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Festival in Transcoso

Gero Schließ29. März 2014

Ein Traum wird wahr: Ein Festspielhaus in einer der schönsten Landschaften Brasiliens, nicht weit entfernt vom malerischen Strand, an dem einst die Portugiesen landeten und Brasilien entdeckten.

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Theater in Trancoso Brasilien, obere offene Bühne mit Zuschauerraum (1100 Sitze). Foto: Gero Schließ, März 2014
Bild: DW/G. Schließ

Mitten auf dem Gelände des Golfplatzes von Trancoso im nördlichen Bundesland Bahia ragt nun wie eine überlebensgrosse Skulptur das graue Mauerwerk des "Teatro" in den blauen Himmel. Der luxemburgische Stararchitekt François Valentiny hat es entworfen. Von der Idee bis zur Fertigstellung hat es nur rekordverdächtige zwei Jahre gebraucht.

Einweihung in Flip Flops

So unkonventionell wie diese Erfolgsgeschichte gestaltet sich jetzt auch die Einweihung durch den örtlichen Bischof: Die geistlichen Herren sprechen ihren Segen in tiefschwarzer Soutane. Die Freunde und Förderer des millionenschweren Großprojektes sind gemäß brasilianischem Lebensgefühl in Flip Flops und kurzen Hosen erschienen.

Die Idee für ein Festspielhaus hatten Sabine Lovatelli und ihr Mann Carlo mit einigen Freunden geboren, die wie sie in Trancoso luxuriöse Urlaubsdomizile besitzen. Lovatelli ist gebürtige Deutsche und lebt seit mehr als vierzig Jahren in Brasilien. Sie ist gut vernetzt in der Musikwelt und leitet seit vielen Jahren das Mozarteum Brasileiro in São Paulo, das Konzertreihen mit Künstlern und Orchestern aus aller Welt veranstaltet.

Berliner und Wiener Philharmoniker

Zur Eröffnung des Theaters holte Sabine Lovatelli Ensembles der Berliner und Wiener Philharmoniker nach Trancoso, dazu das Jugendorchester aus Sao Paulo. Von Beethoven über Lehar bis Verdi spielen sie viele mitreißende "Hits" der europäischen Klassik - um auch viele im Publikum anzusprechen, für die der Konzertbesuch die erste Begegnung mit klassischer Musik bedeutet. Doch Konzerte sind nicht alles: "Wir wollen hier nicht nur die besten Künstler präsentieren", sagte Lovatelli im Gespräch mit der Deutschen Welle, "sondern dieses Theater soll auch ein Ausbildungsort für brasilianische Nachwuchsmusiker sein. Wir wollen ihre Ausbildung so gut es geht unterstützen."

Die Kunstförderun Sabine Lovatelli. Copyright "Musica Em Trancoso"
Sabine Lovatelli fördert die Klassik in BrasilienBild: Musica Em Trancoso

Und so gibt es bei dem ebenso schlicht wie wirkungsvoll benannten Festival "Musica em Trancoso" nicht nur acht Konzerte von Klassik bis Bossa Nova, sondern auch Workshops der "Berliner" und "Wiener" für brasilianische Musikstudenten, die in dem eigens dafür geschaffenen Trakt mit Probenraumen stattfinden.

Den 18-jährigen Lucas Bernardo, Konzertmeister des Jugendorchesters aus Sao Paulo, hat der Unterricht beflügelt: "Sie spielen auf sehr hohem Niveau, das bringt sehr viel Motivation und Inspiration", erzählt er. Lucas hofft, dass auch andere aus seinem Orchester die Chance zu einer solchen Meisterklasse bekommen. Er hat sich fest vorgenommen, das Gelernte an andere im Orchester weiter zu vermitteln. Den gemeinsamen Auftritt mit den Profis aus Berlin bei Brahms' Klarinettenquintett meistert er bravourös.

Konzerthaus in zwei Jahren

Ein Konzerthaus innerhalb von zwei Jahren zu planen und zu bauen ist nicht eben selbstverständlich. François Valentiny hat seine eigenen Erfahrungen damit. Der Schöpfer des "Haus für Mozart" in Salzburg war in Bonn in der Endausscheidung für ein neues Festspielhaus, das die heruntergekommene Beethovenhalle ersetzen und der Beethovenstadt Bonn eine glanzvolle Zukunft bescheren sollte. Doch daraus ist angesichts zahlreicher Bürgerproteste und städtischem Missmanagements nichts geworden.

