiten". Bei allen Unterschieden zwischen Amerika und Europa und auch unter den Europäern im Umgang mit Russland sind dies sicher konsensfähige Forderungen.