Blick auf der Küste im brasilianischen Erholungsort Trancoso. Copyright: Terravista Golf Tancoso, Brasilien
Längst von Touristen entdeckt, demnächst auch ein Tipp für die KlassikweltBild: Terravista Golf

Feuchter Beton, geplatzte Rohre

Einfach war es in Trancoso auch nicht. Das Festspielhaus steht in einem Naturschutzgebiet. Stadt und Land Bahia mussten überzeugt werden und bestanden auf strengen Umweltauflagen. Die Fertigstellung wird für Valentiny zu einem nervenaufreibenden Wettlauf mit der Zeit. Der Spritzbeton an den Wänden ist noch feucht, und mehrfach wird in den nächsten Tagen während der Konzerte geräuschvoll ein Wasserrohr platzen. Valentiny hat darauf geachtet, dass sein Theater "in die Landschaft passt". Eigentlich sind des ja sogar zwei Konzertsäle für jeweils 1100 Zuhörer: Ein Freilufttheater mit einem atemberaubenden Blick in die Umgebung und den nächtlichen Sternenhimmel und darunter eine Konzerthalle, die an den Seiten offen ist und natürlich belüftet wird.

Valentiny hat sich darauf eingestellt, dass Bauleute und -firmen hier nicht auf europäischem Niveau arbeiten. Nicht von ungefähr wählte der Architekt als Baustoff Spritzbeton, der relativ einfach zu handhaben ist. Und, so Valentiny, damit ließen sich auch seine Vorstellungen von einer ausdrucksstarken, skulpturalen Formensprache gut verwirklichen. Mit verbleibenden Unvollkommenheiten könne er gut leben, sagt er, und kritisiert postwendend "die komplette Sucht der Perfektheit" in Europa.

Francois Valentiny vor seinem Theater sitzend, Trancoso. Copyright "Musica Em Trancoso"
Francois Valentiny hat in zwei Jahren ein Festspielhaus realisiertBild: Musica Em Trancoso

Freunde von Trancoso

Valentiny ist genauso wie die Lovatellis und ihre Freunde mit Herz und Seele bei dem Projekt. Er arbeitet ohne Honorar und sagt immer wieder, dass nur die "spezielle Situation" der Freunde in Trancoso diese Herkulestat ermöglicht habe. Damit ist auch Reinold Geiger gemeint, der Chef der Firma L´Occitane, der am Strand von Trancoso eine Traumvilla bewohnt. Er hat aus seiner Privatschatulle mehr als neun Millionen Euro auf den Tisch gelegt und die Finanzierung fast im Alleingang gesichert. Irgendeinen "finanziellen Return" erwarte er nicht, sagt er schmunzelnd im Gespräch. Aber er liebt Land und Leute und außerdem laufe die Firma gerade "ganz gut".

Die Menschen nehmen das Kulturangebot an. Bei jedem der - eintrittsfreien - Konzerte sind die Ränge voll besetzt. Angesichts der hohen Armutsrate unter den mehr als 20.000 Einwohnern Trancosos sieht der Geschäftsmann Fabio Groberio, Präsident der "Vereinigung der Freunde von Trancoso", in dem Theaterprojekt eine "nachhaltige" Zukunftsinvestition. "Das ist eine Möglichkeit, den Menschen hier mehr Bildung und Lebensqualität zu verschaffen". Die beiden Säle und die Probenräume ließen sich problemlos auch als Schulhaus, Versammlungsort oder Kongresszentrum nutzen.

Hauptproblem Sicherheit

Doch noch existiert nur die Idee dazu. Dafür gibt es noch eine Reihe ungelöster Probleme. Die Akustik zum Beispiel ist noch nicht optimal. Und an einem der Konzertabende halten Bewaffnete einen Bus an und rauben den Fahrer aus. Die Sicherheit ist ein "Hauptproblem" in Bahia, sagt Groberio, und das wissen auch die Veranstalter. Aber bisher war es ruhig hier.

Doch der guten Stimmung tut der Vorfall scheinbar keinen Abbruch. Als beim Konzert der Ensembles aus Wien und Berlin im Teatro die Tritsch-Tratsch-Polka von Johann Strauß erklingt, fühlt man sich am Ende fast wie im Wiener Musikvereinssaal: So enthusiastisch klatschen die Brasilianer mit und springen nach dem Schlussakkord zum Jubel von den Kunststoffsitzen. Zwischen Loch 4 und 5 kann man offensichtlich auch mit Wiener Schmäh punkten.

Das Jugendorchester des Bundesstaates Sao Paulo unter der Leitung von Cláudio Cruz, vorne als Konzertmeister Lucas Bernardo. Copyright "Musica Em Trancoso"
Cláudio Cruz leitet das Jugendorchester des Bundesstaates Sao Paulo mit dem Konzertmeister Lucas BernardoBild: Musica Em Trancoso